„Die Stadtwache wird kommen, definitiv.“

Darmstadts Bürgermeister Rafael Reißer im Interview.

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© Klaus Mai

Im Februar wählte die Stadtverordnetenversammlung vier Beigeordnete für eine (weitere) Amtszeit von sechs Jahren. Gemeinsam mit dem OB bilden sie den hauptamtlichen Teil des Magistrats. Wir sprachen mit Bürgermeister Rafael Reißer.

FRIZZ: Hallo Herr Reißer, Glückwunsch noch mal zu Ihrer Wiederwahl.

Rafael Reißer: Du kannst ruhig weiter du sagen, ich kenn dich ja schon, als du noch nicht lesen und schreiben konntest, an Interviews noch gar nicht zu denken.

Ja, schön, also Du bist ja in Darmstadt geboren, hast drei Söhne groß gezogen, wie fühlt sich das an, so mit Ende 50 noch mal Vater geworden zu sein?

Cool.

Sind deine Enkelkinder eigentlich älter als der jüngste Sohn?

Ja, meine Enkelin ist schon vier und mein zweiter Enkel ist zwei Monate älter als mein Sohn, also der Onkel ist jünger als der Neffe.

Also vier Söhne, keine Tochter, der klassische Sohn-Vater, aber Enkel und Enkelin-Opa. Hättest du gerne auch mal ne Tochter gehabt?

Ja, das wäre eigentlich jetzt mal dran gewesen, aber es war halt wieder ein Junge. Und das ist total okay.

Die Reißers sind wohl die bekannteste CDU Politiker-Familie: du selbst MdL und BGM, dein Vater Baudezernent und Vorstandsvorsitzender Südhessische, Bruder und Schwester waren beide auch Stadtverordnete. In der SPD hatte man das ja öfter: Metzger, Benz, Wenzel oder Glenz. Wie siehts damit aus in der CDU, wie regelt ihr eure Nachwuchsprobleme?

(Lacht) Im Moment sieht es nicht so aus, als ob es da bei den Reißers weiter geht, aber man kann ja nie wissen. Ich hätte auch nicht gedacht, dass ich irgendwann mal in die Politik gehe, ich war im Vertrieb und im Marketing, ich war selbstständig, und ich war auch lange parteipolitisch gar nicht so engagiert. Es kann also durchaus sein, dass sich einer von meinen Söhnen noch mal für Politik interessiert, aber das wird von mir nicht vorangetrieben. Sie müssen ihren Weg finden, ihre Zukunft selber schmieden. Und wenn sie sich für Politik interessieren, warum sollte man ihnen das verwehren?

Blende 8 hieß dein Fotogeschäft in Kranichstein. Warum hast du eigentlich damals ein Fotogeschäft eröffnet, das hatte doch mit der Ausbildung als Stahlbauschlosser wenig zu tun?

Ja, gut (lacht). In meiner damaligen Situation als alleinerziehender Vater war es besser, mich selbstständig zu machen, ich konnte mich so mittags besser um die Kinder kümmern. Mein Schwager damals hatte ein Fotogeschäft in Reinheim, und da haben wir uns zusammengetan. Das war also alles ganz pragmatisch gedacht.

Aber als gelernter Stahlbauschlosser ein Fotogeschäft aufzumachen, ist ja nicht unbedingt von der Sachkenntnis hergeleitet.

Einige Fachkenntnisse hatte ich durchaus vom BWL-Studium, ich hatte ja den Schwerpunkt Marketing, da gab es auch den Bereich Fotografie, den ich zumindest gestreift habe. Und Fotografieren war schon immer mein Hobby. Meine erste Kamera war eine Canon T 70, die funktioniert heute immer noch, da hab ich als Jugendlicher lange für gespart.

Also, es ist nicht so, wie in der Politik, wo die Sachkenntnis, wie es heißt, eher stört, oder?

Ja (lacht), ja gut, okay (lacht wieder). Die vertiefte Sachkenntnis verhindert das muntere drauflos Plaudern, das ist wohl wahr.

