Die Fassaden bröckeln

Darmstadt-Glosse #95 Juli 2016

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©Thea Nivea

Man könnte auch sagen, der Lack ist ab, sag ich, vom Hype zur Depri, Ende der Verklärungen. Du meinst, sagt mein Vater, weil das Lilienmärchen ausgeträumt ist. Auch, sag ich, aber auch der Magistrat ist von Wolke 4 auf dem Boden der Tatsachen zurück. Worum solls jetzt gehen, fragt meine Mutter, Fußball oder Kommunalpolitik? Um beides, sagt mein Vater. Um die ganze Kackpolitik, sag ich, weltweit und überhaupt. Ich glaub, das ist mir zu anstrengend, sagt meine Mutter, und das Wetter ist zu schön.

Häschen fährt zur Grube, trällert mein Vater. Bleibt naiv, bleibt naiv, sing ich weiter. Wie, fragt mein Vater. Normalerweise ja saß und schlief, sag ich, aber was Bessres fiel mir nicht ein. Was soll das, fragt meine Mutter. Nix, sag ich, hättest aber ruhig mal bleiben können, du musst schließlich einen Teil des Elends hier mitvertreten. Lass sie, sagt mein Vater. So ein Vater-Tochter-Gespräch schadet euch nichts, sagt meine Mutter im Gehen. Ja, sag ich, und schneller einig werden wir uns auch. Also, fragt mein Vater, was zuerst?

Die Lilien – aus Tradition anders, sag ich, von wegen: angekommen in der Realität des Profifußballs, da fiebert man ne ganze Saison mit und dann hauen alle ab. Alle ja nicht, sagt mein Vater, und wer wills dem Schuster verdenken, soll er noch während der Saison sagen, dass er geht, wenn sich ne Chance bietet? Stimmt schon, sag ich, du musst ja praktisch lügen, weil die Presse nur Schwarz-Weiß kennt. Jedenfalls, sagt mein Vater, so viele, wie du meintest, gehen nun doch nicht. Kempe immerhin auch, sag ich. Ja, aber Heller, Gondorf und Sulu bleiben, sagt mein Vater, und um den Wagner reißt sich auch keiner mehr, jetzt, wo der englische Markt weg ist.

Trotzdem gibts ne Depri-Saison, sag ich, und der Meier ist einfach hässlich. Der Satz hätte von deiner Mutter sein können, sagt mein Vater. Na und, sag ich, der Mythos ist halt tot, wir halten zusammen und so, alles nur Show. Kann mans verdenken, sagt mein Vater, wenn jemand mal bei nem Verein spielen viel, wo aus den Duschen garantiert warmes Wasser rauskommt? Warmduscher, sag ich. Oder der schon ein gescheites Stadion hat, sagt mein Vater, und keine Dilettanten, die ewig noch dran rumplanen.

Apropos Dilettanten, sag ich, beim Magistrat zeigt sich auch langsam, was alles nicht Sache ist, eben nicht nur das Stadion. Ich weiß, sagt mein Vater, die Kompetenzen unseres Bürgermeisters sind arg limitiert. Und die Zuschke haut jetzt auch ab, sag ich, hab ich übrigens schon immer gesagt. Same procedure, sagt mein Vater, dementieren und sich über die Wahl retten, so geht das Geschäft. Es steht aber noch die OB-Wahl an, sag ich, und der Partsch muss ganz schön aufpassen, dass er den Frust nicht abkriegt. Da passiert nix, sagt mein Vater, kein ernsthafter Gegner in Sicht, die Zypries will nicht, die CDU kanns nicht und Uffbasse hat schon bei der letzten OB-Wahl strategisch gekniffen. Stimmt, sag ich, die Duett-Nummer, ich erinnere mich.

Trotzdem kann man sich arg verspekulieren, sagt mein Vater, siehe Cameron. Stimmt, sag ich, komplett vergeigt, will die Euro-Gegner loswerden und macht sie groß. Der Brexit wird die Rechtspopulisten in ganz Europa aufputschen, sagt mein Vater. Hör auf, sag ich, mit dem verharmlosenden Sprachgebrauch, das sind Rechtsradikale, nix anderes. Und in Darmstadt müssen wir schwer aufpassen, da versaut die AfD gerade massiv die demokratische Kommunikationskultur.

Stimmt einen schon nachdenklich, sagt mein Vater, was gerade in der Türkei, Ungarn und Polen passiert. Und hier, sag ich, deine SPD unter Schröder und unter freundlicher Mithilfe der Grünen haben mit ihrem Neoliberalismus da gesät, wo jetzt die Rechten ernten. Und der Scheinheilige Gabriel, der redet nur vom Linkskurs, dabei gäbs im Bundestag längst ne linke Mehrheit, die SPD wollte doch die Großkotz-Liaison. Hör auf, sagt mein Vater, reden wir lieber wieder über Fußball. Einverstanden, sag ich, wir besiegen Italien, wenigstens bei der Mannschaft ist der Lack noch dran.

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