Genial gelangweilt

Darmstädter Fans von Stephen Malkmus müssen jetzt tapfer sein: Der Indie-Rocker kommt bei seinem Deutschland-Blitzbesuch leider nicht ins Rhein-Main-Neckar-Delta. Stattdessen kann man die coolste Socke der Alternative-Szene mit seinem ewigen Haustrio „The Jicks“ bei der Präsentation des aktuellen Albums an der FRIZZmag-Peripherie in Berlin (29.10.) und Köln (30.10.) live erleben. Nie gab es für Städtetrips triftigere Gründe.

by

Manchmal kommen auch Großmeister des Indie-Rock in die Sinnkrise. Bei Stephen Malkmus war es nach einem Dutzend Alben in dreißig Jahren so weit. Einen Großteil der Zeit stand er mit seinem Begleittrio „The Jicks“ auf der Bühne. Wummernde Orgeln, flatternde Bässe und schleppende Drums. Dazu Malkmus leicht verwaschene Stimme, die immer etwas lakonisch klingt, und dann dieses Gitarrenspiel, das in seiner ziellosen Leichtigkeit wie ein Hund ohne Leine in allen Musikgenres wildert, aber am Ende des Tages dennoch nach Hause findet. Nach so viel Entspanntheit konnte es für  Malkmus, der als Ober-Schluffi in den Neunzigern den Nerv aller angeödeten Jugendlichen traf, eigentlich nur noch um eine faire Übereinkunft bei der Auszahlung seiner Rocker-Rente gehen. Doch weit gefehlt, für seinen Deutschland-Kurztrip will der Mann aus Oregon nun sogar seine jüngste Pressung ins Marschgepäck stopfen. Und allen beweisen, dass er es noch kann.

Er habe mit seinem neuen Album  „Sparkle Hard“ versucht, „sich mehr in die Hörer hinein zu versetzen“, gesteht Malkmus. Die Stücke kämen jetzt schneller auf den Punkt. Die Zeiten seien härter heutzutage. Jedenfalls raunten ihm das andauernd die Konzertagenten und die Leute seiner Plattenfirma zu. Zudem seien die Verkäufe von Tonträgern im Keller. Man müsse sich als Künstler schon um seine Fans bemühen, „sonst hören die deine Sachen einmal an, und wandern sofort weiter zum Nächsten“. Dem verschachtelten Alternative-Rock seiner früheren Alben ist Stephen Malkmus aber auch auf seinem neuen Werk weitgehend treu geblieben. Schon im Eröffnungsstück mündet ein bedächtiges Piano-Intro im großen Gitarren-Getöse. „Shiggy“ klingt fast wie eine Nummer von Pavement, jener Indie-Punk-Band also, mit der Malkmus in den frühen Neunzigern den angenehm teilnahmslosen Gegenpart zur anhaltenden Grunge-Abgefucktheit gab. In „Rattler“ liegt dann urplötzlich Auto-Tune über der Stimme des mittlerweile 52-Jährigen, ein körperloser, halbmenschlicher Klang. Also doch neue Töne vom Altmeister?

Jedenfalls münden die modernistischen Einsprengsel nicht zwangsläufig im Pop, umgekehrt schärfen sie sehr wohl die Sinne für ziemlich reife Texte einiger überambitioniert wirkender Songs: In „Refute“, einem Duett mit Sonic-Youth-Sängerin Kim Gordon, singt Malkmus von den Tücken des Online-Datings. „Bike Lane“ wiederum wurde vom Tod Freddie Grays inspiriert, eines Afroamerikaners, der vor drei Jahren von Polizisten in Baltimore ermordet wurde. Die Beamten wurden angeklagt und freigesprochen. Eines von zig Beispielen für US-Polizeigewalt und die Vertuschung rassistischer Motive. Malkmus trifft mit explizit politischen Aussagen zwar einen Nerv der Zeit - er steht damit aber auch ein wenig abseits seines bisherigen musikalischen Wirkens.

Dekonstruktivist in Slacker-Pose: Malkmus ist der Freejazzer der Indie-Szene.

Dabei verbarg sich das bisherige musikalische Grundgerüst des notorisch Gelangweilten stets hinter einem Vorhang von hinterfotziger Schönheit. Wer es sich gerade zu sparsamen Laid-Back-Gitarren im Stil eines J. J. Cale gemütlich gemacht hatte, der sah sich zuweilen urplötzlich von verrutschten Akkorden, gesanglichen Dissonanzen und atemraubenden Rhythmuswechseln umzingelt. Zu hören waren Wah-Wahs, fiese Rückkopplungen und schnarrende Saiten wie einst bei Neil Young auf Drogen. Die unbarmherzige Retro-Walze hinterließ natürlich auch bei Malkmus jüngeren Zeitgenossen versatzstückartige Entsprechungen. Doch anders als die lesbische Garagenrock-Erneuerin Courtney Barnett, der Marc-Bolan-Wiedergänger Ty Segall, der ewige Folk-Slacker Kurt Vile oder der talentierte Dylan-Dandy Conor Oberst, befindet sich der Alternative-Guru Malkmus nicht auf ständiger Recycling-Tour durchs Musikuniversum. Seiner Stratocaster entlockt er wie beiläufig provozierende Dekonstruktionen, die wie Zitate von gestern anmuten, aber als heutige Paradigmenwechsel in seinem Sound-Garten sprießen. Feine, musikalische Pinselstriche auf einer riesigen, weißen Leinwand, die erst bei mehrmaligem Genuss ihre subversive Wirkmacht offenbaren. Kein Ton wirkt hier falsch gesetzt. Vielleicht liegt es auch an den schwer dechiffrierbaren Texten, dass alles zu schweben scheint und sich im Hier und Jetzt entfaltet. Die Ewigkeit kann warten. Malkmus ist der Freejazzer der Postmoderne.

