Feuer und Flamme für Freiheit

Oberspielleiter Hannes Hametner treibt mit Bradburys „Fahrenheit 451“ (ab 18. April) seine Verjüngungskur am Pforzheimer Schauspiel weiter voran. Unsere FRIZZmag-Serie "THEATERcross-border" gibt einen Ausblick auf die jüngste Premiere.

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© Lenja Schultze

Fahrenheit 451, das ist die Temperatur, bei der Papier Feuer fängt. Dass sich in jüngster Zeit zunehmend die Sprechtheater für den explosiven, aber etwas vergessenen Literaturstoff erwärmen konnten, könnte damit zusammenhängen, dass seit Jahren ein begeisterter Social-Media-Nerd im Weißen Haus haarscharf über das kulturelle Erbe seines Landes hinweg twittert. Zwar wird niemand ernsthaft behaupten wollen, dass in den USA unter Obama mehr gelesen wurde. Doch erst als der US-Regisseur und Drehbuchautor Ramin Bahrani im vergangenen Jahr Ray Bradburys Sci-Fi-Story in eine Parabel auf die Trump-Ära verwandelte, indem er sie für den Bezahlsender HBO ins digitale Zeitalter beförderte und ihr damit eine im Wortsinn brandaktuelle politische Dimension verlieh, konnten und wollten die Theaterbühnen nicht nachstehen. Gerade die letzten Film-Überschreibungen der Geschichte zeigten aber, dass der Flächenbrand der Medien-Pervertierung wohl nur durch den technischen Overkill der Medien selbst gelöscht werden kann. Wie die Theater nachfolgend mit dieser Ambivalenz umgehen werden, bleibt völlig offen.

„Fahrenheit 451“ bildet ja auch eine wunderbare Projektionsfläche für alle Spielarten des autoritären Machtmissbrauchs ab. Ray Bradburys Kultroman von 1953 über ein faschistisches Amerika, das Bücher erst verbannt und dann verbrennt, wurde erstmals 1966 von François Truffaut verfilmt. Dann wagte sich lange niemand an diese Dystopie. Bradbury starb 2012 mit 91 Jahren. Der Autor sah den Aufstieg von „alternativen Fakten“ wohl voraus. Nicht nur Bücher seien bedroht, sondern alles menschliche Denken und Handeln, sagte er einmal. Wir hätten unsere Social-Media-Accounts zu Hütern unserer Erinnerungen, Gefühle, Träume und Fakten ernannt. Doch Bradbury warnte schon viel früher, als das NS-Regime noch in allzu akuter Erinnerung war, vor der faschistischen Repression von Intellekt und Dissens durch Propaganda, Zensur und Gleichschaltung. Und eben vor stumpfsinniger Unterhaltung.

Wissen ist eine brandgefährliche Sache

In Bradburys Roman vernichtet ausgerechnet die Feuerwehr Bücher als letztes Wissensreservoir, während sich die Menschen von Drogen und vom Massenmedium Fernsehen ins Kollektivkoma wegbeamen lassen. Hannes Hametners Inszenierung für das Pforzheimer Schauspiel setzt dort an, wo die aktuellen Film-Überschreibungen die Pervertierung von TV-Mattscheiben zu Social-Media-Screens überhöhen. Statt militarisierten Cops und staatlich gelenkter Massenhysterie im Reality-TV dürfte die apokalyptisch anmutende Story als Schauspiel-Adaption im Laufe der Handlung an der Enz einen Ausblick auf einen neuen Zukunftsglauben entfalten. Im Mittelpunkt des Abends steht der Feuerwehrmann Guy (Clemens Ansorg) und dessen Frau Mildred (Konstanze Fischer). Die haben sich zwar mit dem System arrangiert, dennoch hat Guy illegal einige Bücher in ihrem Haus gehortet. Durch sie lernt er die Schönheit des Lebens, die Faszination von Kultur, den Wert der Sprache und des freien Denkens kennen. Nach einer Reihe verstörender Erlebnisse beginnt Guy sogar, das ganze System zu hinterfragen. Immer mehr ist er fasziniert von der Macht der Wörter und des Wissens, das diese zu vermitteln scheinen. Als er mit weiteren Andersdenkenden in Kontakt tritt, nimmt das Drama seinen Lauf.

Man mag die Handlung als ein Panorama der Hoffnung ein wenig abgegriffen finden, andererseits lässt es sich kaum schlüssiger und glaubhafter als mit einem jungen und neu zusammengestellten Schauspielensemble (Foto: Mira Huber) verzahnen und dechiffrieren wie hier im Nordschwarzwald zwischen den Metropolregionen von Karlsruhe und Stuttgart. Das Stück ist nicht nur eine Liebeserklärung an die Macht der Literatur und der Kunst, die Grenzen zu sprengen vermag, es richtet sich mit seinem theaterpädagogischem Angebot gezielt auch an jene Schulen, die den Stoff gemäß dem aktuellen baden-württembergischen Bildungsplan derzeit als Schwerpunktthema im Lehrangebot haben.

„Fahrenheit 451“ steht ab 18. April auf dem Spielplan des Theaters Pforzheim. Infos und Tickets über das Gesamtprogramm hält das Internet unter www.theater-pforzheim.de bereit

FRIZZmag blickt mit seiner Serie THEATERcross-border in unregelmäßiger Folge über den Bühnenrand seines Verbreitungsgebietes hinaus: Was etwa machen eigentlich Regisseure und Schauspieler, die einst in Darmstadt wirkten, heute? Dazu werden spannende Inszenierungen und stimmungsvolle Festivals journalistisch ausgeleuchtet, gibt es packende Ein- und Ausblicke auf das deutschsprachige Theatertreiben und meinungsstarke Kritiken - zumeist überregional und außerhalb des Rhein-Main-Neckar-Deltas. Denn wir glauben: Theater muss sein. Selbstverständlich auch im Urlaub und auf Reisen.

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