Antigone an der Kosmetik-Front

Noah Haidles „Für immer schön“ verspritzt als Boulevard-Groteske über den amerikanischen Neoliberalismus reichlich Splatter-Blut. Schon Ulrike Folkerts als gedemütigte Zwangsoptimistin lohnt 2018 den Besuch am Mannheimer Nationaltheater. Näheres verrät unsere FRIZZmag-Serie "THEATERcross-border".

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© Hans Jörg Michel

Wie viele Stücke er bisher vorgelegt hat, weiß Noah Haidle nicht genau zu sagen. Fünf gute wohl, zehn mittelmäßige und „zwanzig, die ziemlich scheiße sind.“ An Schreibblockaden leidet er auf keinen Fall - an überbordender Eitelkeit auch nicht. Amerikanische Theater können mit seinem Splatterboulevard aus Trash, Poesie und Realismus nicht immer etwas anfangen. Von den fünfzehn Stücken, die Haidle halbwegs gelten lässt, ist fast die Hälfte bislang nur in Deutschland aufgeführt und nachgespielt worden. „Meine Theaterheimat ist hier“, sagt Haidle.

Hier, damit meint der amerikanische Dramatiker derzeit Mannheim. Am Neckar hat er für die aktuelle Spielzeit als Hausautor geankert, angeworben von Burkhard C. Kosminski. Der Intendant des Nationaltheaters hat bei der jüngsten Uraufführung auch gleich die Regie besorgt: „Für immer schön“ mit der aus dem TV-„Tatort“ bekannten Ulrike Folkerts als Cookie ist die sechste Haidle-Komödie, die bisher nur in Deutschland gespielt wird. Die fünfte mit diesem Exklusivmerkmal war zuletzt im Februar in Berlin zu sehen, ebenfalls mit einer „Tatort“-Kommissarin in der Hauptrolle: In der Komödie am Kurfürstendamm spielte Maria Furtwängler die Rebecca in „Alles muss glänzen“, einer weiteren, dem Grand-Rapids-Zyklus angehörenden Tragikomödie, die 2015 von der Fachzeitschrift „Theater heute“ zum besten ausländischen Stück des Jahres gewählt wurde. In Mannheim also alles in Butter

Bibel und Schönheitscremes im Rollkoffer, die tote Tochter im Schlepptau.

Nun, jedenfalls ist es wieder eine ziemlich schwarze Komödie des heiteren Apokalyptikers geworden. Folkerts Cookie stolpert als resolute Kosmetikverkäuferin über eine fast leergeräumte Bühne. Die comichafte Andeutung einer Hausfassade passt zum oberflächlichen Gewerbe des Klinkenputzens. Immer wieder wird sich die mächtige Attrappe drehen und in der Tiefe der Bühne verabschieden. Zu einer wirkmächtigen Projektionsfläche für amerikanische Traumadeutung wird Florian Ettis Blendwerk aber erst, wenn Fotos von tristen Wohnghettos und uniformierten Fabrikarbeiterinnen darüber tanzen, während Cookie tapfer davor buckelt: Den Frondienst am Kapitalismus zelebriert diese Wanderpredigerin mit Schönheitsprodukten im Handgepäck gleichwohl stoisch als Gottesdienst. Denn ihre Cremes und Rouges, ihre Wimperntuschen und Lippenstifte sollen nichts verdecken, sondern Gottes Meisterwerk getreu zum Vorschein bringen. „It’s showtime!“, spricht sie sich Mut zu, bevor sie an der nächsten Tür klingelt, um ihre Kundinnen mit dem göttlichen Vergleich zu ködern. Doch statt Pasten zu verkaufen, latscht Cookie nur ihre Schuhe mit den von ihrer Mutter biblisch beschrifteten Sohlen ab. „Alles hat seine Zeit“ steht unten auf den Galoschen - doch was nützt Salomos Gleichmut, wenn ausgerechnet für den Verkaufserfolg der Schönheitsmissionarin niemand Zeit hat?

Folkert gibt die klerikale Schmerzensfrau inmitten eines gut aufgelegten Mannheimer Ensembles mit großer physischer Präsenz. Zwangsoptimistisch taumelt sie mit blutigen Füßen dem Elend, der Altersarmut und Obdachlosigkeit entgegen - die Kosmetika im Rollköfferchen und am Strick die tote Tochter, für deren würdiges Begräbnis das Geld nicht aufzutreiben ist: Ein Antigone der Vorstadt als Heldin einer Verliererkomödie. Dem Autor und seinem Regisseur müssen die Vergleiche mit Brecht und dem ewigen Arthur Miller gleichermaßen peinlich wie unheimlich gewesen sein, weshalb sie mit großer Unbekümmertheit zu drastischen Stilmitteln greifen: Die mythologischen Motive mit wüsten Splatter-Elementen und flinken Soap-Dialogen derart gekonnt aufzuladen, dass man den amerikanischen Albtraum immer auch als Groteske eines entarteten Neoliberalismus aufscheinen sieht.

Diesen Mut zur Überzeichnung macht ihnen an zeitgenössischen Sprechtheatern derzeit kaum jemand nach, selbst wenn die amerikanische Albtraum-Fratze in den Nach-Hysterie-Zeiten von Trump mittlerweile etwas an Spannkraft auf deutschen Bühnen verloren hat. Auch wenn man sie schon dutzendfach gesehen hat: Tieftraurige Tellerwäscher-Märchen dürfen einen weiterhin gerne unter die Haut gehen.

www.nationaltheater-mannheim.de

FRIZZmag blickt mit seiner Serie THEATERcross-border in unregelmäßiger Folge über den Bühnenrand seines Verbreitungsgebietes hinaus: Was etwa machen eigentlich Regisseure und Schauspieler, die einst in Darmstadt wirkten, heute? Dazu werden spannende Inszenierungen und stimmungsvolle Festivals journalistisch ausgeleuchtet, gibt es packende Ein- und Ausblicke auf das deutschsprachige Theatertreiben und meinungsstarke Kritiken - zumeist überregional und außerhalb des Rhein-Main-Neckar-Deltas. Denn wir glauben: Theater muss sein. Selbstverständlich auch im Urlaub und auf Reisen.

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