Erpressung mit Seelenstriptease

Echokammern, Politikverdrossenheit und Verschwörungstheorien: Schauspiel-Intendant Anselm Weber zeigt in Frankfurt mit „Furor“ die großen gesellschaftspolitischen Verwerfungen als raues Kammerspiel. FRIZZmag hat es sich angesehen.

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© Thomas Aurin

Der Paketzusteller, das unbekannte Wesen. 150 Stopps am Tag sind keine Seltenheit. Geschlafen wird auf der Ladefläche hinten im Sprinter. Auf den Kleintransportern prangen die Labels ihrer Unternehmen, für die sie sich krumm machen. Eiltrans, GLS, DPD oder Hermes. Aber selbst das ist Fassade, denn die Lohntüten der Niedriglöhner halten häufig nur die Adressen windiger Subunternehmer parat. Die soll keiner kennen, schon weil deren Gewinne auf irgendwelchen Inselgruppen versteuert werden, deren Namen so exotisch klingen, dass die Mitarbeiter in den hiesigen Finanzämtern Ohrensausen bekommen. Die Männer und die wenigen Frauen, die sich den Job des Paketfahrers antun, ertragen in den Monaten und Jahren, in denen sie durchhalten, die Hölle. Viele Fahrer sind Araber oder Türken. Sie bekommen keine besseren Jobs. Sind sie erschöpft oder krank, darf der Bruder oder der Schwager ans Steuer. Die meisten von ihnen wollen über ihre Knechtschaft wie aus der Zeit des Frühkapitalismus nicht sprechen. Aus Scham. Die anderen sprechen schlicht kein Deutsch.

Machen wir uns nichts vor: Was wir über den Knochenjob des Paketzustellers wissen, speist sich zumeist aus Informationen lärmender Medien oder den Berichten von Günter Wallraff. Der hat es als ewige Kanalratte des deutschen Journalismus in den letzten Jahrzehnten mit der Wahrheit nicht so genau genommen. Umso mehr sind wir auf das Stück-Paket gespannt, das uns das Schauspiel Frankfurt mit „Furor“ geschnürt hat. Den Dramastoff entwickelte des Autorenduo Lutz Hübner und Sarah Nemitz als Auftragsarbeit. Darin geht es zwar nur am Rande um Paketdienstleister, aber wie es dem Intendanten und Regisseur Anselm Weber in nicht einmal zwei Stunden Aufführungsdauer gelingt, aus der Perspektive eines Verlierers die gesamte repräsentative Demokratie in Frage zu stellen, das würde selbst einem Günter Wallraff die Schweißperlen auf die Stirn treiben. Freidrehend darf die Hauptfigur mal aus dem Kommunistischen Manifest postulieren, dann wieder sehen wir sie als unbedarften Rechtsausleger schäumen.

Hausherr Weber kann auch aus dem Vollen schöpfen. Hübner und Nemitz stehen seit Jahren für ziemlich clever recherchierte Theaterstücke, die gesellschaftliche Dreckecken ausleuchten. Ob nun eine besonders fortschrittliche Wohngemeinschaft ein Flüchtlingszimmer zur Verfügung stellen will oder ob osteuropäische Frauen nach Deutschland kommen, die hier dann ihr Baby für den Adoptionsmarkt aussetzen - das Autorenpaar generiert stimmige Bilder und Konstellationen für Politikverdrossenheit, Verschwörungstheorien und Shitstorms, die im Gesellschaftsteil der Zeitungen meist abstrakt abgehandelt bleiben. Dass einige ihrer gesellschaftspolitischen Stücke vor allem als papierne Lesedramen nachhallen - geschenkt.

Im Redeschwall gehen dem erniedrigten Rechtsausleger die Argumente aus.

Das Setting in „Furor“ wirkt hingegen wie ein Angriff aus dem prallen Leben. Bürgermeister-Kandidat Braubach überfährt im Berufsverkehr einen drogenabhängigen Jugendlichen, der als Schwarzfahrer aus der Straßenbahn springt. Braubach trifft keine Schuld, macht aber trotzdem einen Entschuldigungsbesuch bei der unterprivilegierten Mutter (Katharina Linder als resoluter Prekariats-Sidekick) des Verunfallten, der beinamputiert auf der Intensivstation liegt. Als deren Neffe Jerome dazukommt, sind die Schienen schnell gelegt für ein räudiges Sozialdrama, das erfreulich deutlich dem dialogischen Kanon des jüngeren amerikanischen Konversationstheaters folgt: Der Underdog, der bei einem Paketdienst jobbt, stellt den Politprofi gedankenschnell zur Rede. Fordert Geld, bedroht ihn.

© Thomas Aurin

Der schlaksige Fridolin Sandmeyer hat sich für seine Rolle des Bösen einen Kurzhaarschnitt verpasst und tanzt diesen faschistoid-klassenkämpferischen Erpresser eben nicht als uniforme rechte Dumpfbacke über die Rampe. Wenngleich weite Teile seines Redeschwalls möglicherweise Haltungen größerer Teile dieser Gesellschaft widerspiegeln, bekommt sein Klagelied durch die innere Verletztheit eine dramaturgische Plausibilität abseits gängiger Nazi-Klischees. Denn wenn Jerome den Polit- und Machtmenschen Braubach unter Druck setzt, dann geht es zuallererst nicht um Knete und Messerspielereien, sondern erst einmal um männliche Unterwerfungsrituale und Seelenkunde am vermeintlich geschundenen Volkskörper eines erstarrten Merkel-Deutschlands. Weil er Braubach in der Armseligkeit seiner Politiker-Tätigkeit vorführen will, schneidet Jerome die Dialoge mit und will ihn damit im Netz bloßstellen. Der aus dem Kölner „Tatort“  bekannte Dietmar Bär gibt einen versierten Taktiker der Vernunft, doch im Psychoduell spielt er nur die zweite Geige, selbst wenn er glaubhaft zu memorieren weiß, wie sein geistig verfetteter Mittelbauch-Politiker plötzlich Teil einer Elite werden konnte. Bärs Braubach zeigt sich eben argumentativ höchst beweglich, wenn er sich auf Streitgespräche einlässt, in denen er erklärt, wie mühsam er sich einst selbst hocharbeiten musste und wie sehr er das resignative Versagen seines Peinigers verabscheut.

Für dessen Demontage sorgt der Irrlichternde freilich selbst. Der vom Leben Enttäusche hat zwar triftigen Grund zur Klage, aber am Schluss der Inszenierung keine Argumente mehr, wie er sein krudes Gesinnungsgebäude mit Radikalität und Zerstörungswut vorm Einsturz bewahren soll. Am Ende wird er das Messer zusammenklappen und von der von Lydia Merkel karg eingerichteten Wohnzimmer-Bühne gehen. Der kleine Wutbürger hatte das Wort, aber der sensiblen Regie ist es gelungen, den großen Rachegelüsten im Gesinnungskampf zwischen Rechten und Linken nicht das Wort zu reden. Ein Abend voller nachdenklicher Momente, die im weiträumigen Schauspiel leider etwas verhallen. In den benachbarten Kammerspielen hätte „Furor“ gewiss an Tiefenschärfe gewonnen.

Die Uraufführung von „Furor“ steht seit Winter 2018/19 auf dem Spielplan des Frankfurter Schauspiels. Infos und Tickets zum Gesamtprogramm gibt es unter www.schauspielfrankfurt.de

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