Flammendes Ego in der Spießerhölle

Max Frischs „Herr Biedermann und die Brandstifter“ (seit 23.2.) schöpft seine Aktualität aus dem täglichen Polit-Irrsinn. Am Pforzheimer Schauspiel hat man aus der Unterwürfigkeits-Parabel eine temporeiche Reality-Satire destilliert. Die FRIZZmag-Serie "THEATERcross-border" meint: Ansehen - und die Abi-Interpretationen vergessen!

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© Sabine Haymann

Brennen kann bekanntlich viel. Aber muss man sich für alles, was uns Menschen spontan befeuert, gleich auch entflammen? Max Frisch haben Fragen nach der Verführbarkeit, der Anfälligkeit für Manipulation und der ewigen Suche nach Bestätigung ein Leben lang beschäftigt. Sein Schlüsseldrama „Biedermann und die Brandstifter“ gibt es gleich in mehreren Fassungen. In Pforzheim spielt man die Hörspiel-Adaption, nach der Biedermann der Flammenhölle lebend entkommt und das Stück ein wenig als Rechtfertigungsmarathon nachglühen darf. Das klingt moralischer, als es auf der Bühne verfängt. Denn wer würde behaupten, dass er so ganz anders denken und handeln würde als dieser Philister in Feingeist-Robe? Wer wie Biedermann den Gutmenschen in sich entdeckt, strebt schon mal nach öffentlicher Wahrnehmung und Anerkennung. Nach Frischs Lektüre gehört das Feuer der Selbstdarstellung früher oder später gelöscht: Passt auf, dass ihr in eurer verdammten Eitelkeit nicht verglüht! Natürlich ist es komplizierter. Viel komplizierter.

Brandstifter treiben ihr Unwesen. In der Nachbarschaft arbeiten sie stets nach der gleichen Methode. Erst nisten sie sich am Dachstuhl ein, danach brennt die ganze Hütte. Zwar hat der Haarwasserfabrikant Gottlieb Biedermann klare Regeln und lässt Hausierer grundsätzlich abblitzen, doch als eines Tages Schmitz vor der Tür steht und Biedermann schmeichelt, wird der weich. Der angebliche Ringer gibt dem Hausherrn das Gefühl, ein anständiger Mensch zu sein. Biedermann gefällt sich in der Rolle des Menschenfreundes und gewährt Unterkunft. Oberspielleiter Hannes Hametner schreitet mit seinem kleinen Ensemble an der Enz zu einer brandaktuellen gesellschaftlichen Bestandsaufnahme. Ihm gelingt, woran größere Theaterhäuser in der Vergangenheit häufig scheiterten: Die menschliche Psyche im Augenblick der Unterwerfung grellbunt auszuleuchten, anstatt sie erklären zu wollen. Damit ist er Frisch dicht auf den Fersen, dessen erste Skizze sich 1948 noch satirisch an der kommunistischen Machtübernahme in der Tschechoslowakei abarbeitete. Zu einem Demuts-Lehrstück über die umstrittene Westbindung, den braunen Muff der Adenauer-Restauration und damit zur Schullektüre wurden die „Brandstifter“ erst später.

“Light Up Your Life“ - die Sprüche eines Wanderpredigers formen Biedermanns Selbstbildnis.

