Punkte sammeln

Darmstadt-Glosse #128 April 2019

by

©Thea Nivea

Hi, ich bin Thea Nivea

Nivea hab ich von meinem Vater. Weil ich als Kind mal Nivea gegessen habe. Erklärt er jedem, ders nicht hörn will. Überhaupt erklärt er reichlich viel. Damit ich durchblicke, sagt er. Dabei blick ich schon durch, sogar bei Politik. Oder bei Fußball. Und erklär ihm auch manchmal was. Oder meine Mutter mischt sich ein. Was dabei raus kommt, na ja, könnt Ihr selbst lesen, jeden Monat. Wenn Ihr mir was erklärn wollt, schreibt mir einfach: t.nivea@frizzmag.de



Als gebürtiger Offenbacher, sagt mein Vater, ist es eine sehr schmerzliche Erfahrung mit ansehen zu müssen, wie tief der Deutsche Fußball gesunken ist und dass ausgerechnet Eintracht Frankfurt die deutsche Ehre hochhalten muss. Und ganz alleine UEFA-Punkte sammelt, sag ich, einem Lilienfan gehts damit übrigens nicht besser. Trotzdem, Respekt davor wie die kicken, sagt mein Vater. Und politisch ticken, sag ich, vor allem der Präsident. Das letzte Mal, dass ein Österreicher namens Adolf H. eine deutsche Truppe erfolgreich durch Europa geführt hat, sagt mein Vater, nahm das ein schlimmes Ende.



So einen zynischen Humor, sagt meine Mutter, haben nur gebürtige Offenbacher. Oder versteckte OFC-Fans, sag ich, das hat mit dem Leidensdruck bei Erfolglosigkeit zu tun. Stimmt, sagt meine Mutter, seit die Lilien wieder Punkte sammeln, seid ihr entspannter. Drei Siege in vier nachschusterlichen Spielen, sag ich, das kann sich sehen lassen. Und plötzlich, sagt mein Vater, können die sogar Fußball spielen.



Apropos zynischer Humor, sag ich zu meiner Mutter, weißt du, wer auch gebürtiger Offenbacher ist? Euer obergrüner hessischer Großwazir, antwortet mein Vater. Dann sei mal ein bisschen stolz, sagt meine Mutter. Worauf, frag ich, in Offenbach geboren oder ein Grüner zu sein? Grün zu sein, sagt mein Vater, wär mir derzeit etwas peinlich, zumindest in Darmstadt. Warum, fragt meine Mutter. Na ja, sagt mein Vater, Bäume fällen für ein nicht zu Ende gedachtes Straßenbahnprojekt und sich freikaufen mit Ökopunkten vom Oberfeld. Aber immerhin, sag ich, sie pflanzen ja auch ein paar nach, hier zwei Hassia-Bäumchen, da zwei Adesta-Bäumchen. Bringt Publicity, sagt mein Vater, und der Magistrat ist auch mal voll im Bild. Im übertragenen Sinne, sag ich, voll auf den Öko-Punkt gebracht.



Ist doch ganz praktisch, sagt mein Vater, das System. Welches System, fragt meine Mutter. Der Öko-Ablasshandel, sag ich, könnte man doch auch auf Privat übertragen: Ich verdiene mir meinen Barcelona-Flug mit ÖPNV und Radfahren. Ah ja, sagt mein Vater, und der OB fährt das ganze Jahr E-Bike statt Dienstwagen, damit er zwischen den Jahren in die Karibik fliegen kann. Jeder Kilometer mit dem Fahrrad statt mit dem Auto, sagt meine Mutter, spart 140 g CO2 ein. Ein Überseeflug erzeugt 3,65 Tonnen CO2 pro Passagier, sagt mein Vater. Macht, sag ich, ungefähr 70,2 km am Tag, dann mal los.



Dann muss man halt noch ein paar Mal zum Oberfeld, sagt mein Vater, zum Kaffeetrinken. Oder ohne Plastikbecher Eis essen, sag ich. Waffel oder Mehrweg, sagt meine Mutter, nur das bringt was. Genau, sag ich, der Bioplastik-Eisbecher von Da Carlo ist voll der Müll. Bei der Herstellung entsteht zwar weniger CO2, aber wg. des Maisanbaus verhagelts die Bilanz, die ist genauso schlecht wie beim Erdölbecher. Dazu kommt noch, sagt mein Vater, dass der Mais als Nahrungsmittel wegfällt. Und die Becher landen sowieso im Straßenmülleimer und werden verbrannt. Aus der Kompostanlage müssten sie rausgesammelt werden, sag ich, weil sie sich zu langsam zersetzen, genauso, wie die Bioplastiktüten, das ist alles Fake. Schön sagt meine Mutter, dass wir uns mal so einig sind.



Lieber grüner Pfeil statt grüner Punkt, sag ich. Ah, sagt mein Vater, wir sollen über Verkehrspolitik reden. Du bringst es auf den Punkt, sag ich. Also, sagt meine Mutter, wir sind alle für Tempo 30 auf dem City-Ring, oder? 100 Punkte, sag ich, und für die Verlängerung der Lichtwiesenbahn bis zur Odenwaldbahn. Und für eine Straßenbahn von Groß-Zimmern bis Weiterstadt, sagt mein Vater. Und für Bijan Kaffenberger, sag ich, als Moderator des Konfliktes zwischen der grünen Oberförsterin und dem Landkreis. Und für die Überarbeitung des Radfahrkonzepts an der Kreuzung Rhein- und Kasinostraße, sagt mein Vater. Moment, sagt meine Mutter, das hat die Stavo gerade beschlossen. Eben, sag ich, wenn ihr das revidiert, könntet ihr ne Menge Punkte sammeln. Und, sagt mein Vater, euch damit von der Realisierung freikaufen. Der Offenbacher halt, sag ich zu meiner Mutter.
Back to topbutton