Ungehaltene Reden

Darmstadt-Glosse #90 Februar 2016

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©Thea Nivea

Der Titel ist geklaut, sagt meine Mutter. Vielleicht schon mal benutzt, sag ich. Ganz bestimmt, sagt mein Vater, ein uraltes doppeldeutiges Bonmot und damit Allgemeingut. Also kann ich es als Titel nehmen, sag ich. Bin gespannt, sagt meine Mutter, ob du an Christine Brückner rankommst. Wer bitte ist Christine Brückner, frag ich. Auch so ne ungehaltene Frau wie deine Mutter, sagt mein Vater. Wenn du geschwiegen hättest, sagt meine Mutter. Wenn du nicht geredet hättest, sagt mein Vater. Schon gut, sag ich, ich habs gegooglet. Dabei geht der Wahlkampf jetzt erst richtig los, sagt meine Mutter.

Vorher ist noch Fastnacht und Aschermittwoch, sag ich. Aha, sagt mein Vater. Ja, sag ich, und ich dachte, ich überleg mir mal ein paar un- gehaltene Reden. Aha, sagt jetzt auch meine Mutter. Ja, sag ich, also so ne Art Mischung aus Fastnachts- und Wahlkampfreden. Verstehe, sagt mein Vater. Ich nicht, sagt meine Mutter. Ich meine, sag ich, Zustände anprangern wie bei Fastnachtsreden und Lösungen versprechen wie bei Wahlkampfreden. Und das soll dann originell sein, fragt meine Mutter. Ja, sag ich, weil meine Vorschläge Schwachsinn sind. Ich fürchte, sagt mein Vater, du wirst den Schwachsinn der Wahlkampfrede an sich nicht überbieten können, aber mach mal ein Beispiel.

Wir bauen auf dem Marienplatz ein Parkhaus, sag ich. Und wer soll das wollen, fragt meine Mutter. Die neue grün-rote Koalition, sag ich. Welche grün-rote Koalition, fragt meine Mutter. Na die in Darmstadt, sag ich. Quatsch, sagt meine Mutter, es bleibt bei Grün-Schwarz. Du verstehst die Strategie nicht, sagt mein Vater, weil die CDU mehr Stimmen kriegt als die Grünen, koalieren die Grünen mit der SPD, bleiben damit die größere Par- tei in der Stadtregierung und sichern gleichzeitig die Wiederwahl von deinem Jochen. Wie das denn, fragt meine Mutter. Weil die Zypries auf ihre OB-Kandidatur verzichten muss, sagt mein Va- ter, was sonst wäre der Grund, die SPD mitregieren zu lassen? So ähnlich dachte ich das, sag ich. So, sagt meine Mutter, wünscht ihr euch das also?

This is not a wishconcert, sag ich. Das ist aber keine ungehaltene Rede, sagt mein Vater. Das klingt eher ziemlich bekloppt, sagt meine Mutter. Fast, sag ich, nur Klopp, ohne be. Die ungehaltenste Trainerrede des Jahres, sagt mein Vater. Ach ja, sagt meine Mutter, Fußball gibts ja auch wieder. Leider kommt der Hoeneß erst nach Aschermittwoch aus dem Knast, sag ich. Früh genug, sagt mein Vater, um bayerischer Ministerpräsident zu werden. Obwohl Präsident beim FC Bayern der bessere Job wäre, sag ich, selbst, wenn sie bis dahin gegen Juventus ausgeschieden sind. Aber sein P ichtgefühl, sagt mein Vater, nötigt ihn dazu, weil doch der bayerische Vollhorst Bundeskanzler werden will. Hoeneß ist ja auch ein Gutmensch, sag ich, hat immerhin 30 Flüchtlinge an Weihnachten zu sich nach Hause eingeladen. Das Wort und das Unwort des Jahres in einem Satz, sagt meine Mutter, welch rhetorische Fähigkeit.

Wusstet ihr, dass es in Domnähe häufiger zu sexuellen Übergriffen kommt, frag ich. Stimmt, sagt mein Vater, Köln und Regensburg sind der Beweis. Und der Hamburger Dom, sag ich. Das Thema ist zu ernst für Sprachwitzchen, sagt meine Mutter. Gut, sagt mein Vater, reden wir wieder über den Kommunalwahlkampf. Grün-Schwarz hält am Ziel 1 Milliarde Schulden zum Ende der nächsten Wahlperiode fest, sag ich. Was soll das denn, fragt meine Mutter. Schellenbergs ungehal- tene Wahlkampfrede, sagt mein Vater. Im Bürgermeister-Pohl-Haus, sag ich, da sind ja jetzt keine Flüchtlinge mehr. Genau, sagt mein Vater, und da isser dahoam.

Gibts auch was, worauf wir uns alle gemeinsam verständigen könnten, fragt meine Mutter. Ein parteiübergreifendes Kommunalwahlziel, frag ich. Die Lilien bleiben in der Bundesliga, sagt mein Vater. Klar, sag ich, nach dem Rückrundenauftakt. Euch fällt auch immer nur Fußball ein, sagt meine Mutter. Sei doch nicht so ungehalten, sagt mein Vater. Genau, sag ich, über Fußball reden geht immer, und in Darmstadt gerade sowieso.

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