Das dritte Wunder

Darmstadt-Glosse #93 Mai 2016

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©Thea Nivea

Das dritte Wunder

Beschrei es nicht, sonst gehts noch schief, sagt mein Vater. Abergläubisch, frag ich, wir waren noch nie auf nem Abstiegsplatz. Nee, sagt er, aber um abzusteigen, reicht im Zweifel der erstmalige 16. Platz am 34. Spieltag. Beschrei es nicht, sag ich.

Wir fahren am 7. Mai nach Berlin, sagt meine Mutter. Wie, frag ich und mein Vater zuckt hoch. Familienwochenende, sagt meine Mutter, Darmstadt-Kultur in der Hauptstadt, Samstag Lilien-Fußball im Olympiastadion, Sonntag Holbein-Madonna im Bode-Museum, letzter Ausstellungstag. Fairer Deal, sagt mein Vater. Ich staune nur. Meine Mutter ist in letzter Zeit ziemlich locker.

Dabei soll doch offen bleiben, wer wann mit wem und so. Also minderheitsregierungsmäßig. Mamas Premiere-Stavo hab ich mir angetan. Politik ist schon sadomaso irgendwie. Der Altersuffbasserpräsident war stark. Ansonsten eher langweilig. Und meine Mutter richtig cool, ganz entspannt eben. Ich denke, es liegt an der Grube, ist ja bald Saisonbeginn. Mein Vater meint, es sei wg. ihrem Malfimmel. Adult coloring, neuster Schrei, Bilderbuchausmalen für Gruftis. Hab ich schon in der Grundschule gehasst.

Über Satire haben wir uns allerdings heftig gefetzt. Also ob das okay ist, was der Böhmermann gemacht hat. Der Erdogan hat das verdient, sagt meine Mutter. Das, sagt mein Vater, sehen aber viele Türken nicht so. Mir egal, meint sie, die Freiheit der Kunst geht über Despotenego. Wär es dir auch egal, frag ich, wenn ich ein Schmähgedicht in meiner Glosse bringen würde? Im Böhmermann-Kaliber, fragt mein Vater, und auf den verehrten Herrn Jochen? Bestimmt nicht!

Wir Grünen stehen hinter dem § 5 des Grundgesetzes, sagt meine Mutter, und Jochen Partsch ist ein souveräner Demokrat. Na gut, sag ich, dann les ich dir mal ein Schmähgedicht vor: Partsch, du schwuler Kannibale,/du hast einen an der Schale!/Du, der jeden Gegner frisst,/tust nur so, als seist du Christ./Aus ner Metzgerei aus Franken,/daran muss ja Darmstadt kranken!/Lilienfan? Dass ich nicht lache,/Trittbrettfahrn ist deine Sache!/Eitelgeil von Kopf bis Schwanz,/damit jeder sagt: Der kanns,/unser Supermann-OB!/Höchste Zeit, dass ich dich schmäh!

Woher hast du das, kreischt meine Mutter und reißt mir den Zettel aus der Hand. Ist doch egal, sag ich, hab ich halt. Das machst du nicht, sagt sie. Ist schon sehr heftig, sagt mein Vater, und gerade noch so eben Satire. Okay, sag ich, ich machs nicht, ich beuge mich der familieninternen Zensur. Und ich finde, der Partsch ist der beste OB, den wir je hatten, im Ernst. Okay, sagt meine Mutter, es gab auch zwei, drei gute von der SPD. Lass uns lieber über schöne Dinge reden, sagt mein Vater, Fahrradstraßen, den Marienparkplatz, den Stadionbau und die Stellplatzfrage oder dass sich Andrea Berg nicht nackt fotografieren lassen will. Befrei dich von deinem Zynismus, sag ich, es ist Mai und es gibt viel zu feiern. Was meinst du genau, fragt meine Mutter.

Die Prinzen sind beim Schloßgrabenfest, sag ich. Das Tripple der Bayern, sagt mein Vater. Den Pokalsieg von Dortmund, sag ich. Alles wieder nur Fußball, sagt meine Mutter. Na und, sag ich, von mir aus auch Frühling und Pfingsten. Ja, sagt mein Vater, und alles blüht und lebt. Wir sollten vielleicht nicht vergessen, dass der alte Genschman gestorben ist, sag ich. Im gesegneten Alter, sagt meine Mutter. Nur der Kohl lebt wohl ewig, sagt mein Vater. Und treibt sein politisches Unwesen, sag ich, trifft sich wahrscheinlich bald auch mit Erdogan, nur der Orban reicht ihm nicht. Ich konnte den Kohl noch nie leiden, sagt mein Vater. Ich kann seine Maike nicht ab, sagt meine Mutter. Jetzt bist du aber eine strenge Richterin, sagt mein Vater.

Nettes Wortspiel, sag ich, geht schon in Richtung Schmähkritik. Lassen wir das Thema lieber, sagt meine Mutter. Obwohl, ein Schmähgedicht auf Kohl, sagt mein Vater, das wär doch auch mal was. Da gibts schon genug, sag ich, lieber ein Jubelgedicht auf die Lilien. Stimmt, sagt mein Vater, es gibt ja noch was zu feiern, am 14. Mai. Hoffentlich, sag ich.

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