Pandemisches

Darmstadt-Glosse #140 April 2020

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©Thea Nivea



Hi, ich bin Thea Nivea.

Nivea hab ich von meinem Vater. Weil ich als Kind mal Nivea gegessen habe. Erklärt er jedem, ders nicht hörn will. Überhaupt erklärt er reichlich viel. Damit ich durchblicke, sagt er. Dabei blick ich schon durch, sogar bei Politik. Oder bei Fußball. Und erklär ihm auch manchmal was. Oder meine Mutter mischt sich ein. Was dabei raus kommt, na ja, könnt Ihr selbst lesen, jeden Monat. Wenn Ihr mir was erklärn wollt, schreibt mir einfach: t.nivea@frizzmag.de


Panik und Polemik, sag ich, geht beides gerade gar nicht. Und vorläufig wird das auch das letzte analoge Glossen-Gequatsche mit euch sein, ihr seid schließlich Risikogruppe. Sehr vernünftig für dein Alter, sagt mein Vater, wär schön, wenn sich alle so verhalten. Letzte Woche gabs noch Idioten, sag ich, die Corona-Partys feiern wollten, die sind jetzt ein bisschen nachdenklicher geworden. Das ist gut so, sagt meine Mutter, die Ausbreitungskurve muss unbedingt abgeflacht werden.

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Wir wollen keine italienischen Verhältnisse, sagt mein Vater. Dazu mal ein paar Fakten, sag ich: In Italien gibt es bei 60 Mio. Einwohnern 7.000 medizinische Intensivplätze, in Deutschland bei 82 Mio. 28.000. Die Sterberate liegt in Italien aktuell bei über 8 %, bei uns deutlich unter 1 %. Das ist noch beruhigend, sagt meine Mutter, wenn aber die Maßnahmen nicht greifen, dann kollabiert auch das deutsche Gesundheitssystem. Ostern wissen wir mehr, sagt mein Vater, da ist dann ja die Auferstehung angesagt.

Vielleicht die Auferstehung der Vernunft, sag ich, Vernunft und Einsicht herzustellen wäre besser als Verbote. Die offenbar pubertäre Trotzreaktionen herausfordern, sagt meine Mutter. Wieder siehe Italien, sag ich, die Handybewegungsdaten dort haben ergeben, dass 40 % der Italiener immer noch ganz normal unterwegs sind. Ist bei uns nicht viel anders, sagt meine Mutter, das ist mir gestern beim Einkaufsgang aufgefallen. Und da musste sogar Security am Klopapier stehen, damit jeder maximal eine Packung mitnimmt.

Vielleicht wars ein Fehler, sag ich, zu sagen, dass die meisten Verläufe harmlos und nur die Alten und Schwachen gefährdet sind. Nur, fragt meine Mutter. Eben, sag ich, aber noch mal Italien, da sind jetzt inzwischen 10 % der Intensivpatienten unter 50 Jahre. Der französische Staatspräsident spricht von Krieg, sagt mein Vater. Ein etwas martialischer Vergleich, sagt meine Mutter. Trifft aber insofern zu, sagt mein Vater, dass es Einschränkungen gibt wie zuletzt im 2. Weltkrieg, der in unserer Gegend übrigens vor ziemlich genau 75 Jahren zu Ende war.

Die Erde wehrt sich gegen die Menschen, sag ich. Eine sehr philosophische Metapher, sagt meine Mutter. Hat Jogi Löw gesagt, sagt mein Vater, er spricht auch von einem kollektiven Burnout der Welt. Respekt, sagt meine Mutter. Immerhin, sag ich, dem Klima hilft die Corona-Krise gewaltig. Die Lufthansa hat 95 % aller Flüge gestrichen, Autofirmen stellen die Produktion ein, der ganze aufgeheizte globale Markt fährt runter. 2020 wird die CO2-Emission erstmal sinken, Satellitenbilder zeigen smogfreie Industriegebiete und in China sehen viele Kinder erstmals den blauen Himmel.

Schon komisch, was jetzt alles geht, sagt meine Mutter, was von den FFF-Forderungen immer als utopisch zurückgewiesen wurde, passiert jetzt einfach so. Weil sich Menschen nur auf unmittelbare Bedrohungen einlassen können, sagt mein Vater. Als Corona noch in China war, war das so relevant wie der berühmte Reissack. Die Chinesen und die Koreaner haben es hingekriegt, sagt meine Mutter, die Kurve zu kriegen und abzuflachen. Mit Autorität und Disziplin, sagt mein Vater.

Hier wird es auf die sozialen Verhaltensformen ankommen, sag ich, darauf, dass Menschen trotz radikaler Einschränkungen solidarisch und konstruktiv bleiben. Ja, sagt meine Mutter, es muss wieder mehr um die humanen Fragen gehen. Wär doch schön, wenn Geld nicht mehr so die große Rolle spielt. Allerdings, sag ich, gehts den Kneipiers, Einzelhändlern, Freiberuflern und so gerade ziemlich an die Existenz. Da ist ganz klar der Staat gefordert, sagt mein Vater. Und die Solidarität, sagt meine Mutter. Genau, sag ich, du könntest ja deinen Geigenlehrer weiter bezahlen, obwohl kein Unterricht mehr ist. Wir machen Unterricht, sagt meine Mutter, aber über Skype. Wir werden uns noch wundern, sagt mein Vater, wie weit die Ökonomie schrumpfen kann, ohne dass ein Zusammenbruch tatsächlich passiert. 

In jeder Krise liegt ja auch eine Chance, sag ich, vielleicht schafft ja dieses verdammte Virus den Systemwechsel, an den schon niemand mehr geglaubt hat, ganz ruhig, gelassen und ohne Panik.


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