Zotiger Sturm, anarchischer Drang

Hausregisseur Christian Weise gibt in Mannheim mit einer parodistischen Dekonstruktion von Schillers „Räubern“ die neue programmatische Ausrichtung am Nationaltheater vor. Wir konnten für unsere FRIZZmag-Serie THEATERcross-border einen ersten Eindruck gewinnen.

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© Hans Jörg Michel

Die Brüder arbeiten an der Umkehr der Verhältnisse. Während der Student Karl von Moor  (Nicolas Fethi Türksever) sich in Leipzig in Kneipen für die deutsche Republik stark macht und mit seinen Streichen die Stadt in Atem hält, heckt sein jüngerer Bruder daheim im gräflichen Schloss einen Racheplan gegen den vom Vater geliebten Erben aus. Karl will am ganzen feudalistischen System zündeln, der Intrigiert Franz (Christoph Bornmüller) nutzt hingegen Fürstenherrschaft und Kleinstaaterei, um sich darin die Machtposition zu sichern. Entmachtet, so sind sich beide einig, gehört der Vater (Almut Henkel). Der wird dem Land und den Söhnen zur Last. So verschmilzt bei Schiller der Familienzwist mit der politischen Situation ein knappes Jahrzehnt vor der Französischen Revolution. In Mannheim wird das nicht immer deutlich, ebenso wenig, wohin die Reise in der noch jungen Spielzeit am Nationaltheater Mannheim gehen soll. Zu groß die künstlerischen Fußabdrücke, die der mittlerweile nach Stuttgart abgewanderte Intendanten-Großmeister Burkhard C. Kosminski mit einem eingespielten Ensemble in der Kurpfalz hinterlassen hat. Sicher ist: Klamauk kann die um einige junge Kräfte ergänzte Spieltruppe nach wie vor ganz passabel. Neugierig macht die zweieinhalbstündige Demontage des Klassikers hingegen in erster Linie auf die kommenden Premieren.

Als das Theater in Mannheim Friedrich Schillers Räuberpistole 1782 uraufführte, verlegte die Intendanz die Handlung kurzerhand ins Mittelalter. Der neue Hausregisseur  Christian Weise verfolgt am Neckar einen ähnlich rückwärtsgewandten Ansatz und lässt die anarchische Geschwister-Tragödie ziemlich extravagant in einer Rentner-Kolonie im brasilianischen Urwald spielen. Sarah Zastrau als Herzschmerz-Arien trällernde Karl-Moor-Verlobte Amalia sorgt zwischen Kunstpalmen mit einer Mischung aus Slapstick-Diva und Backfisch für Schmunzeleinheiten, wenn sie den Staubwedel als Fetisch-Instrument einsetzt. Daneben döst die Veteranen-Bande im Fachwerk-Dschungel unter alten Geweihen und Landkarten, und wenn Senioren der alten Heimat nachtrauern, dann dröhnen schon mal Wagner-Opern, „Ton Steine Scherben“ und Willy Brandt hintereinander aus dem Grammophon.

Nazi-Kult und Zarah-Leander-Schwulst unter dem brasilianischen Trump.

Vor dem Setting einer kolonialen Szenerie hätten sich die Abnutzungen und Erstarrungen der aktuellen Merkel-Regierung abbilden lassen, doch wenn Weises Greisentrupp die Gründung eines Vierten Reichs mit reichlich Nationalhymnen-Pathos und Zarah-Leander-Schwulst beim Fliegeralarm im Luftschutzbunker proklamiert, dann grüßt eben immer auch das braune Erbe der nach Südamerika entkommenen Nazis über den großen Teich. Zombiegleich wird dort in Höhlen und in unförmigen Historienkostümen so etwas wie eine deutsche Identität beschworen. Es sind fratzenhafte Gestalten in jahrmarktähnlichen Geisterbahn-Kulissen, die sich hier recht deutlich absetzen vom edelmütigen und aufrührerischen Gestus dieses Schlüsselwerks des Sturm und Drang. Tatsächlich lassen die kaum verhohlenen Hitlergrüße vom anderen Ende der Welt eine ziemlich eindeutige Lesart der politischen Verhältnisse unter dem neuen nationalkonservativen Politiker Jair Bolsonaro erahnen. Andererseits war die Mannheimer Premiere bereits vor Amtseinführung des brasilianischen Trumps, und wenn das parodistische Pendel der Aufführung dann doch wieder einen Tick zu heftig in Richtung knallbunter Altherren-Schwank und geriatrisches Boulevard ausschlägt, dann kann man den Eindruck gewinnen, dass sich hier alle bloß einen riesengroßen Spaß erlaubt haben.

© Hans Jörg Michel

Franz Moor, der intrigante Böse? Karl, der irregeleitete Gutmensch? Sein Vater, der betrogene Herrscher? Amalia, die tapfere Braut? Nein, so einfach ist das am Neckar nicht, auch wenn am Ende, wie bei Schiller, fast alle tot sind. Und so bleibt schlussendlich nur der Verdacht, dass sich die Alten im Spätherbst ihres Lebens mit einem grellen Laienspiel vom alten Schiller an den politischen Korrektheiten einer neuen Gesellschaft abarbeiten wollen, mit zotigem Ernst und heiliger Albernheit. Die generiert hier einige Lacher im Publikum, kann natürlich nicht über die verlotterte politische Verfasstheit des eigenen Landes hinwegspielen. Was hat Vater Staat seinen Kindern nur angetan? Oder was hat er versäumt, dass das passieren konnte? Wenn Risse durch die Gesellschaft gehen und rechts und links Misstrauen, Angst und Feindlichkeit wachsen, dann sind anarchischer Witz und enthemmte Spielfreude als erste vertrauensbildende Maßnahme kein schlechter Kitt. Nicht nur in Brasilien oder in diesem Theater.

Die Inszenierung steht seit Herbst 2018 auf dem Spielplan des Nationaltheaters Mannheim. Infos und Tickets zum Gesamtprogramm gibt es unter www.nationaltheater-mannheim.de

FRIZZmag blickt mit seiner Serie THEATERcross-border in unregelmäßiger Folge über den Bühnenrand seines Verbreitungsgebietes hinaus: Was etwa machen eigentlich Regisseure und Schauspieler, die einst in Darmstadt wirkten, heute? Dazu werden spannende Inszenierungen und stimmungsvolle Festivals journalistisch ausgeleuchtet, gibt es packende Ein- und Ausblicke auf das deutschsprachige Theatertreiben und meinungsstarke Kritiken - zumeist überregional und außerhalb des Rhein-Main-Neckar-Deltas. Denn wir glauben: Theater muss sein. Selbstverständlich auch im Urlaub und auf Reisen.

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