Nebensachen

Darmstadt-Glosse #118 Juni 2018

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Fußball ist die schönste Nebensache der Welt, sagt mein Vater. Naja, sagt meine Mutter, bei euch hat man eher das Gefühl, es geht um Leben und Tod. Mama, sag ich, es ist noch viel ernster. Wie bitte, ruft meine Mutter. Warn Scherz, sag ich. Altbekannter Fußballspruch, sagt mein Vater. Ah ja, Insider unter sich, sagt meine Mutter, Hauptsache, ihr habt Spaß. Wo es am Spaß fehlt, sag ich, fehlt es im Grunde am Ernst. Ah, sagt meine Mutter, noch so eine Fußballweisheit. Nein, sagt mein Vater, Jean Paul, ein metaphernsüchtiger Autor des ausgehenden 18. Jahrhunderts.

Metapher wirklich nicht mehr trinken, sag ich. Wie bitte, haucht meine Mutter. Robert Gernhard, sagt mein Vater, bilden Sie mal nen Satz mit Metapher. Jo, sag ich: Herr Kapitän, der Steuermann hat grade lallend kundgetan, er brächte jetzt das Schiff zum Sinken - me taph er wirklich nicht mehr trinken. Ihr seid wohl auch betrunken, sagt meine Mutter. Joh, sagt mein Vater, ich halts da mit Wuttke. Mit wem, fragt meine Mutter. Wolfram Wuttke, sag ich, Fußballer und ultimativer Kultspruchmacher. Immer, wenn ich breit bin, werd ich spitz, sagt mein Vater. Ich geh dann wohl mal besser, sagt meine Mutter. Nee Mama, bleib, sag ich, war nicht persönlich gemeint.

Die Lilien haben den Klassenerhalt geschafft, sagt mein Vater. Ah, sag ich, Themenwechsel, aber okay, ich hab mir deswegen nie Sorgen gemacht. Stimmt, sagt meine Mutter, auch wegen deines Klassenerhalts damals in der 8 nicht. Schule war deine schönste Nebensache, sagt mein Vater. Die beschissenste, sag ich, und seit dem weiß ich, dass ein Klassenerhalt kein Grund zum Feiern ist. 10. Platz immerhin, sagt mein Vater, Kempes Siegtor bringt glatte 600.000 Fernsehgelder mehr. Und die Gegengerade bleibt stehen, sag ich, bis Hamburg und Köln hier waren. Auch das bringt Kohle, sagt mein Vater.

Noch was ganz anderes, sag ich, wer ist eigentlich Kleingartendezernent? Bitte was, fragt meine Mutter. Sie meint, sagt mein Vater, wer die geile Informationspolitik zu verantworten hat über das Gift an der Ziegelhütte. Kleingärtnerei, sag ich, auch so ne mega Nebensache. Immerhin, sagt mein Vater, schon in zwei Jahren soll der kontaminierte Boden ausgetauscht werden. Da gings aber vorm Maison du Pain schneller, sag ich.

Alexandra hätte geweint, sagt mein Vater. Der Satz ist für deine Tochter nicht nachvollziehbar, sagt meine Mutter. Doch, sag ich, mein Freund, der Baum ist tot. Für Frau - Achtung - Förster, sagt mein Vater, war das argumentativ nachvollziehbar, sie will aber noch mal drüber reden. Eine neue Qualität des Darmstädter Redde mer nochemol driwwer, sag ich. Früher, sagt mein Vater, diente das dazu, den Vollzug zu verhindern, hatte also noch Sinn. Hats heute auch noch, sag ich. Wieso, fragt meine Mutter. Das nennt man, sagt mein Vater, postfaktische Bürgerbeteiligung.

Bei der SPD gibts gar keine Bürgerbeteiligung, sagt meine Mutter. Ah ja, sagt mein Vater, und die GroKo? SPD, sag ich, für Vorsitzende die kurzfristigste Nebensache der Welt. Wir haben jetzt eine Vorsitzendeee, sagt mein Vater. Toll, sagt meine Mutter, wie die Grünen, die CDU, die Linke und die AfD, aber immerhin noch vor dem Vatikan. Ach, ich dachte, sag ich, Andrea Nahles macht ein freiwilliges sozialdemokratisches Jahr.

Noch mal was anderes, sagt mein Vater, wer wird Weltmeister? Holland, sagt meine Mutter. Der ist gar nicht dabei, sag ich. Echt nicht, fragt meine Mutter. Hihi, ja, sag ich, und auch Wagner nicht, und er hat sofort beweisen, das Jogi richtig entschieden hat. Aber Özil und Gündogan sind dabei, sagt mein Vater, obwohl sie den türkischen Despoten unterstützen. Und das ganze DFB-Team, sag ich, obwohl sie damit den russischen Despoten unterstützen. Und der DFB-Vorstand, sagt mein Vater, der jetzt mit dem chinesischen Fußballverband kooperiert. In Sachen Menschenrechte, sag ich. Ja, sagt meine Mutter, Fußball ist die schönste Nebensache der Welt.

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