„Nur eine Tasse Kaffee….“

FRIZZ-Wissenschaftskolumne

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© Roy Blumenthal

Seit Oktober beschäftigen sich mehrere Studentengruppen der Hochschule Darmstadt mit dem sperrigen Begriff des „Neuro-Enhancements“. Dahinter verbirgt sich die geistige Leistungssteigerung mittels verschiedenster, teils zweckentfremdeter, Substanzen. Im Rahmen des NEIBA-Projektes (Neuro-Enhancement in der Bildungs- und Arbeitswelt) versammelten sich Ende Oktober fünf Experten sowie alle Interessierten im Glaskasten der Hochschule. Auf der Webseite (brain-doping.h-da.de/blog) des Projekts bloggen Studenten zum Thema. bloggen Unsere Autorin Christiane bloggte mit und beschreibt am Beispiel eines Familienvaters wie verführerisch die kleinen Helferlein sein können. 

Hätte ich den Blog nur früher gelesen… Eigentlich fing alles ganz harmlos an. Ich trank morgens eine Tasse Kaffee, um besser in die Gänge zu kommen. An sich ist das kein großes Ding. Machen schließlich 73 Prozent der Deutschen so. Als die eine Tasse nicht mehr ausreichte, wurden es zwei. Später kamen noch ein Käffchen am Nachmittag und eine Cola beim Mittagstisch hinzu.

Am Anfang wirkte das Koffein Wunder, ich konnte mich auf der Arbeit besser konzentrieren, war wacher und arbeitete effizienter. Irgendwann pfiff ich mir täglich einen Mix aus Traubenzucker, Kaffee und Energydrinks rein. Doch je länger ich diese leistungssteigernden Substanzen zu mir nahm, desto schlechter schienen sie zu wirken.

Ab in die Apotheke: Zunächst waren es nur Koffeintabletten, die ich zusätzlich schluckte. Doch ich gierte nach mehr und ließ mir wenig später auch noch Ginkgo-Extrakte und Guaranakapseln geben.  Eine handelsübliche Guarana-Kapsel enthält bis zu 900 Milligramm pures Koffein. Das entspricht etwa 10 Tassen Filterkaffee. Zwei Wochen hielt der Spuk an, dann schien ich auch gegen diese Wundermittel resistent. 

Ich musste meine Dosis immer weiter steigern. Ein Arbeitstag ohne kleine Helferchen erschien mir unmöglich. Eines Tages war ich so verzweifelt, dass ich mich am Ritalin meiner Tochter vergriff, sie bekommt die Kapseln wegen ihres ADHS verschrieben. Das Ding wirkte Wunder, ich konnte ohne Probleme den ganzen Tag durcharbeiten: Welt aus – Arbeit an.  

Über mehrere Monate schluckte ich die Pillen. Ich wurde zum Arbeitstier, ach was: zur Arbeitsmaschine! Ich wurde befördert, verdiente besser. Doch im Endeffekt brachte es mir nichts. Meine Familie sah ich kaum, stets war ich am Arbeiten. Meine Tochter, ihrer Medizin beraubt, mutierte zum Inbegriff eines ADHS-Teufelchens. Meine Frau, mit der Erziehung überfordert und ohne jegliche Unterstützung meinerseits, litt schleichend an immer stärkeren Depressionen. Auch ich hielt den Maschinenmodus nicht ewig durch. 

Momentan befinde ich mich für einige Monate in einer Entzugsklinik. Meine Frau drängte mich zur Einweisung. Mir war gar nicht bewusst, wie süchtig ich nach all diesen Mitteln war. Ich hoffe, dass ich anschließend wieder der Alte bin. Der Familienpapa mit durchschnittlicher Arbeitsleistung und durchschnittlichem Gehalt – aber mit überdurchschnittlich viel Liebe für seine beiden Frauen.

Weitere Infos:

Brain Doping

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