Der Züricher Schriftsteller schätzte die Wirkung seines „Lehrstücks ohne Lehre“ stets pessimistisch ein. Wie dem zum Trotz geht man in Pforzheim mit einer temporeichen Reality-Satire an den Start. Im Hintergrund hört man schon die Benzinfässer rollen, wenn sich vorne an der Rampe Robert Besta als Gottlieb Biedermann warmredet: ein neoliberaler Kleinbürger mir Goldschnipseln im Haar und Geldscheinen im Bund seiner Unterhose. So ein Prahlhans fällt der absehbaren Gefahr nicht einfach in die Arme. Wenn er verbal tapfer den Flammen trotzt, um seine Frau in Sicherheit zu wiegen, dann wirken Selbstüberschätzung und Doppelmoral wie Brandbeschleuniger. Im häuslichen Umfeld kommt Biedermanns Aufpolieren des eigenen Selbstbildnisses anfangs selbstlos daher, aber die Fassade seines vermeintlich sozialen Unternehmertums zeigt bereits Brüche, wenn der Selbstmord einer seiner Angestellten just auf den Termin einer seiner Spendengalas fällt. „Light Up Your Life“ blinkt es auf dem riesigen LED-Werbebanner an der Rückwand der Bühne auf - und angestachelt vom rhetorischen Rüstzeug eines New-Age-Wanderpredigers geht der kühl-berechnende Wirtschaftsstratege dann auch dem dunklen Ende seines gerade erst erhellten Lebens entgegen.

Dirk Steffen Göpfert (Bühne) hat eine loftartige Spießerhölle eingerichtet, mit Sektflaschen als Molotow-Cocktail-Blumen und einem angekokelten Ecksofa als Machtzentrum. Der wunderbare Schauspieler Besta ist hier nur kurz ein verunsicherter Biedermann, wenn er den nahenden Niedergang erschnüffelt, mit Rauch in der Nase und frommen Erlöser-Sprüchen auf den Lippen. Einer, der sich genussvoll einwickeln lässt vom schmatzenden Brandstifter Schmitz (Jens Peter) und dessen wortgewandtem Kompagnon Eisenring (Sophie Lochmann). Es sind kalte Zyniker in Clowns-Kostümen, die hier zündeln, keine verklemmten Feuerwerker mit Bierfahne. Wenn sie vom hohen Bibelton in den kruden Jugendjargon fallen und über Unterwürfigkeit schwadronieren, dann sehen wir sie auch immer basteln, was die Spritvorräte hergeben. Wer unter dem Eindruck dieser Clockwork-Orange-Horrorshow jetzt noch den elektrisierten Hausherren gibt, muss über ein flammendes Ego verfügen - und berauscht sein von Selbsttäuschung.

© Sabine Haymann

Katja Thiele zeigt, wie unbehaglich sie sich als Frau Biedermann unter der Glocke aus gespielter Harmlosigkeit und echter Demagogie fühlt. Aber sie widerspricht nicht, muckt nicht auf, möchte die Komfortzone nicht verlassen. Mira Huber liefert als Hausmädchen mit blauen Haaren derbe Slapstick-Einlagen nach Ansage. Sie und die Alte deklamieren und moderieren zudem in Doppelrollen den eigenen Untergang mit rollendem Augenaufschlag und in eingewobenen Rückblenden - ein irrer Gag, den Regisseur Hametner weidlich ausbaut, um auch die anderen Spieler im Rahmen fiktiver Ratespiel-Situationen mit dem Publikum interagieren zu lassen. Es geht um die innere Verfasstheit unserer Gesellschaft als TV-Quiz. Wer hat Schuld an Armut? An der Verderbtheit der Welt? Die Politik? Die Industrie? Das Kapital? Oder eben doch nur der Biedermann und Brandstifter in uns allen? Wo sich das Stück jeder Deutungshoheit entzieht, bietet die Showbühne immerhin noch ein Ventil für inszenierte Betroffenheit zur Prime Time: Günther Jauch trifft Stanley Kubrick. Mehr Revolution 4.0 geht nicht.

Dunkeldeutschland, das sind im Parolen-Gewitter jeweils immer die anderen.

Auf der beschaulichen Podium-Bühne des Schauspiels zündet das aufwieglerische Potenzial der Brandstifter gleich doppelt. In dieser lodernd-temporeichen Farce zeichnen sich die Parallelen zur Wirklichkeit innerhalb der Theaterwände als eindringliche Scherenschnitte ab. Es ist eine Gesellschaft in Auflösung, die sich hier spiegelt: Die dumpfen Parolen der Ewiggestrigen. Aber auch jene wohlmeinenden Stimmen aus dem bigotten Lager vieler Parteichristen, die moralische Freibriefe kategorisch nach Hautfarbe und ethnischer Zugehörigkeit verteilen. Dunkeldeutschland, das sind hier jeweils die anderen.

