Familienlogistik

Darmstadt-Glosse #142 Juni 2020

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©Thea Nivea



Hi, ich bin Thea Nivea.

Nivea hab ich von meinem Vater. Weil ich als Kind mal Nivea gegessen habe. Erklärt er jedem, ders nicht hörn will. Überhaupt erklärt er reichlich viel. Damit ich durchblicke, sagt er. Dabei blick ich schon durch, sogar bei Politik. Oder bei Fußball. Und erklär ihm auch manchmal was. Oder meine Mutter mischt sich ein. Was dabei raus kommt, na ja, könnt Ihr selbst lesen, jeden Monat. Wenn Ihr mir was erklärn wollt, schreibt mir einfach: t.nivea@frizzmag.de

Schön, dass du da bist, sagt meine Mutter, das Rumgeskype ist nicht mein Ding. Danke für Spargel und Erdbeeren, sagt mein Vater, machen wir dann zum Abendessen auf der Terrasse. Wenn ich nicht schälen muss, sag ich, ist ja auch wg. des Abstands besser, ihr macht das alleine. Ich bin zwar Risikogruppe, sagt mein Vater, aber ich falle nicht auf blöde Ausreden rein.

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Wir müssen den R-Faktor niedrig halten, sagt meine Mutter, wir machen das lieber alleine. Sag ich doch, sag ich, aber diesen ganzen Zahlenkram musst du nicht so ernst nehmen. Wieso, fragt meine Mutter. Erkläre ich dir gern, sag ich, braucht aber ein bisschen. Du gehörst aber nicht zu diesen Verschwörungstheoretikern, fragt meine Mutter. Unsere Tochter, sagt mein Vater, hatte schon immer einen rationalen Hang zur Mathematik. Also, sagt meine Mutter, ich höre.

Wir kriegen ja jeden Abend ein Corona-Update, sag ich, auf allen Sendern, tolle Zahlen, die aber nicht viel taugen. Ich finde das sehr informativ, sagt meine Mutter. Okay, sag ich, dass man die Zahl der Infizierten immer weiter aufaddiert, ist ja ganz nett. Dein Vater, sagt meine Mutter, liest das wie seine Fußballtabellen. Genau, sagt mein Vater, die USA führt, Russland hatte gerade Platz 2 erobert, aber dann haben die Brasilianer das Feld von hinten aufgerollt und Russen und Briten von Platz 2 und 3 verdrängt. Die Zahlen, sag ich, hätten ja noch halbwegs einen Wert, wenn man sie ins Verhältnis zur Bevölkerung setzen würde. Also mir ist es schon wichtig zu wissen, sagt meine Mutter, wie viele Infizierte wir haben.

Genau das wissen wir eben nicht, sag ich, wir wissen nur, wie viele Menschen positiv getestet wurden. Stimmt, sagt mein Vater nachdenklich, wir erfahren nicht mal, wie viele negative Tests es gab. Vor allem, sag ich, haben wir keine Ahnung, wie viele Menschen infiziert wurden, ohne je Symptome gezeigt zu haben, weil die ja nicht getestet werden. Aber wir wissen immerhin, sagt meine Mutter, dass Deutschland eine niedrige Rate an Toten hat.

Laut RKI ca. 4,5 %, sag ich, Mitte Mai 176.000 Infizierte und 7.900 Tote, rein prozentrechnerisch richtig. Ich verstehe, sagt mein Vater, nicht 4,5 % der Infizierten sind gestorben, sondern 4,5 % der positiv Getesteten. Genau, sag ich, und wer wird überwiegend getestet? Risikopatienten, die außerdem noch Symptome hatten. Es gibt jetzt erste Studien, die sagen, dass nur jeder zehnte Infizierte krank wird, also möglicherweise auch getestet. Dann wäre die Sterberate nicht mehr 4,5 sondern nur noch 0,45 %.

Die Zahl der Genesenen wäre dann ja auch Quatsch, sagt mein Vater. Quatsch nicht, sag ich, aber reichlich sinnfrei, weil Infizierte, die gar nicht erst krank werden, eigentlich auch gezählt werden müssten. Das würde sehr zur Beruhigung beitragen, sagt meine Mutter. Besonders zu deiner, sagt mein Vater, und etliches an aufkommendem Verschwörungsblödsinn verhindern. Und man könnte, sag ich, alles ein bisschen lockerer angehen.

Und nicht nur Imbissbuden zulassen, sagt mein Vater, sondern auch Kinderkarussells aufstellen auf dem grünen Darmstädter Selbsterzeugermarktplatz, jeden Tag, solange die KITAs noch zu sind. Gute Idee, sag ich, besser jedenfalls, als die Kinder tagsüber in den Biergarten zu schicken, wie in Bayern. Was machen die in Bayern, fragt meine Mutter. Nix, war ein Witz, sagt mein Vater, liest du nicht den Postillon? Nee, sagt meine Mutter, nicht mal das Echo. Aber, sag ich, jeden Abend brav Nachrichten gucken.

Heute mal nicht, sagt meine Mutter, wir müssen mal aufhören zu quatschen. Stimmt, sagt mein Vater, ich hab Hunger und wir haben noch nicht geklärt, wer die Kartoffeln schrubbt. Du, sagt meine Mutter, ich die Spargel, Thea die Erdbeeren. Ich garantiere für einen niedrigen R-Faktor, sag ich. Schön, sagt meine Mutter, dann geh dir schnell die Hände waschen und setz deine Maske auf. Hände geht klar, sag ich, Maske nicht. Ich vermute, sagt mein Vater, sie meint einen anderen R-Faktor, R wie Rest, also von den Erdbeeren. Genau, sag ich, die Guten ins Kröpfchen. Es hat sich nichts geändert, seufzt meine Mutter. Trotzdem, sagt mein Vater, schön, dass du da bist.

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