Unerträgliches Happy End

Schuld und Sühne bei den Festspielen Ludwigshafen (bis 16.12.): Die Hamburger Schauspielhaus-Intendantin Karin Baier bringt mit dem „Kaufmann von Venedig“ (24. u. 25.11) ein starkes Stück mit Starbesetzung in den Pfalzbau. Nur eine der vielen bemerkenswerten Inszenierungen, die unsere FRIZZmag-Serie "THEATERcross-border" empfehlen kann.

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© Matthias Horn / Deutsches Schauspielhaus Hamburg

Ein Kaufmann leiht sich Geld, und als der seine Schuld nicht begleichen kann, verlangt der Geldverleiher Unglaubliches. Der Schuldner solle sich ein Pfund Fleisch aus dem Leib schneiden. Nein, man kann wirklich nicht behaupten, dass Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ ein leichtverdauliches Stück sei. Der elisabethanische Meister mischte wild die Genres Liebesgeschichte, Politkrimi und Mummenschanz, und bediente sich einer Figurenzeichnung, die man 2018 antisemitisch nennen muss, die allerdings vor vier Jahrhunderten auch ein aufklärerisches Moment besaß: dass der Jude nämlich ein Mensch sei, unsympathisch zwar, aber dennoch ein Mensch. Am Ende ist diese Figur gebrochen, für Shakespeare war dieses Ende ein glückliches: „Der Kaufmann von Venedig“ ist eine Komödie, aber zu lachen gibt es wenig. Das vielleicht unerträglichste Happy End der Literaturgeschichte. Wie geht man mit so einem Stück um?

Karin Beier, die Intendantin und Regisseurin des Hamburger Schauspielhauses, unterzieht Shakespeare einer gnadenlosen Selbstbefragung: „Der Kaufmann“ kommt als Inszenierung der vergangenen Spielzeit von der Alster an den Rhein, erneut mit Joachim Meyerhoff  in der Titelrolle. Beier versteht ihre Spielleitung als ständiges Hinterfragen der Figuren. Ihre Inszenierung spiegelt ein kanonisiertes Stück nicht in die Gegenwart, sondern ist die literaturwissenschaftliche Analyse eines Textes. Als Theater mag das spröde anmuten, eine Aufführung, der man zuweilen anmerkt, dass sie dem Papier der Vorlage nicht traut. Das Thema wird eben ständig von der eigenen Skepsis vorangetrieben. Fein, wer da einem Ensemble vorsteht, das weniger Skrupel hat und lieber mutig nach vorne spielt.

Der vom Wiener Burgtheater ausgeliehene, mit seinem Melle-Solo neulich auch zum Berliner Theatertreffen eingeladene Joachim Meyerhoff glänzt als Shylock. Carlo Ljubek ist als Kaufmann Antonio ein weicher Typ, der sich voller Lebensüberdruss danach zu sehnen scheint, dass man ihm das Herz aus der Brust schneide. Angelika Richter gibt die höhere Tochter Portia mit der Giftigkeit einer Frau, die sich Toleranz leistet, weil sie weiß, dass diese Toleranz folgenlos bleibt. Und Gala Othero Winter ist als Shylocks Tochter Jessica ein poröses Wesen, das dem Reigen der Abwertung und des Hasses panisch gegenübersteht. Am Ende wird sie in einer Trümmerlandschaft zurückbleiben.

Ergänzt wird das vielfältige Schauspielprogramm in Ludwigshafen durch eine Reihe von Lesungen, unter anderen von Brigitte Hobmeier und Josef Bierbichler. Das abwechslungsreiche Tanzprogramm der Festspiele wird erstmals von der Choreographin Nanine Linning verantwortet. Das Münchner Residenztheater ist mit vier Aufführungen vertreten: Ayad Akhtars Erfolgsstück „Geächtet“, Martin Kusejs Inszenierung von „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“, Nikolaus Habjans vielbeachteter Version von Marivauxs „Der Streit“ und Molières „Tartuffe“. Die Kammerspiele zeigen Susanne Kennedys überwältigend-körperliche, rauschhafte Interpretation von Eugenides „Die Selbstmordschwestern“, und das von Andrea Gronemeyer geleitete Kinder- und Jugendtheater Schauburg gastiert mit zwei Produktionen für die jüngeren Besucher.

Infos und Tickets gibt es unter www.theater-im-pfalzbau.de

FRIZZmag blickt mit seiner Serie THEATERcross-border in unregelmäßiger Folge über den Bühnenrand seines Verbreitungsgebietes hinaus: Was etwa machen eigentlich Regisseure und Schauspieler, die einst in Darmstadt wirkten, heute? Dazu werden spannende Inszenierungen und stimmungsvolle Festivals journalistisch ausgeleuchtet, gibt es packende Ein- und Ausblicke auf das deutschsprachige Theatertreiben und meinungsstarke Kritiken - zumeist überregional und außerhalb des Rhein-Main-Neckar-Deltas. Denn wir glauben: Theater muss sein. Selbstverständlich auch im Urlaub und auf Reisen.

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