In der Schmuckstadt Pforzheim mit ihren 120 000 Einwohnern wird das alles verstanden. Sie ist eine Hochburg der AfD. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 7,8 Prozent. Das klingt halb so wild, ist aber doppelt so hoch wie der Landesdurchschnitt. Damit ist Pforzheim Schlusslicht im „Autoländle“. Der AfD-Mann Bernd Grimmer stand mal für Umweltschutz und eine US-kritische und pazifistische Außenpolitik. „Alles durchaus linke Positionen“, sagt er heute. Er und seine Partei holten sich eines von zwei Direktmandaten für den baden-württembergischen Landtag. Im Stadtteil Heidach kam seine Partei sogar auf 44 Prozent. Zu verdanken haben es die Rechtsnationalen wohl zu einem guten Teil den Russlanddeutschen, die 20 Prozent der Bürgerschaft stellen. Wer in Heidach für Russland-Sanktionen plakatiert, sollte sein Auto nicht in schummrigen Nebenstraßen abstellen. Doch wie selbstverständlich drehen sich zwischen Theken mit schlesischem Tworog-Frischkäse und sibirischen Pelmini auch Dönerspieße. Es ist eben alles etwas komplizierter in Pforzheim.

Okay, aber muss es gleich mitgedacht werden im Theater? Vor, auf und hinter der Bühne? Auch im Kunstbetrieb tun sich das liberale und das rechte Lager zunehmend schwer, sich überhaupt noch zu verständigen. Das Theater hat die Risse, die durch das Land gehen, gleich doppelt auszuhalten, weil es sich die Reflexion so überdeutlich auf die Fahnen geschrieben hat. Die Klüfte zwischen Arm und Reich, Macht und Ohnmacht lassen sich längst nicht mehr mit den gängigen Mustern wegdiskutieren, mit denen sich das linksliberale Milieu sonst das Phänomen der erstarkenden Rechten ein bisschen zu leicht erklärt hatte: abgehängt, sozial schwach, ungebildet und irgendwie unterwürfig. Der Pforzheimer „Biedermann“ stellt das Dilemma abstrahiert und in Andeutungen aus. Das Feuer auf dem Dachstuhl ist als Weltenbrand großes Kopfkino, befeuert von Strategie-Spielern, die aus allen ideologischen Richtungen zündeln. Je wilder die Aufführung dreht, je skurriler die Geschichte ausschlägt, umso intensiver jedenfalls der Appell, sich vor denjenigen nicht zu ducken, die mit frecher Energie die Demokratie in Schutt und Asche legen wollen. Oder sie auch noch ans Herz zu drücken, um die eigene Haut zu retten, aus Eitelkeit, aus Ignoranz. Um das zu verstehen, braucht es nun wirklich keine Ideologie. Nur lautes Theater mit einer leisen Botschaft. Und ein wenig Vertrauen auf den eigenen Verstand.

www.theater-pforzheim.de

FRIZZmag blickt mit seiner Serie THEATERcross-border in unregelmäßiger Folge über den Bühnenrand seines Verbreitungsgebietes hinaus: Was etwa machen eigentlich Regisseure und Schauspieler, die einst in Darmstadt wirkten, heute? Dazu werden spannende Inszenierungen und stimmungsvolle Festivals journalistisch ausgeleuchtet, gibt es packende Ein- und Ausblicke auf das deutschsprachige Theatertreiben und meinungsstarke Kritiken - zumeist überregional und außerhalb des Rhein-Main-Neckar-Deltas. Denn wir glauben: Theater muss sein. Selbstverständlich auch im Urlaub und auf Reisen.

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