„Das war so eine Euphorie und Erleichterung“

„Grossstadtgeflüster“ live zu Gast beim „Trebur Open Air“

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Seit nunmehr 20 Jahren testen „Grossstadtgeflüster“ schon munter stilistische und moralische Grenzen aus, stets das hehre Ziel vor Augen, glasklaren Pop und sperrige Nervmusik in ein und demselben Song zu verarbeiten. Vor allem live spielt das Berliner Trio um Frontfrau Jen Bender seine Stärken aus, wovon man sich auf dem diesjährigen „Trebur Open Air“ überzeugen sollte. FRIZZmag traf Jen vorab zum Gespräch.

FRIZZmag: 20 Jahre seid ihr nun schon unterwegs – eine lange Zeit! Wie sieht dein Fazit aus?

Jen Bender: Auf jeden Fall ist es voll geil, dass es noch geht und so lange gehalten hat. Wir hatten mehr Glück als Verstand (lacht). Aber wenn man diese Worte „Zwanzig Jahre“ vor sich sieht, mutet es sich gar nicht nach so einer langen Zeit an. Rückwirkend fühlt sich alles nach „gestern“ an. 

Euer „Durchbruch“ ließ ziemlich auf sich warten. Nach über zehn Jahren „on the road“ und vier tollen Alben war es schließlich der Song „Fickt-Euch-Allee“, der „GSGF“ ziemlich weit nach vorne katapultiert hat. Wie hat sich dieser späte Hype angefühlt?

Das war großartig – eine lebensverlängernde Maßnahme! Denn jeder Erfolg sorgt ja auch dafür, dass man das alles noch eine Weile länger machen kann. Vorher war’s immer zu wenig zum Leben und zum Sterben zu viel. Wir waren damals an einem Punkt, an dem wir gesagt haben: „Aufhören wollen wir nicht, dafür macht’s uns zu viel Spaß, aber das muss alles eher wieder diesen Hobbygeschmack kriegen.“ Wir wollten Erwartungshaltungen runterschrauben, vor allem die von außen, und haben den Leuten um uns herum gesagt, dass wir uns freuen, wenn sie dabei bleiben würden, „Grossstadtgeflüster“ ab jetzt aber eher ein Spaßprojekt wird. Erstaunlicherweise sind die meisten, wie unsere Managerin und unsere Booker, dabeigeblieben. Umso mehr hat uns dann dieser enorme Schub gefreut. Danach ist alles größer geworden, aber im Kern recht ähnlich geblieben – auch bei unserem Publikum. Die Konzerte sind immer noch eine sehr herzliche, familiäre Angelegenheit. Ein Haufen netter, toller Menschen!

Euer aktuelles Album „Trips & Ticks“ erschien im August 2019 und stieg direkt in die Top 20 ein – euer größter Charterfolg. Haben die Charts noch eine Bedeutung für euch oder sind Alben im Zeitalter von „Spotify“ und Co. nur noch „Audioflyer“ für die neue Tournee?

Erfolg und Inhalt habe ich eigentlich nie groß verknüpft. Von daher hatten die Charts für mich nie so eine große emotionale Bedeutung. Aber natürlich hatte diese Platzierung einen Effekt. Du wirst anders wahr- und ernst genommen als Band. Und das hilft. Das Album selbst hat aber eine sehr emotionale Bedeutung für mich. Ich möchte sowohl die Phase im Studio als auch die spannende, positive Aufregung, mit dem Ding dann auf die Bühne zu gehen, nicht missen. Beides beflügelt einander: nach diesen Studiophasen willst du deine Songs den Leuten dann endlich präsentieren und aus den Konzerten nimmst du so viel Energie mit, die du dann wieder in neue Songs umsetzen möchtest. Musik im Studio zu erschaffen, ein Album zu veröffentlichen und dann die Reaktionen der Leute darauf zu erleben – das wird für mich immer mehr bleiben als ein Marketingmittel, wieder auf Tour gehen zu können. Ich gehöre aber auch zu einer anderen Musikergeneration. Ich fremdele auch nach wie vor immer wieder mal mit den Sozialen Medien. 

