Fußabdrücke

Darmstadt-Glosse #134 Oktober 2019

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©Thea Nivea

Hi, ich bin Thea Nivea

Nivea hab ich von meinem Vater. Weil ich als Kind mal Nivea gegessen habe. Erklärt er jedem, ders nicht hörn will. Überhaupt erklärt er reichlich viel. Damit ich durchblicke, sagt er. Dabei blick ich schon durch, sogar bei Politik. Oder bei Fußball. Und erklär ihm auch manchmal was. Oder meine Mutter mischt sich ein. Was dabei raus kommt, na ja, könnt Ihr selbst lesen, jeden Monat. Wenn Ihr mir was erklärn wollt, schreibt mir einfach: t.nivea@frizzmag.de


Ich hab mal meinen ökologischen Fußabdruck gecheckt, sag ich. Aha, sagt mein Vater, lobenswert, nicht nur zu demonstrieren, sondern auch am eigenen Verhalten was zu ändern. Je mehr man sich damit beschäftigt, sag ich, desto frustrierender ist es. Wieso, fragt meine Mutter. Weil, sag ich, selbst wenn ich theoretisch alles optimiere, was ich selbst machen kann, brauche ich immer noch zwei Erden. Erklär mal, sagt meine Mutter. Ich hab mal zum Test überall das klimaschonendste Verhalten eingegeben, sag ich, dann kommt die Aussage, dass ich individuell alles gut mache und mehr nur geht, wenn ich mich klimapolitisch engagiere.

Wir sind halt alle gefangen in einem profitorientierten System, sagt mein Vater. Genau, sag ich, und das sehen viele so, es waren nicht umsonst so viele Menschen auf der Straße am 20. September. Die GröDaZ von Darmstadt, sagt mein Vater. Was bitte, fragt meine Mutter. Größte Demo aller Zeiten, sag ich. Und es waren nicht nur junge Leute, sagt meine Mutter. Trotzdem ist es echt traurig, sag ich, dass erst die Kids laut werden mussten, damit die Erwachsenen, die es ja besser wissen müssten, über den Klimawandel reden. Reden, sagt mein Vater, handeln müssten sie, das Klimapaket der GroKo ist bestenfalls ein Päckchen.

10 € für ne Tonne CO2 ab 2021 ist ein Witz, sag ich, der aktuelle Zertifikatepreis für die Industrie liegt bei 26 €. Mindestens 70 € müsste das kosten, sagt meine Mutter, damit es wirksam wird. Das Benzin, sag ich, wird damit nur um etwa 3 Cent teurer, gleichzeitig kriegen die Pendler 5 Cent mehr Entlastungspauschale, welch Anachronismus. Immerhin, sagt mein Vater, steigt der CO2-Preis 2022 auf 20 € und dann jährlich um 5 €, 2025 sinds dann 35 €. Super, sag ich, das meint Mutti Merkel wahrscheinlich, wenn sie sagt: Der Mechanismus wird am Anfang sehr langsam sein, dann aber anziehen. So ist sie halt, sagt mein Vater, wir haben ja alle Zeit der Welt.

Deutschland hat sich ja auch nur verbal verpflichtet, sag ich, die Pariser Klimaschutzziele einzuhalten, deutlich unter 2°C, möglichst nicht mehr als 1,5°C Erhöhung, das klappt eh nicht mehr. Deutschland verfehlt die Ziele für 2020 auf jeden Fall und für 2030 wies aussieht auch, weil dieses Pille-Palle-Päckchen bestenfalls ne homöopathische Dose ist. Aktuell steuern wir auf 3°C Erderhitzung zu.

Jetzt sei mal nicht so pessimistisch, sagt meine Mutter. Ich bin wütend, sag ich, Deutschland ist der größte Emittent von Treibhausgasen in der EU und weltweit an 7. Stelle. Bei den kumulativen CO2-Emissionen seit 1850 liegt es an 4. Stelle und trägt somit einen heftigen Teil an historischer Verantwortung. Und bei dem Tempo ist der Kipppunkt bald erreicht. Der Jetstream funktioniert schon jetzt nicht mehr, weils am Nordpol zu warm ist, d.h. vor allem kein Regen, oder wenn, dann Starkregen, weil die Westwetterlagen weniger werden. Hat immerhin den Vorteil, sagt mein Vater, dass die Flieger in Frankfurt vermehrt nach Osten starten, Amtix kurz ist bald nicht mehr so wichtig.

Ich hab kein Bock auf Witzchen, sag ich, das klimaverträgliche Jahresbudget eines Menschen liegt bei 2,3 Tonnen CO2, ein Durchschnittsdeutscher produziert mehr als 11 Tonnen, ein Franzose nur die Hälfte. Weil, sagt meine Mutter, die Franzosen 90% ihres Stroms mit Atomkraftwerken produzieren, ist das die Alternative? Nein, sag ich, aber was machen wir z. B. mit all den Pseudo-Ökos unter unseren Bekannten, die E-Autos fahren, am Oberfeld einkaufen gehen oder Grün wählen, aber mal eben in die Karibik fliegen oder Kreuzfahrten ins Polarmeer machen? Ein Flug mit anschließend 7 Tage auf so nem Schwerölkahn haut eine komplette deutsche Jahresmenge CO2 raus.

Was schlägst du vor, fragt mein Vater. System change, sag ich, und ne gediegene Verbotskultur: fossile Brennstoffe, Massentierhaltung, Inlandsflüge, SUVs, Fleisch fressen, ständig neue Klamotten und was weiß ich noch. Und als Sofortmaßnahme allen Pseudos und Ignoranten einen gewaltigen Tritt in den Arsch, mit Füßen analog der Größe ihres ökologischen Abdrucks, damit es unmittelbar und nachhaltig weh tut.

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