Kämpfen statt teilen

Hermann Schmidt-Rahmers Bühnenbearbeitung von Jean Raspails „Das Heerlager der Heiligen“ (seit 16.5.) kommt am Schauspiel Frankfurt als biblische Allegorie auf den Verlust von Identität daher. Unsere FRIZZmag-Kritik vermisst den Heidenspaß beim ideologischen Höllenritt.

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© Robert Schittko

Zunächst ist die Gesellschaft noch gespalten. Die einen, die diesem Anmarsch von einer Million Indern skeptisch gegenüber stehen, die anderen, die sie aus Menschenliebe und Gerechtigkeitssinn mit offenen Armen empfangen wollen. Am Schluss von Jean Raspails Roman „Das Heerlager der Heiligen“ sind die Gesinnungsparolen der Wutbürger wie jene der Gutmenschen dann durchdekliniert, die Angst vor dem Fremden hat die Institutionen von der Kirche bis zum Kleinbürgertum heftig durchgeschüttelt. Übriggeblieben ist eine willenlose Schar von Existenzialisten, die ein letztes Abendmahl zelebrieren. Im Hintergrund künden blutrote Wellenbrechen in der Videoprojektion schon vom nahen Ende. Auch in der Bühnenbearbeitung spielt die gefürchtete Einwandererwelle praktisch nur als Drohkulisse eine Rolle, glaubhafter gegeben wird da schon die Ästhetisierung des eigenen Untergangs. Wer mit Guido Westerwelles Satz von der „spätrömischen Dekadenz“ bislang nichts anfangen konnte, der bekommt jetzt in den Frankfurter Kammerspielen ein Bild davon.

Ähnliche Standpunkte über Kulturpessimismus und bürgerkriegsähnliche Zustände beschrieb Michel Houellebecq einst als Untergang der europäischen Kultur. Sein Roman „Unterwerfung“ ist eine Provokation für pluralistische Körperschaften, die den ungelösten Fragen einer fortwährend schwelenden Flüchtlingskrise nichts entgegenzusetzen haben, Raspail legte freilich schon 1973 mit seiner Dystopie eine Blaupause für den abendländischen Kulturkampf vor, der im Grunde nicht mehr zu gewinnen sei. Seiner Meinung nach beruhe die moralische Überhöhung des Mitleid-Begriffs auf einem Missverständnis. Wenn Gesellschaften behaupten, sie hätten Mitleid und somit eine moralische Verantwortung gegenüber dem Leid der gesamten Welt, so würden sie lügen. Sie stellten seiner Meinung nach diese Forderung nur auf, weil sie insgeheim hoffen, dass sie sie nie einlösen müssten. Starker Tobak. Blicken wir am Frankfurter Schauspiel demnach also bloß einer Horde ehemaliger Friedensengel über die Schultern, die sich im Streben nach sittsamer Selbstoptimierung gehörig verlaufen hat und nun schnell die Seite wechselt, um Besitzstandswahrung zu betreiben?

Jedenfalls ficht man das Vorteilsdenken um Sicherheit und  Standesdünkel hier in einem traurigen Showdown aus: Als der französische Präsident in seiner Fernsehansprache indirekt zu den Waffen ruft, brechen die letzten tugendhaften Dämme im Volk. Während die Linken sich längst vom Acker gemacht haben, quatschen sich die Rechten bei romantischem Kerzenlicht letztmalig martialisch in Siegerlaune. Na ja, genau genommen ringen sie nur mit den stumpfen Mitteln der Gewalt ihre Dämonen nieder. Parolen und Pistolen als Narkotikum gegen die eigene Paranoia.

Das sakrale Setting liefert den stimmigen Background zu  Raspails düster-burschenschaftlichen Thesen.