In einem Interview zur letzten Platte sagtest du, dass es auf dem Album unter anderem darum geht, dass man Freiraum braucht und auch darum, zwischen Regeln, die von Obrigkeiten nach unten gegeben werden und keinen Sinn machen, und Regeln, die für die Gesellschaft wichtig sind, zu unterscheiden. Sechs Monate später kam die Pandemie und eine ganze Latte neuer Regeln haben fortan fast zwei Jahre unser aller Leben bestimmt. Wie stehst du heute zu Regeln?

Eine Gesellschaft funktioniert ja, einfach gesagt, in der Art, dass viele Individuen miteinander „Verträge“ haben. Da geht’s um den Umgang miteinander, Verhaltensweisen untereinander und anderes. Diese „Verträge“ sind mal mehr und mal weniger sinnvoll. Was mir hier immer wieder auffällt, ist diese große Angst vor Veränderung. Diese Inflexibilität, auf andere Begebenheit zu reagieren und unsere „Verträge“ immer wieder mal anzupassen, denn manchmal musst du einfach neu navigieren. Leider fehlt oft schlicht die Empathie, sich auf andere Sichtweisen einzulassen. Ich beobachte da oft so ein starres Festhalten an Gelerntem, an Einstellungen wie „früher war alles besser“ oder „wir bleiben dabei, weil wir das schon immer so gemacht haben“. Die Menschen haben eine große Sehnsucht nach einfachen Antworten auf komplizierte Fragen. Das kann ich auch nachvollziehen, aber erstens gibt es selten einfache Antworten auf komplexe Fragen und zweitens hält der Mensch oft Ambivalenzen einfach nicht aus. Dass es zwischen gut und böse, schwarz und weiß auch Zwischentöne gibt und dass, wenn etwas an einer Stelle super funktioniert, es an anderer Stelle total kontraproduktiv sein kann, das hält der Mensch schwer aus. Und da steckt sehr viel Konfliktpotenzial drin. Trotzdem ist für unsere „Verträge“ nach wie vor wichtig, sich an einen Tisch zu setzen, zu sprechen und miteinander klarzukommen. Ich tue mich aber auch immer wieder schwer mit Worten wie Regeln oder Disziplin, weil die so „starr“ sind, und finde diesen Begriff der „Verträge“ besser, denn der impliziert auch, dass man etwas miteinander aushandelt. Und im besten Fall gehen beide Seiten zufrieden und abgesichert auseinander.

Mit zwei Jahren Verspätung konntet ihr im vergangenen Frühjahr endlich „Trips & Ticks“ live auf Tour vorstellen. Zuvor waren auf euren Socials immer wieder Posts mit Statements wie „Verschoben wegen Corona-Kacke“ zu sehen.  Wie erleichtert seid ihr, dass das Thema nun endlich durch zu sein scheint?

Wir sind total erleichtert, klar! Dass das aber wieder so ist, haben wir erst langsam gecheckt, das war ein Prozess. Als wir wieder losgefahren sind und alle Vorgaben fallen gelassen wurden, hatten wir erst mal ein mulmiges Gefühl. Und zwar gar nicht mal aus gesundheitlichen Gründen, sondern wegen der Menschen und wie sie miteinander bei unseren Konzerten umgehen würden. Die einen sind super ängstlich, die anderen super erleichtert, was macht das mit einer Crowd im Raum? Wie wird so ein erstes Konzert? Kommt die vertraute Ausgelassenheit zurück? Als wir dann wieder das erste Mal auf der Bühne gestanden haben und die Menschen uns mit einem tosenden Applaus empfangen haben, war das der Wahnsinn! Das war so eine Euphorie und Erleichterung. Vor allem, weil die Leute wieder da waren. Sie hatten alle ihre Tickets behalten, sie waren nicht weggegangen und haben alle wieder mit uns gefeiert. Das hat mich sehr berührt und das tut es immer noch.

„Grossstadtgeflüster“ sind vor allem live ein echtes Erlebnis. Was macht eure Konzerte so besonders, deiner Ansicht nach?