Kommen wir zu ein paar kritischen Aspekten der bisherigen Amtszeit: die Kostenexplosion beim Nordbad, der noch nicht vorhandenen Schulentwicklungsplan, das unglückliche Händchen beim Derby – da sprach der Herr Klett sogar von erdoganeskem Verhalten - und UFFBASSE bei der Wiederwahl vom sauren Apfel. Aber alle bestätigten, dass du nett bist. Du bist doch sicher mehr als der nette Herr Reißer? Weil, nett ist ja bekanntlich der kleine Bruder von Scheiße …

Ja (lacht).

Wie würdest du selbst deine Persönlichkeit beschreiben?

Also, alle Entscheidungen, insbesondere beim Derby, wurden aus der jeweiligen Situation heraus getroffen. Ich bin als Ordnungsdezernent zuständig für die Sicherheit der Bevölkerung in Darmstadt. Wie man das dann alles im Nachgang bewerten kann, ist immer eine zweite Geschichte, aus der man lernen kann. Aber es war wichtig, bestimmte Entscheidungen zu treffen, und die konnten nur von mir getroffen werden.

Danke für die Erläuterung. Und ich sag mal: Umgänglichkeit und nett mit den Leuten plaudern zu können, ist ja nicht grundsätzlich verkehrt.

Ich glaube schon, dass ich in der Lage bin, mit jedwedem Menschen ein vernünftiges Gespräch zu führen. Das ist auch wichtig, um in meinem Amt die nötige Bodenhaftung zu behalten und auch an Informationen zu kommen, um Politik gestalterisch vorantreiben zu können.

Böse Zungen behaupten, der Woog wird nicht rechtzeitig fertig. Wann wird er definitiv eröffnet?

Er wird definitiv am Sonntag, dem 14. Mai, eröffnet. Also, wie immer an dem Sonntag, der dem 15. Mai am nächsten ist.

Und ist der Woog bis dahin auch voll Wasser?

Er ist mit Wasser gefüllt, ob er voll ist, das weiß man nicht so genau. Das liegt daran, wieviel es regnet, aber ich bin guter Dinge. Und wenn noch 20 cm oder ein halber Meter fehlt, dann ist das Wasser vielleicht auch nicht so kalt (lacht).

Wird das dann so was wie der Balaton am Woog? Für alle, die ungern nach Ungarn fahren ...

Also (lacht), in jedem Fall wird am 14. Mai eröffnet.

In Sachen Schulentwicklung fallen gerade rund 23 Mio vom Bundeshimmel. Was passiert damit?

Es ist ja noch nicht klar, welche Ausführungsbestimmungen kommen werden, aber wir schauen jetzt schon, was möglich sein könnte. Grundsätzlich gibt es ja das Schulbausanierungsprogramm, in dem eine Reihenfolge festgelegt ist, aber es könnte dann möglich sein, die ein oder andere dringende Maßnahme vorzuziehen.

Vorziehen würde man dann z.B. ein Gymnasium für die Lincoln-Siedlung?

Gymnasium oder nicht, wir brauchen im Süden Darmstadts in jedem Fall ein weiterführendes Schulangebot. Wir planen ja bereits eine 4-zügige Grundschule in der Lincoln-Siedlung.

Das soll ja ein integriertes Schulprojekt werden. Wie soll das inhaltlich realisiert werden? Welche Zusammenarbeit gibts da mit dem Staatlichen Schulamt, denn die müssten ja personell mitziehen?

Auch die Internationalität ist mir dabei ganz wichtig, gerade auch aufgrund der Nä- he des Lichtenberg-Gymnasiums und des internationalen Kindergartens. Wir wollen diesbezüglich bespielgebend sein, auch unter dem Gesichtspunkt der Betreuung, möglicherweise mit einer Weiterentwicklung zur Ganztagsschule.

Also Ganztagsschule verstanden als echte Ganztagsschule, für alle, mit Pflichtunterricht am Nachmittag, vernünftig spätem Beginn am Vormittag u.a.?