Als Buch war diese reaktionäre Gleichnis-Halde einst ein Reizthema, als Bühnenadaption ist sie eine Zumutung und der Beweis dafür, dass sich aus steilen Thesen noch lange kein starkes Stück schmieden lässt. Wie die Bereitschaft zur Hilfe angesichts der riesigen Menge von Geflüchteten langsam umschlägt in Skepsis und schließlich in Hass, das bekommen wir jedenfalls in diesem Theater unweit des kulturellen Schmelztiegels Bahnhofsviertel nicht zu sehen. Schlimmer noch: Die Dramaturgie (Marion Tiedtke) vermittelt nicht einmal eine Ahnung davon. Dafür gibt es gleich von Beginn an reichlich endzeitliche Moll-Monologe der Rotwein-bechernden Hauptfigur (Michael Schütz). Die wird sich im Verlauf des Abends hauptsächlich am Traumata des Autors entlanghangeln, der das Christentum mit seiner Predigt von Empathie und Mitgefühl für den Untergang europäischer Werte hauptverantwortlich macht. Das sakrale Setting (Bühne: Tilo Reuther) um eine final dinierende Untergangs-Gesellschaft vor offenem Kamin, rustikalem Gründerzeit-Mobiliar und allerlei Heraldik-Folklore liefert thematisch den stimmigen Background zu Raspails düster-burschenschaftlichen Annahmen, wonach Frankreich vor der Zerstörung der eigenen Identität nur die Rückkehr zur Monarchie bliebe. Die steife Kostümierung, die larvenhafte Schminke der Schauspieler ohne feste Rollenzuordnung sowie deren behäbiger Sprachduktus transportieren leider auch den heiligen Ernst der Aufführung. Die ist ein Paradebeispiel für falsch verstandene Pflichtschuldigkeit, mit der sich Regisseur Hermann Schmidt-Rahmer am Main betont humorlos an die Arbeit gemacht hat. Kein bisschen Spaß darf sein.

© Robert Schittko

Bei so viel Bitternis im Schaffensprozess kann es glatt als Witz durchgehen, wenn dieser bigotten Brut an der Heimatfront dankenswerterweise hier keine gebratenen Tauben zufliegen, sondern nur fette Brathähnchen wie sonst beim Dönergrill nebenan. Dabei hätte man die blinden ideologischen Schmutzecken der Story, mit der einst Ronald Reagan seine Politik überwölbte und aus der heute der Rechtsausleger Steve Bannon gerne zitiert, viel eher mit schrägem Witz und absurder Überhöhung ausleuchten können. Wenn das Frankfurter Personal etwa davon schwadroniert, wie wild die Inder angeblich ihre Sexualität ausleben und selbst noch mit ihrem Kot als Brennstoff das Essen zubereiten, dann schmunzeln wir zuallererst schon deshalb, weil hier eben die letzten Versprengten der Grand Nation die behaupteten Stereotypen gleich selbst an den Tag legen, also mit eingenässten Unterhosen bei der Konservierung ihrer Notdurft über die Bühne watscheln. Den Mut, solche Klischees über das Fremde als schrillen Witz vorzuführen, hat der Aufführung leider selten, am ehesten noch, wenn Katharina Bach und Xenia Snagowski ihre dem Untergang geweihten Diven als bizarre Zicken der Finsternis in Fetisch-Klamotten und Feinripp-Shirts vorführen. Dann wirkt selbst die schneidende Stimme von Altkanzler Helmut Schmidt, der aus dem Off nicht müde wird, die globale Überbevölkerung apokalyptisch auszuschmücken, wie eine Warnung aus Absurdistan.

Wie sich die Truppen der radikalisierten Linken und Rechten in einem lächerlich ideologisierten Stellvertreterkrieg ihrer Daseinsberechtigung berauben, davon bekommt man nach hundert Minuten immerhin eine leise Vorahnung. Geblieben ist das Häuflein emotionalisierter Spießbürger, die am Ende wild und enthemmt um sich ballern. Natürlich treffen die Kugeln ins Leere, denn die wahren Feinde, das macht der Abend eine Spur zu überdeutlich, sie existieren nur in den Köpfen derer, die sich selbst spinnefeind sind. Man mag das für eine pathetische Pointe an einem weitgehend spaßbefreiten Abend halten, der ansonsten mit biblischen Anspielungen nicht eben geizt. In Anbetracht der sozialen Verwüstungen, die das doktrinäre Trommelfeuer in den sozialen Medien mittlerweile in alle Richtungen des politischen Spektrums hinterlassen hat, können solch kanonische Binsen dann zumindest tröstend nachwirken.

„Das Heerlager der Heilgen“ steht als Koproduktion mit den Ruhrfestspielen Recklinghausen seit Mai auf dem Spielplan des Frankfurter Schauspiels. Die nächsten Vorstellungen sind bis 23. Juni terminiert. Geplant ist eine Wiederaufnahme der Inszenierung in der Spielzeit 2019/20. Infos und Tickets über das Gesamtprogramm hält das Internet unter www.schauspielfrankfurt.de bereit.

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