Alles ist so volatil

Darmstadt-Glosse #188 April 2024

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©Thea Nivea


Hi, ich bin Thea Nivea.

Nivea hab ich von meinem Vater. Weil ich als Kind mal Nivea gegessen habe. Erklärt er jedem, ders nicht hörn will. Überhaupt erklärt er reichlich viel. Damit ich durchblicke, sagt er. Dabei blick ich schon durch, sogar bei Politik. Oder bei Fußball. Und erklär ihm auch manchmal was. Oder meine Mutter mischt sich ein. Was dabei raus kommt, na ja, könnt Ihr selbst lesen, jeden Monat. Wenn Ihr mir was erklärn wollt, schreibt mir einfach: t.nivea@frizzmag.de




Ich fänds schlimmer, sagt mein Vater, wenn alles persistent wäre. Volatil, persistent, sagt meine Mutter, könnt ihr mal etwas barrierefreier reden? Dann klingts aber nicht so klug, sag ich. Sag einfach mal nen Satz mit volatil und persistent, sagt mein Vater. Die Gewerbesteuereinnahmen sind zu volatil, sag ich, als dass sich darauf eine persistente Haushaltsplanung aufbauen ließe. Ach so, sagt meine Mutter, weil der Stadtkämmerer nie weiß, wie viel Gewerbesteuereinnahmen er letztlich hat, kanns passieren, dass es schwierig wird mit seiner Haushaltsplanung.


Quod erat demonstrandum, sagt mein Vater. Was noch bewiesen wurde, sag ich, dass beim Darmstädter Haushalt die Demokratie funktioniert hat. Einhergehend mit drastischen Steuererhöhungen, sagt mein Vater. So what, sag ich, das passiert halt, wenn die Einnahmen zurückgehen. Auf Offenbacher Niveau, sagt mein Vater. Der Faktor Zufall ist bei der Gewerbesteuer halt zu groß, sagt meine Mutter. Dann hoffen wir mal, sag ich, dass das eine volatile Erscheinung war und nicht der Beginn einer persistenten Einnahmekrise ist. Also, sagt mein Vater, eher eine Wettererscheinung als Folge des Klimawandels.


Wie die Blaualgen in der Grube, sag ich. Blaualgen im Januar, sagt meine Mutter, ein gruseliges Szenario, unglaublich. So unglaublich, sagt mein Vater, dass es selbst das Umweltamt nicht glauben wollte. Ich kannte Blaualgen bisher auch nur, sag ich, im Sommer und im Arheilger Mühlchen. Das Ende der Naturbadeseen naht, sagt mein Vater. Es leben die gechlorten Kunstbadebecken, sag ich. 


Die ersten Krokusse, sagt meine Mutter, gabs dieses Jahr auch schon im Januar. Februar, sag ich, ist ja inzwischen schon normal. Und die Schneeglöckchen, sagt mein Vater, blühn im September. Sehr witzig, sag ich. Das kannst du nicht wissen, sagt meine Mutter, das ist der Titel eines Films aus den 70er-Jahren. Über einen Arbeiterkampf in einem deutschen Industriebetrieb, sagt mein Vater. Sozi-Nostalgie, sagt meine Mutter.


Apropos Sozi-Nostalgie, sag ich, die Darmstädter SPD hat einen tollen neuen Vorsitzenden. Genau, sagt mein Vater, ein reibungsloser Wechsel von Tim Huss auf Bijan Kaffenberger. Mir ist der sehr sympathisch, sagt meine Mutter, aber er scheint ja jetzt zum Parteifunktionär zu werden. Bijan nicht, sag ich. Obwohl, fragt mein Vater, er auch zum Schatzmeister der Landes-SPD gewählt worden ist? Ein eher volatiler Job, sag ich, vermute ich. 


Die Darmstädter CDU, sagt mein Vater, ist da persistenter. Stimmt, sagt meine Mutter, Paul Wandrey bleibt Vorsitzender. Deshalb, sag ich, kommt es jetzt zu einer Renaissance der Realpolitik, den Mobilitätsfrieden hat er ja schon eingeläutet. Genau, sagt mein Vater, schließlich sollte eine ausgewogene Verkehrspolitik nicht darauf abzielen, die Menschen zu erziehen. Gilt das auch für Poser, fragt meine Mutter, die mit röhrenden Motoren durch die Grafenstraße fahren? Das ist, sagt mein Vater, eine Art Artikulation von Lebensgefühl. Aber eine sehr spezielle, sagt meine Mutter.


So wie das Spazierengehen, sag ich, durch den neuen Grünzug im Edelsteinviertel. Ah ja, sagt mein Vater, diese Parkanlage zur Förderung von Biodiversität und Lebensqualität. Ironie funktioniert nicht in der Politik, sagt meine Mutter. Welche Ironie, frag ich, Biodiversität ist unabdingbar für unsere Lebensqualität. Angeblich, sagt mein Vater, sinkt ja die Schadstoffbelastung in Darmstadt. Ja, sag ich, nach Messdaten des Hessischen Landesamts sind die Stickstoffdioxid-Werte rückläufig. Damit das persistent wird, sagt meine Mutter, müsste das Dieselfahrverbot auf die ganze Innenstadt ausgeweitet werden.


Für die Poser in der Grafenstraße, sagt mein Vater, wäre das kein Problem. Wieso, fragt meine Mutter. Weil es vielleicht, sag ich, keine Ferraris mit Dieselmotor gibt? Eine Corvette-Diesel, sagt mein Vater, gabs aber mal. Reden wir jetzt persistent über Autos, fragt meine Mutter. Nein, sagt mein Vater, das ist eher ein volatiles Thema. Die Persistenz in unseren Gesprächen, sag ich, ist die Volatilität unserer Themen. Na dann, sagt meine Mutter.
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