Ja. Wir wollen dort Wege gehen, die modern und zukunftsweisend sind. Und darüber gibt es einen ersten Austausch mit dem Staatlichen Schulamt. Das Darmstädter Büro Wächter+Wächter wird für uns bauen, das Büro hat den Architektenwettbewerb gewonnen. Wir werden dort eine sehr schöne Schule bekommen zusammen mit dem Kindergarten, der dort auch entsteht, und der bürgerschaftlichen Nutzung, die auch vorgesehen ist.

Themenwechsel. Was ändert sich durch den Lilienabstieg? Hat das Einfluss auf die Stadionfrage? Gehst du weiterhin hin?

Die Stadionfrage muss in jedem Fall geklärt werden, unabhängig von 1. oder 2. Liga, das liegt aber im Aufgabenbereich von Dezernat 1. Ich persönlich war immer Fan des Standorts Böllenfalltor.

Und du gehst weiterhin zu den Lilien, egal wohin?

Ja, klar, ich war auch in der 4. Liga dort, damals noch Hessenliga mit Derby gegen Erzhausen, da waren die Ränge noch nicht so gefüllt. Ich erinnere mich auch noch an das 7:0 gegen Nürnberg, also, ich hab alle Höhen und Tiefen mitgemacht. Und ich hab heute noch die Eintrittskarten aus der ersten Bundesligasaison.

Deine zweite Amtszeit beginnt ja am 22. Juni. Wann wäre sie ein Erfolg, was müsste alles passieren?

Wie werden in dieser Zeit das Berufsschulzentrum Nord bauen, wir werden das Schwimmbad bauen, wir werden die Feuerwehr in Arheilgen fertig gestellt haben, wir müssen uns um den Standort der Berufsfeuerwehr kümmern und wir werden einige Projekte der Schulbausanierung voran gebracht haben. Und dass in den Woog immer frisches, schönes Wasser fließt, ist ja eine Grundvoraussetzung (lacht).

Deswegen hast du dich auch am Woog fotografieren lassen? Oder wegen des aktuellen Anlasses?

Nicht nur. Wir waren als Kinder dort auf dem Eis, der Woog war im Sommer unser Mittelpunkt.

Bist du auch vom 10er gesprungen?

Nee, das hab ich mich nicht getraut (lacht), das Wasser war so trüb (lacht).

Warum hast du dich nicht vor der virtuellen neuen Stadtwache am Luisenplatz fotografieren lassen?

Weil mir der Woog näher ist. Aber die Stadtwache wird kommen, definitiv, als Ansprechort für Bürger in der Innenstadt.

Du bist ja quasi der Methusalem unter den hauptamtlichen Magistratlern, am Ende der nächsten Amtszeit bist du 66. Mit 66 Jahren fängt das Leben ja bekanntlich erst an. Was wirst du dann tun, also, falls du nicht mit sixtyfour abgewählt wirst nach der Kommunalwahl 2021?

Dann werden wir mal sehen, was dann ist und die neuen Herausforderungen annehmen. Und jetzt gilt es erstmal, die bevorstehende Amtszeit vernünftig zu gestalten.

Okay, vielen Dank für das Gespräch.


VITA RAFAEL REIßER

12. Januar 1958 in Darmstadt, machte nach dem Schulabschluss eine Ausbildung als Stahlbauschlosser bei Donges-Stahlbau Darmstadt und schloss diese 1976 ab. Im Jahr 1983 legte er das Examen als Dipl.-Betriebswirt an der FH Mainz ab, arbeitete ab 1983 als Verkaufsrepräsentant verschiedener Firmen und führte anschließend sein eigenes Fotofachgeschäft in Kranichstein.

Reißer wurde 1975 Mitglied der CDU und gehörte von 2003 bis 2008 sowie von 2009 bis zum 30. Juni 2011 als direkt gewählter Abgeordneter des Wahlkreises Darmstadt I dem Hessischen Landtag an. Seit dem 22. Juni 2011 ist er Bürgermeister in Darmstadt. Rafael Reißer hat drei erwachsene Söhne und lebt mit der Mutter seines jüngsten Sohnes zusammen.

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