Ich finde es immer schwierig, von innen heraus etwas beschreiben zu müssen, bei dem es so sehr auch auf die Außenwahrnehmung ankommt. Ich kann auch nicht sagen, wie sich andere Menschen auf der Bühne fühlen. Unsere Konzerte haben keinen musicalesken, durchgestylten Charakter. Sie sind kollektive Feste, die in ihrer Durchführung, Stimmung und Atmosphäre auch vom Publikum so wahnsinnig abhängig sind, dass wir die Shows immer nur mit den Leuten gestalten können. Das ist ganz persönlich und immer wieder neu. Wir proben unsere Ansagen nicht, wir entscheiden uns oft sehr spontan, was wir spielen. Da gibt’s eine große Nahbarkeit von beiden Seiten. Wir sind drei People, die wahnsinnigen Spaß auf der Bühne haben und das sehr zu schätzen wissen, dort oben stehen zu dürfen. Und ich glaube, das merken die Leute einfach. 

Am 30. Juli seid ihr live zu Gast beim „Trebur Festival“. Die Südhess:innen und besonders die Darmstädter:innen haben euch sehr ins Herz geschlossen. Von euren Auftritten beim „Schlossgrabenfest“ oder im legendären „603qm“ sprechen viele heute noch. Auch in Trebur seid ihr zum wiederholten Mal. 

Wir sind schon das dritte Mal dort und das Festival ist sehr cosy und familiär. Das entspricht mir natürlich und wir passen da einfach sehr gut rein. Jedes Bundesland und jede Stadt haben ihren eigenen Geschmack, von daher tue ich mich da mit Adjektiven etwas schwer. Wohlwollend, familiär und bodenständig passen aber sehr gut zum „Trebur Open Air“. Und jede Menge gute Laune gibt’s da immer sowieso, deswegen kommen wir ja auch immer wieder gerne hin.  

Ihr habt ja noch eine ganze Reihe an Festival-Gigs zu bewältigen. Wer dich einmal live erlebt hat, fragt sich, woher du jeden Abend die Kondition nimmst, so über die Bühne zu fegen. Du bist ja auch keine 20 mehr.

Um genau zu sein, bin ich sogar schon 42. Kann man ruhig mal sagen. Als Frau mit über 40 im Showgeschäft, das musst du auch erst mal hinkriegen. Natürlich mache ich keine sechsfachen Rittberger mehr auf der Bühne und habe auf jeden Fall die eine oder andere Narbe und einige Wehwehchen aus den letzten 20 Jahren mitgenommen. Ich habe aber einfach von Natur aus ein sehr hohes Energielevel und den Rest erledigt das Adrenalin auf der Bühne. Und unsere Musik pumpt ja auch ordentlich. Schlimm sind nur die ersten Tage nach einer Tour zu Hause. Da bin ich der tote Seestern, liege erledigt auf der Couch und ärgere mich, wenn die Fernbedienung außer Reichweite liegt.

Abschließende Frage: Wie geht’s nach den Festival-Shows weiter? Ist ein Nachfolger von „Trips & Ticks“ schon in der Mache?

Ja. Die erste Single „Icke“ kommt sogar schon jetzt Ende Juni. Das Album selbst kommt zwar erst Anfang nächsten Jahres, aber bis zur Veröffentlichung werden wir noch einige weitere Songs davon rausjagen, damit die Leute zur dann folgenden Tour auch schon ordentlich textsicher sind. 

Vielen Dank für das Gespräch.



FRIZZmag präsentiert: Grossstadtgeflüster live @ „Trebur Open Air“

So., 30.7., ab 17 Uhr, „Trebur Open Air“, Am Freibad, Trebur 


Weitere Infos unter: 

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Und so geht’s:

Einfach eine E-Mail mit dem Stichwort ,,Trebur Open Air" an verlosung(at)frizzmag.de schicken (Telefon und Name nicht vergessen). Wir melden uns dann via E-Mail bei euch.

Einsendeschluss ist am 15.7.!

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