Während seines Geschichtsstudiums an der Universität von Virginia gründet er mit seinen zwei Kommilitonen Bob Nastanovich und David Berman die Band Ectoslavia. In New York beziehen die drei zusammen ein Appartement. Malkmus arbeitet mit Berman, dem eigentlichen Kopf der Band, als Wachmann in einem Kunstmuseum. In New York benennt man sich in Silver Jews um. Doch erst als Malkmus im Sommer 1989 seinen Kindergarten-Freund Scott Kannberg trifft, wird es ernst. Eigentlich planen die beiden nur, gemeinsam einige ihrer Songs im Studio einzuspielen, doch dann gründen sie mit drei anderen Kumpels in Kalifornien die Band Pavement. 1992 erscheint das Debüt „Slanted and Enchanted“, Malkmus mausert sich in den folgenden Jahren zum genial blasierten Sänger, der er eigentlich nie sein wollte. Er singt über simple Sachen. Dass man nicht auf den guten Rat seiner Großmutter hören soll. Oder dass ihn nun seine Eltern im Radio hören könnten. Einfach, aber nicht dumm. Ironisch, aber nie plakativ. Gewitzt und intelligent spricht er all jenen aus dem Herzen, die lieber ihren Cannabis-Rausch ausschlafen, als sich den ideologisch aufgeladenen Solidaritätsbekundungen jener Zeit anzuschließen. Wer in ihm den Anti-Bono erkennt, liegt nicht falsch.

Bilder von zerbombten Städten, veganen Mettbrötchen und Petitionen von Unisex-Toiletten.

Dass Malkmus nach unzähligen Touren eine Konstante der US-amerikanischen Indie-Rock-Landschaft darstellt und unvermindert subkulturelle Strahlkraft besitzt, ist einem wachen Geist und keineswegs einfachen Charakter geschuldet. Beim letzten, exzellenten Pavement-Album „Terror Twilight“ verwarf der großgewachsene Mann mit dem kantigen Kinn und den diktatorischen Tendenzen alle kompositorischen Beiträge seiner Mitstreiter und provozierte so den unauffälligen Split. Als Solokünstler mit musikalischem Anhang greift er heute die Widersprüche eines zunehmend digitalisierten Alltags auf, ohne ihm auf den Leim zu gehen. Surreale Lyriks greifen brachial in die rätselhafte Welt der sozialen Netzwerke ein. Bilder von zerbombten Städten stehen verstörend neben jenen von veganen Mettbrötchen, Petitionen von Unisex-Toiletten oder neuen Fahrradwegen. Das ist die Kunst dieser musikalischen Gegenkultur: die ironische Aufladung eines effektheischenden Zeitgeistes mit Banalitäten. Wo alles wichtig ist, wird alles egal.

Der unprätentiöse Kalifornier, der einige Jahre in Berlin lebte und heute in Portland daheim ist, würde dennoch niemals für sich in Anspruch nehmen, den Rock‘n‘Roll zum x-ten Male neu erfunden zu haben. Nachdem das Feuer der Revolte spätestens beim Altamont-Festival unwiederbringlich unter einer rassistischen Blut-Fontäne erloschen ist, müssen heute sämtliche Auflehnungs-Gesten im Shabby-Look peinlich wirken. Nur die Stones zerren seit Jahrzehnten die vermeintlichen Ideale der Achtundsechziger wie eine Projektionsfläche für ihr eigenes Geschäftsmodell halbwegs selbstironisch über die Monsterbühnen dieser Welt. Und wo Lenny Kravitz und die Jungs von U2 jetzt peinlich darauf achten, dass sie als Hohepriester der globalen Entrüstung wahrgenommen werden, kann sich Malkmus in die weitaus relevantere Poser-Rolle des coolen Weltendeuters zurückziehen. Er folge manchmal auf Twitter einigen der gebildeteren Rechtspopulisten, gestand er neulich, „nicht weil ich ihre Meinung teile, sondern weil ich ihre Argumente nachvollziehen will.“ Das muss man sich erst mal trauen im traditionell linken US-Showbiz: intellektuelle Tiefenschärfe auszusenden, selbst wenn man dabei Gefahr läuft, in Shitstorms gegrillt zu werden oder die erhoffte Anzahl von Facebook-Likes zu verfehlen. Malkmus belustigt das allzu politisch Korrekte seiner Berufskollegen, das häufig Züge von Selbstzensur annehme. Macht sich nicht auch der, der jeden irrelevanten Tweed eines US-Präsidenten kommentiert, irgendwann selbst irrelevant?

Wer wie der nimmermüde Freigeist die zunehmende Spaltung unserer Gesellschaft in sperrige Songs meißelt, hat gelernt, sich den musikalischen Strömungen von den Rändern der jeweils vorherrschenden Moden her zu nähern. Malkmus greift auf „Sparkle Hard“ erneut wichtige Themen unserer Zeit auf und verpackt sie in um-die-Ecke-gedachten Rocksongs und nicht mehr ganz so schrägen Balladen. Auch wenn aus dem dauerironischen Slacker mittlerweile ein ernsthafter Studio-Nerd geworden sein sollte, der morgens die zwei Töchter zur Schule fährt, pflegt er seine musikalische Nische weiter mit Spott und Hingabe.

Stephen Malkmus & The Jicks spielen am Montag (29.10.) im Lido Berlin und am Dienstag (30.10.) im Stadtgarten von Köln.

Infos und Tickets gibt es unter www.schoneberg.de, www.lido-berlin.de und www.stadtgarten.de

Back to topbutton