Roller und andere Plagen

Darmstadt-Glosse #146 Oktober 2020

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©Thea Nivea



Hi, ich bin Thea Nivea.

Nivea hab ich von meinem Vater. Weil ich als Kind mal Nivea gegessen habe. Erklärt er jedem, ders nicht hörn will. Überhaupt erklärt er reichlich viel. Damit ich durchblicke, sagt er. Dabei blick ich schon durch, sogar bei Politik. Oder bei Fußball. Und erklär ihm auch manchmal was. Oder meine Mutter mischt sich ein. Was dabei raus kommt, na ja, könnt Ihr selbst lesen, jeden Monat. Wenn Ihr mir was erklärn wollt, schreibt mir einfach: t.nivea@frizzmag.de


Ich hatte ja gehofft, sagt meine Mutter, diese Plage bleibt Darmstadt erspart. Ich bin schon mal mit einem gefahren, sag ich. Töchterchen ist immer vorne dabei, sagt mein Vater, wenn was nach Darmstadt kommt. Um das mal vorweg klarzustellen, sag ich, ich halte die Dinger für bescheuerten Hipster-Schwachsinn. Im Prinzip bin ich auf deiner Seite, sagt meine Mutter. Und warum bist du dann damit gefahren, fragt mein Vater.



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Ich wollts halt mal ausprobieren, sag ich, und es ist als kleiner Spaßfaktor ganz okay. Angeblich sind E-Scooter ja ein Beitrag zur Verkehrswende, sagt meine Mutter. Ein tierisch gutes Argument, sagt mein Vater. Alles Quatsch, sag ich, es gibt ne Studie, nach der drei Viertel der Rollernutzer sonst zu Fuß gegangen wären oder ÖPNV benutzt hätten, und so gut wie niemand lässt dafür sein Auto stehen. Immerhin sollen die Roller ja umweltfreundlich sein, sagt mein Vater.



Von wegen, sag ich, auch das ist längst widerlegt, abgesehen mal von der Produktion und der kurzen Haltbarkeit, die Dinger werden von Juicern in Uralt-Diesel-Transportern eingesammelt und zu Hause aufgeladen, mit Strom aus der Steckdose. Vielleicht ja ein nächtlicher Zusatzverdienst für Paketauslieferer, sagt mein Vater. Ist das wirklich so, fragt meine Mutter. Ja, sag ich, diese armen Schweine gelten vertraglich als selbstständig und tragen alle Kosten und Risiken. Vorschriften zu Mindestlohn und Arbeitszeiten, sagt mein Vater, werden damit mal wieder außer Kraft gesetzt.



Jedenfalls, sag ich, hat ein voll besetzter Dieselbus ne bessere Klimabilanz als ein E-Scooter. Und, sagt meine Mutter, Heag mobilo setzt jetzt ja immer mehr Elektrobusse ein. Und, sag ich, die Dinger sind scheißteuer, ich bin damit ne knappe Stunde rumgefahren und hatte 10 Euro an der Backe, ne ÖPNV-Tageskarte kostet gerade mal die Hälfte. Steht also zu vermuten, sagt mein Vater, dass der Hype von alleine wieder vorbeigeht. In Darmstadt vielleicht, sag ich, in Frankfurt vielleicht nicht, da kann ich mir schon vorstellen, dass so ein paar smarte Investmentbanker ihre italienischen Lederschühchen schonen wollen und lieber einem E-Roller als ihrem Deo-Roller vertrauen, wenn sie sich mal eben schnell ne Chai-Latte holen.



Du meinst wirklich, fragt meine Mutter, die Darmstädter sind vernünftiger? Könnte sein, sag ich, pragmatischer sind sie auf jeden Fall. Vor allem die Grünen, sagt mein Vater. Wie meinst du das, fragt meine Mutter. Naja, sagt mein Vater, das Bürgerbegehren Klimaentscheid lehnen sie formal ab, stehen aber angeblich inhaltlich voll dahinter. Und noch pragmatischer, sag ich, sie sammeln die Frontfrau ein für ihre Stavo-Liste. Ein bewährtes Muster, sagt mein Vater.



Ist das etwa verwerflich, fragt meine Mutter. Nö, sag ich, im Gegenteil, blöd, wers nicht macht. Die FDP, sagt mein Vater, würzt ihre Liste mit rausgepfefferten Ex-SPDlern und die CDU greift tief in die Gastro- und Facebook-Protagonistenkiste. Du meinst, sag ich, meinen alten FRIZZ-Kellerloch-Nachbarn. Genau, sagt mein Vater, nur dieser arme Wixhäuser Ex-OB-Kandidat darf bei der CDU nicht mitmachen, weil er gegen den von der CDU unterstützten grünen Großherzog kandidiert hat. Das, sagt meine Mutter, war wohl eher eine unglücklich formulierte Begründung der CDU.



Es wird jedenfalls spannend, sagt mein Vater, wo jetzt neben der BBD auch noch so ne Art Retro-WGD antritt. Jedenfalls, sag ich, wird die SPD nur mäßig zur Spannung beitragen. Außer innerparteilich, sagt meine Mutter. Solange, sagt mein Vater, ein paar selbsternannt aufrechte Genossen öffentlich aggressives Wundenlecken betreiben, wirds tatsächlich nix. Oder nicht viel mehr als letztes Mal, sag ich, aber die SPD-Liste ist ja sehr jung, da kommts auf fünf mehr oder weniger machtlose Jahre nicht so an.



Warten wirs doch erst mal ab, sagt meine Mutter, mir wäre schon recht, wenn uns die eine oder andere Plage erspart bliebe. Damit meinst du aber jetzt nicht die SPD, fragt mein Vater. Nein, sagt meine Mutter, alles was rechts ist, da gibt es größere Plagen. Sogar, sag ich, größere Plagen als Roller.



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