Atmosphärische Störungen

Darmstadt-Glosse #96 August 2016

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©Thea Nivea

Im August ist voll tote Hose, sag ich. Und Olympia, fragt mein Vater, und du könntest auch dieses Pokémon Go spielen. Für wie blöd hältst du mich, frag ich,  aber mal im Ernst: keine EM mehr, noch keine Bundesliga, Ferien, alle im Urlaub und politisch ist Sommerloch. Okay, sagt mein Vater, die EM war fußballkulturell kein Hit, das Finale aus der Mottenkiste, und ob ich die Liliensaison herbeisehnen soll? Ein politisches Sommerloch wirds bei all dem Terror nicht geben, und hier haben wir OB-Wahlkampf. Ah, sag ich, kandidierst du? Wieso er, fragt meine Mutter.

Jedes SPD-Mitglied ist gefragt als OB-Kandidat, sag ich. Was soll denn der Quatsch, sagt meine Mutter. Kein Quatsch, sagt mein Vater, ich hab auch ne Mail gekriegt von der Zypries, wenn ich interessiert bin am OB-Amt, soll ich mich melden. Wie, sagt meine Mutter, schickt dann die SPD 100 Bedeutungsdefizitler ins Rennen? Eher 1.000, lach ich, aber wahrscheinlich machts dann doch der Siebel. Ich bewerb mich jedenfalls nicht, sagt mein Vater, gegen den Partsch ist eh jeder Kandidat chancenlos. Stimmt, sagt meine Mutter.

Die OB-Wahl wird wie der Bieranstich beim Heinerfest, sag ich, ein Schlag – und sitzt. Der Partsch, sagt mein Vater, hätte halt auch das Zeug zum Großherzog. Jochen Partsch ist ein Demokrat, sagt meine Mutter. Ein lupenreiner, sag ich, deswegen wird er ja auch problemlos wiedergewählt. Problemlos, sagt mein Vater, ich weiß nicht, allzuviel darf nicht mehr schief laufen, sonst kippt die Stimmung endgültig um. Aha, sagt meine Mutter, was läuft den schief? Erklärs ihr, sagt mein Vater.

Lilienstadion, Nordbad, Bauderzernentin, sag ich, reicht das? Oder noch mehr? Die hochgelobte Baudezernentin, lacht mein Vater, zusch, zusch – weg war sie. Hat sie nicht noch im Juni gesagt, sag ich, dass sie ihren Vertrag in Darmstadt erfüllen wird? Und, fragt meine Mutter, was kann der OB dazu? Nix, sagt mein Vater, trotzdem scheiße für die Grünen und damit auch für ihn. Er kann auch nix dafür, dass der Schuster weg ist, sag ich, trotzdem sieht das ein Teil des Volkes anders. Und bitte, fragt meine Mutter, was kann er fürs Nordbad?

Das Nordbad wird mit 34 Mio doppelt so teuer, sag ich, Planungs-Blamage für die ganze Stadtregierung. Die Leute, sagt mein Vater, merken langsam, dass unter Grün-Schwarz der gleiche Mist passiert, der bislang exklusiv der SPD zugerechnet wurde. Und transparenter, sag ich, wird auch nicht kommuniziert. Siehe Stadion, sagt mein Vater, wer verarscht hier eigentlich wen? Wie meinst du das, fragt meine Mutter. Na, sagt mein Vater, Uwiga kriegt ne Abfuhr in der Stavo in Sachen alternativem Standort und zwei Monate später erklärt der OB höchst selbst, dass sie schon seit einem halben Jahr danach suchen.

Drei Jahre in den Sand gesetzt, sag ich, ich kann mich erinnern, dass ich schon damals in meiner Glosse … Ja, ja, sagt meine Mutter, spiel du Grünschnabel dich jetzt noch als Neunmalklug auf. Sie hat aber recht, sagt mein Vater, und es ist längst nicht raus, ob die Lilien mit der provisorischen Modernisierung die Lizenz behalten. In dem Fall, sag ich, wär ich dafür, dass der OFC in die Bundesliga nachrückt, das wär wenigstens ein gerechter Ausgleich.

Dunkle Wolken über Darmstadt, sagt mein Vater. Erst kam der Frühlingssturm, sag ich, dann die Sommerturbulenzen. Wie, sagt mein Vater. Na ja, sag ich, ich wollte auch mal was Positives sagen. Frühlingssturm, Gemälde, Mathildenhöhe, sagt meine Mutter. Ach so, sagt mein Vater, hingegen kommt ein neues Stadion nie. Genau, sag ich, und was haben der Marienplatz und das neue Stadion gemeinsam? Ich höre, sagt meine Mutter. Es wird nicht gebaut, sag ich. Mein Vater kichert: Die alte Darmstädter Leitkultur lebt wieder auf! Welche, fragt meine Mutter.

Die optimale Beendigung des Planungsprozesses ist die Nichtrealisierung zum spätmöglichsten Zeitpunkt, sagt mein Vater und lacht laut. Meine Mutter geht raus und schlägt die Tür zu. Mein Vater guckt mich an. Ich konstatiere, sag ich, atmosphärische Störungen.

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