Surrealer Psychothriller zum Auftakt

Kafkas „Prozess“ (ab 5.7.) und Hornbys „A Long Way Down“ (ab 20.7.) eröffnen die Sprechtheater-Saison bei den 69. Bad Hersfelder Festspielen (bis 1.9.)

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© Karsten Socher

Das Stück passe in die traditionsreiche Stiftsruine und in unsere Zeit, erläutert Intendant Joern Hinkel (Foto) seine Wahl, die neunundsechzigste Saison in Bad Hersfeld ausgerechnet mit Kafkas „Prozess“ einzuleiten. Hinkel, der „den ersten Psychothriller der Weltliteratur“ für die riesenhafte Freilichtbühne adaptierte und selbst inszenieren wird, will vor allem die humoristisch-abseitigen und lächelnden Aspekte der Vorlage herausarbeiten. Er erinnert an die Vorgänge um den Journalisten Jamal Kashoggi oder die Entlassung von Richtern in vielen Ländern, sein Kafka werde aber auch vor „komischen, absurden Situationen“ überquellen. Dass der Prager ein begeisterter Kinogänger und Witze-Erzähler war, soll man den Slapstick-haften Szenerien anmerken.

Ein lustvoller Beschwörer von kleinen Alltags-Absurditäten sei Kafka gewesen, so Hinkel, „ein Vorbild für die peniblen Wortverwicklungen eines Loriot, für den schwarzen Humor der Coen-Brüder oder die Traumlandschaften eines René Magritte.“ Sein „Prozess“ sei ein Fest der Poesie des liebevollen Scheiterns, ein Zeremoniell des bürokratischen Irrsinns mit finsteren, aber lebenshungrigen Figuren. Eine von ihnen wird die Kult-Schauspielerin Marianne Sägebrecht verkörpern, die in die Rolle der Haushälterin Grubach schlüpfen wird. Während die Hauptfigur Josef K. langsam in die Doppelbödigkeit des surrealen Alltags hinabsteigt, könnte die resolute Bayerin mit ihren unprätentiösen Dialogen das passende Äquivalent zur Düsternis abgeben.

Eine weitere Überraschung liefert auch die zweite echte Sprechtheater-Premiere im zweiten Jahr nach Dieter Wedels Demission. Auf der Nebenbühne des Schlosses Eichhof hat sich Christian Nickel Nick Hornbys Roman „A Long Way Down“ (ab 20.7.) angenommen. Der Erfolgsautor schildert darin mit typisch britischem Humor die Lebensgeschichten von vier suizidalen Randständigen, die sich letztmalig einander anvertrauen - fürwahr kein Stoff fürs launige Sommertheater. Dass Bettina Wilts Dramatisierung ausgerechnet in Hersfeld ihre Uraufführung erfährt, ist der Handschrift einer mutigen Festspiel-Leitung geschuldet, die das künstlerische Profil von Deutschlands renommiertesten Theaterfestival weiter schärfen möchte. Und Nickel, der als Schauspieler zum nordhessischen Publikumsliebling aufgestiegen ist, wird einmal mehr beweisen müssen, dass er auch Regie kann.

www.bad-hersfelder-festspiele.de

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