Wehret der Normalität

Darmstadt-Glosse #122 Oktober 2018

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©Thea Nivea

Hi, ich bin Thea Nivea.

Nivea hab ich von meinem Vater. Weil ich als Kind mal Nivea gegessen habe. Erklärt er jedem, ders nicht hörn will. Überhaupt erklärt er reichlich viel. Damit ich durchblicke, sagt er. Dabei blick ich schon durch, sogar bei Politik. Oder bei Fußball. Und erklär ihm auch manchmal was. Oder meine Mutter mischt sich ein. Was dabei raus kommt, na ja, könnt Ihr selbst lesen, jeden Monat. Wenn Ihr mir was erklärn wollt, schreibt mir einfach: t.nivea@frizzmag.de

Sie werden koalieren, sag ich. Wer, wie, was, fragt mein Vater. In Bayern, sag ich, die CSU und die AfD. Im Leben nicht, sagt meine Mutter. Doch, irgendwann in deinem Leben schon, sag ich. Seh ich genauso, sagt mein Vater, irgendwann ist das eine sog. ganz normale Partei. In Bayern wirds Schwarz-Grün, sagt meine Mutter. Dazu müsste eine Frau Ministerpräsidentin werden, sag ich, das geht den Christsozialen dann doch zu weit, obwohl ihre Ilse geaignerter wäre als alle diese Testosteronfiguren zusammen. Deshalb wirds nix mit Schwarzbraun-Grün, sagt mein Vater, Bayern ist schließlich ganz nah an Österreich. Aber auch an Hessen, sagt meine Mutter. Da ists auch aus mit Schwarz-Grün, sagt mein Vater, da gibts bald die kleinste Groko aller Zeiten.

Österreich ist die Blaupause, sag ich, erst hat die ÖVP versucht, die Rechtsnationalen auszugrenzen, dann kam der Nazivorwurf oder das Ignorieren, dann ham sie sie nachgemacht, dann versucht sie einzubinden. Ergebnis: Österreich ist nicht mehr nur geografisch Sebastian Kurz vor Ungarn. Und du meinst, das kommt in Bayern genauso, fragt meine Mutter. Nicht nur da, sagt mein Vater, möglicherweise noch schneller in den Ost-Bundesländern, ab den nächsten Wahlen gehen da nur noch CDU-AfD-Koalitionen. Oder halt mit den Linken, sag ich, aber das macht die CDU nicht, das kriegt ja noch nicht mal die SPD richtig hin. Und historisch, sagt mein Vater, hatte die CDU intern wenig Probleme mit Altnazis.

Wie lange wirds die SPD noch geben, fragt meine Mutter. Wenn sie noch lange in der Groko bleibt, sag ich, nicht mehr lange. Wenn die Nahles weiter solche Deals macht, sagt mein Vater, rutscht sie auch noch hinter die Grünen. Die Merkel muss abtreten, sag ich, mehr Richtlinien-Inkompetenz geht nicht. Und mit ihr diese ganzen Typen, die mit Begriffen wie Asyltourismus menschenverachtendes Vokabular normal machen. Genau, sagt mein Vater, denn das sind Regierende, keine Stammtischler, wehret den Anfängen.

Wehret den Anfängen war mal, sag ich, wir sind mitten drin, das ist gezieltes Framing. Den Begriff kenn ich nicht, sagt meine Mutter, aber wir müssen klare Kante zeigen. Schon klar, sag ich, aber das ist wie das Pfeifen im Walde. Demos, Vielfaltfeste, alles okay, nur, wir müssen in den Nahkampf. Verwandte, Freunde, Arbeit, Fußball, Muckibude, Kirche, Kneipe, da, wo man ja eigentlich keinen Stress will und deshalb eher mal die Klappe hält, wenn jemand Stuss redet. So greift dann leider die Schweigespirale. Die was, fragt meine Mutter. Die geht so, sag ich: Immer, wenn Menschen glauben, sie sind mit ihrer Haltung in der Minderheit, halten sie sich zurück, testen das nur privat mal aus. Aber wenn sie glauben, sie sind genug, dann hauen sie ihren Scheiß öffentlich raus. Irgendwann rennen die Politiker hinterher, von wegen wir können das Volksempfinden nicht ignorieren, und dann gehts seinen Gang. Guckt euch um, Türkei, Ungarn, Polen, Italien, alles gewählte Demokratievernichter.

Beeindruckend analysiert, sagt meine Mutter, und was tun dagegen? Es geht nur der lange Marsch, sagt mein Vater, Bildung und vorbeugende Sozialarbeit statt Empörungsrituale. Ja, sag ich, Einsicht kommt nur aus der Kombi von Konfrontation und Wertschätzung, und an Wertschätzung mangelt es leider überall sehr. Ja, sagt meine Mutter, das ist alles nicht mehr normal. Doch, sag ich, und mit jedem Prozentpunkt für die AfD wird das normaler.

In Darmstadt ist es ja Gott sei Dank noch anders, sagt meine Mutter. Nur mit Gottvertrauen bleibt das nicht so, sagt mein Vater. Wisst ihr, frag ich, was das beste war, was der Dalai Lama in Darmstadt gesagt hat? Sags uns, sagt meine Mutter. Er sei ganz sicher, sag ich, wenn man mit Jesus, Buddha und Allah reden könnte, würden die sagen: Löst eure Probleme bitte selbst. Genau, sagt mein Vater, packen wirs an, noch haben wir die Wahl. Und, sag ich, auch noch Wahlen.

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