Niedriglöhner im Multimedia-Sturm

Viel Klassenkampf um ein bisschen Fallada: Volker Löschs Bearbeitung von „Kleiner Mann - was nun?“ bleibt auch als Wiederaufnahme am Nationaltheater Mannheim eine klare Empfehlung für Ironiker und unbelehrbare Fans eines plumpen Agitationstheaters. Langweilig wird’s dennoch nicht, verrät unsere FRIZZmag-Serie "THEATERcross-border"

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© Christian Kleiner / Nationaltheater Mannheim

Den Theater-Rezensenten muss an dieser Stelle einmal ausdrücklich widersprochen werden. Die Fallada-Romane aus dem Kleine-Leute-Milieu der Zwanziger- und Dreißigerjahre sind seit einigen Jahren nicht deswegen zunehmend gefragt an deutschen Stadttheatern, weil die Parallelen zwischen den Folgen der Weltwirtschaftskrise damals und den gesellschaftlichen Flurschäden des Neoliberalismus von heute auf der Hand liegen. Ganz im Gegenteil. Vollbeschäftigung herrscht im Land, die Wirtschaft brummt, die Rentner sind fit und monetär fluide, nur die einst stolze Sozialdemokratie sucht immer noch nach ihren abhandengekommenen Wählern, die sich längst in christsozialen oder grünen Partei-Unterbauten verkrochen haben. Man kann Angela Merkel deren aussitzenden, einschläfernden Regierungsstil vorwerfen, aber dass sie Deutschland zu einem Ort sozialer Kälte runtergekühlt hätte, wäre sicher übertrieben.

Der Theatermacher Volker Lösch muss die letzten zwei Jahrzehnte auf einem anderen Planeten oder in Nordkorea zugebracht haben. Anders lässt es sich nicht erklären, dass sein atemloses Überrumpelungstheater so viel von Marx zu erzählen weiß und so wenig von einem gedeihenden Deutschland und von Rudolf Wilhelm Friedrich Ditzen. Der konnte der erodierenden ersten Parlamentsdemokratie unter dem Pseudonym Hans Fallada einst einige packende Milieustudien abtrotzen. Knapp hundert Jahre ist das jetzt her. Doch wann immer Falladas Regisseur nun am Neckar das Revolutionsbeil schwingt, katapultiert uns sein „Kleiner Mann“ mit Spott und dem klingenden Spiel einer Revueshow mitnichten zurück in ein düsteres Weimar, sondern mitten hinein ins beschworene Prekariat in einem prosperierenden Mannheim. Natürlich mag es auch dort heute soziale Verelendung geben. Doch mit welcher Verve Lösch seinem Ideologen-Affen Zucker gibt, das kann nur als pathologischer Befund von Wirklichkeitsferne diagnostiziert werden.

Der klassenkämpferische Budenzauber soll retrospektiv wirken, sieht aber ziemlich gestrig aus. Kein Wunder, von der emotional anrührenden Vorlage hat nur dokumentarisches Zeitkolorit in homöopathischen Dosen den Weg auf die einstige Schiller-Bühne des Nationaltheaters gefunden. Gegen diese Agitprop-Maschine wirkt selbst die Umerziehungs-Fabrik des Kollegen Brecht wie die staubige Werkbank eines reaktionären Spießers, eine eher den Bauch und die Augen als den Verstand ansprechende Lesart der traurigen Geschichte vom Buchhalter Johannes Pinneberg und der Verkäuferin Emma Mörschel, genannt Lämmchen.

Naive Sympathieträger erstarren zu grotesken Fallada-Karikaturen.

Reichlich Multimedia-Geklingel ist es denn auch, das als weltanschaulicher Überbau die zweistündige Roman-Adaption klammern soll. Carola Reuthers vierstöckiges Stahlgerüst nimmt fast den gesamten Bühnenraum ein, dahinter lässt der Videoinstallateur Robi Voigt Mannheimer Bürger ihre prekären Lebensverhältnisse schildern, zu denen er in rasanter Folge Bilder und wirklichkeitsnahe Spielszenen in Comic-Strip-Manier über eine riesige Projektionswand laufen lässt. Es ist die vage Grundierung auf alle sozialen Fragen, die sich hier niemand erspielen darf, weil sie als Schockelemente wirken sollen. Ein Mann äußert nach fünfzig Berufsjahren mit Blick auf die karge Rente die Hoffnung, „schnell dement zu werden“. Eine Frau, die von 350 Euro im Monat leben muss, ist weniger fantasiebegabt: „Vielleicht gebe ich mir die Kugel“. Die Erniedrigungsmasche als Endlosschleife lässt die Befragten am Neckar quasi zu gleichberechtigten Spielpartnern der Schauspieler werden, und wenn das fünfköpfige Ensemble swingenden Tanzschrittes und zu hämmernden Rockbeats von der einen auf die andere Seite hetzt, dann sieht man leider auch, wie die anfangs leicht naiven Sympathieträger immer mehr zu grotesken Fallada-Karikaturen in Revoluzzer-Posen erstarren.

© Christian Kleiner / Nationaltheater Mannheim

Die wenigen Leerstellen nutzt Lösch zu offenen Aufrufen an eine neue Solidarität mit Callcenter-Angestellten und Reinigungskräften. Celina Rongen, die wie ein Großteil des ehemaligen Mannheimer Ensembles mittlerweile am Schauspiel Stuttgart beschäftigt ist, wird vom Lämmchen zur kämpferischen Aktivistin - das wirkt so angestrengt wie ein Wahlkampfauftritt mit Katja Kipping vor Export-Weltmeistern im Maschinenbau. Die Verbesserungen der Arbeitsbedingungen bei ihrem Fahrrad-Kurierdienst führt sie auf den Eintritt ihrer Kollegen in der Basisgewerkschaft zurück, der Aufstand aller prekär Beschäftigten sei das Ziel. Behauptete Armut im Videostream, spärlich ausgeleuchtete Figurenzeichnungen und Dialoge wie gebellte Parolen aus dem Kommunistischen Manifest, dazu reichlich linke Einflüsterungen zu ziemlich wenig Fallada, kann das funktionieren? Klar doch. Wer alles durch die Ironie-Brille filtert, im Varieté-Theater gerne mal die Internationale intoniert, bei KPD-Wahlwerbespots mit den Füßen wippt und „Babylon Berlin“ für eine ziemlich geile Reality-Soap hält, der sitzt in diesem Theater garantiert in der ersten Reihe.

Das Stück steht seit 4. November 2018 erneut auf dem Spielplan des Nationaltheater-Schauspiels. Infos gibt es im Internet unter www.nationaltheater-mannheim.de

FRIZZmag blickt mit seiner Serie THEATERcross-border in unregelmäßiger Folge über den Bühnenrand seines Verbreitungsgebietes hinaus: Was etwa machen eigentlich Regisseure und Schauspieler, die einst in Darmstadt wirkten, heute? Dazu werden spannende Inszenierungen und stimmungsvolle Festivals journalistisch ausgeleuchtet, gibt es packende Ein- und Ausblicke auf das deutschsprachige Theatertreiben und meinungsstarke Kritiken - zumeist überregional und außerhalb des Rhein-Main-Neckar-Deltas. Denn wir glauben: Theater muss sein. Selbstverständlich auch im Urlaub und auf Reisen.

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