Fast hätte ich gefastet

Kolumne März 2018

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Nach der wilden Fastnachtszeit ist wieder etwas Ruhe eingekehrt. Die Fastenzeit ist da – zumindest im christlichen Glauben. Bis Ostersamstag versuchen viele auf ein kleines oder großes Laster zu verzichten. Die Palette reicht von Süßigkeiten über Alkohol und Zigaretten hin zu Plastik oder Smartphone. Ich wünschte, ich könnte Stress fasten. Dauerhaft.

Bewusst auf etwas zu verzichten zeugt von Selbstkontrolle und Durchhaltevermögen. Ich stehe sozusagen über mir selbst, wenn ich dem groß- en Drang des Süßen widerstehe und stattdessen Möhrchen knabbere, wenn ich mich mit meiner Familie zum Monopoly treffe, anstatt auf dem Handy Tetris zu daddeln. Das Konfliktpotential dürfte beim Familienspieleabend allerdings ungleich höher sein.

In fast allen Kulturen und Religion spielt das Fasten zumindest eine Rolle. Im Christentum ist es die Zeit zwischen Aschermittwoch und Ostern, im Islam der Fastenmonat Ramadan. Buddhistische Mönche und Nonnen nehmen nach 12 Uhr mittags keine feste Nahrung mehr zu sich. Das ist es auch, was Fasten ursprünglich bedeutet: der freiwillige Verzicht auf feste Nahrung.

Doch dieses Konzept ist mittlerweile überholt. Der moderne Mensch verzichtet lieber auf Konsum und geht 40 Tage nicht mehr Shoppen oder lässt das Internet ausgeschaltet und informiert sich wieder über Zeitung und Tagesschau. Die Frage ist: Bringt das was? Was habe ich/mein Umfeld/ die Menschheit davon, dass ich hier und jetzt nicht Chips in mich hineinschaufele, sondern zaghaft an meiner Gurke nage?

Die Antwort ist: Eine ganze Menge. Dem Körper soll es beim Verzicht auf Zucker und Fett schnell bessergehen, jede nicht gerauchte Zigarette verlängert die Lebensdauer und die bewusste Abkehr von Smartphone und Internet fördert sicherlich soziale Interaktionen und Produktivität.

Warum ich dennoch nicht faste? Mir fehlt ganz einfach die Kraft und der Wille mich durchzubeißen. Ich versuche aber bewusster zu leben und mit offenen Augen durch die Welt zu gehen. Ich faste sozusagen die schönen Momente ganz bewusst nicht. Ich unterhalte mich mit der einsamen Oma in der Straßenbahn, lade meine beste Freundin zum Kaffee ein und schenke dem Obdachlosen mein Frühstücksbrötchen. Ich verzichte ganz bewusst nicht und versuche, das Leben und mein Umfeld in all seinen Facetten wahrzunehmen. Fast hätte ich gefastet.

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