Luftnummern

Darmstadt-Glosse #135 November 2019

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©Thea Nivea

Hi, ich bin Thea Nivea

Nivea hab ich von meinem Vater. Weil ich als Kind mal Nivea gegessen habe. Erklärt er jedem, ders nicht hörn will. Überhaupt erklärt er reichlich viel. Damit ich durchblicke, sagt er. Dabei blick ich schon durch, sogar bei Politik. Oder bei Fußball. Und erklär ihm auch manchmal was. Oder meine Mutter mischt sich ein. Was dabei raus kommt, na ja, könnt Ihr selbst lesen, jeden Monat. Wenn Ihr mir was erklärn wollt, schreibt mir einfach: t.nivea@frizzmag.de


Wenn jetzt Amtix kurz nach Norden verlegt wird, sag ich, werden doch viele Bürger*innen in Arheilgen, Kranichstein und Wixhausen aufatmen, weil viel weniger Fluglärm ist, oder? Ja, sagt meine Mutter. Worauf willst du hinaus, fragt mein Vater. Dann könnten dort doch auch wieder Wohnungen gebaut werden, sag ich, denn wo kein Lärm mehr ist, da ist auch keine Siedlungsbeschränkung mehr. Klingt logisch, sagt mein Vater. Ist aber eher ‘ne Luftnummer, sagt meine Mutter, und könnte die Verschiebung gefährden. 

Das versteh ich nicht, sag ich. Weil es ein sachfremdes Argument wäre, sagt meine Mutter, man könnte denken, die Verschiebung wäre nicht wg. der Lärmentlastung, sondern um neue Siedlungsgebiete zu erschließen. Das ist doch eh der Hauptgrund, sagt mein Vater. Siehst du, sagt meine Mutter, deswegen ist es gefährlich. Quatsch, sag ich, es ist halt ein positiver Effekt. Genau, sagt mein Vater, wenn Merck seine Produktion in Darmstadt dicht macht, könnte man den Messplatz mit Wohnungen bebauen und keiner würde auf die Idee kommen, Merck hätte dicht gemacht, damit man auf dem Messplatz Wohnungen bauen kann. Ziemlich absurder Vergleich, sagt meine Mutter. 

Angenommen, ich verlieb’ mich, sag ich, in ‘nen süßen Typ und der hat ein megacooles Haus. Jetzt wird’s spannend, sagt mein Vater. Wer soll das sein, fragt meine Mutter. Hypothetisch, sag ich, ab wann dürfte ich bei dem einziehen, ohne dass er denkt, dass ich gar nicht ihn, sondern nur sein Haus cool finde? Eine Frage des Vertrauens, sagt mein Vater. Also, wenn auch er dich liebt, sinniert meine Mutter. Eben, sag ich, warum sollte man also nicht nachdenken dürfen über neue Wohngebiete zwischen Arheilgen und Wixhausen? 

Wohnungen oder Gewerbe, sagt mein Vater, eine sachliche Abwägung zwischen dem SPD-Vorschlag und der Magistratsvorlage, das wär besser, als in Eberstadt Wald abzuholzen. Der Wald ist ein holistisches Konzept, das aus mehr besteht als der Summe aller Bäume, sag ich. Aha, sagt meine Mutter, und was heißt das? Hat der Tim Huß neulich gesagt, sag ich, in der Klimadebatte, als ich in der Stavo war. Und so was merkst du dir, fragt meine Mutter. Klar, sag ich, Wald ist eine schöne Form von Agglutinierung, die Bäume zum Beispiel verästeln sich in der Regel perfekt und wirken trotzdem natürlich, das hab ich mir auch gemerkt. Ist wahrscheinlich von diesem Bijan Kaffenberger, sagt meine Mutter. Nein, sagt mein Vater, aus einem Gedicht von Ron Winkler, Leonce-und-Lena-Preisträger.

Worum geht’s eigentlich gerade, fragt meine Mutter, ich versteh’s nicht ganz. Um den Erhalt von Wald, sag ich. Agglutinierung heißt eigentlich Verklumpung, sagt mein Vater, und dieses Gedicht arbeitet mit dem Gegensatz eines negativ konnotierten technischen Begriffs und der Anmut der Natur. Und holistisch, sag ich, heißt einfach nur ganzheitlich. Im Gegensatz zu erhaltenswert, sagt mein Vater. Wieso Gegensatz, fragt meine Mutter. Die Grünen kämpfen nur um den erhaltenswerten Teil von Wald, sag ich. Ein Schelm, sagt mein Vater, wer da Systemisches vermutet: das RP genehmigt die Grundwasserabsenkung, der Westwald geht deswegen in die Knie, ist nicht mehr erhaltenswert und schon kann man da guten Gewissens bauen.

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