Zwitterwesen im Kunstbetrieb

Jonglierender Clown, Gaukler oder Rezitator? Seit über einem Vierteljahrhundert steht Marcus Jeroch als artistischer Wortakrobat erfolgreich auf Kleinkunstbühnen. Jetzt kommt der philosophisch aufgeladene Querdenker mit seinem literarischen Varieté-Gewitter „Schöner denken“ (16.8.) in den Darmstädter AGORA-Saal.

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Er wirbelt über die Bühne, wirft mit Worten und Bällen um sich, verstellt seine Sinne, taucht ein in die Sprache des Wahns und des Tiefenrauschs. Zu seinen Schachtelsätzen verschraubt Marcus Jeroch spastisch den Körper, Gliedmaßen in Rage sozusagen, grotesk und wild, als habe ihn die Muse einmal zu viel geküsst. Ob nun Travestie des Wortes, Artistik des Klangs, Buchstabenspiel oder Sprachgewitter - der 55-Jährige bietet Vergnügungen des Querdenkens, voll Nonsens und maskierter Philosophie. Silben tauschen, in absurdem Humor, Doppeldeutigem oder die Poetik abtauchen, das beherrscht der Kreuzberger, der Bühnenpreise sammelt wie andere Schuco-Autos, aus dem Effeff.

So ein lässiger Typ ist schwer zu definieren. Gaukler? Jeroch wirkt angewidert. „Das klingt ja so, als ob ich kein Bett hätte.“ Hat er aber, es war sogar mal Teil seiner Bühnendekoration und steht in seiner Kreuzberger Probenwohnung. Was ist mit Clown als Berufsbezeichnung? Fände er persönlich schön, wecke aber falsche Assoziationen. Kabarettist? Im Prinzip okay, nur dächten die Leute womöglich, dass er seine Texte selber schreibe. Rezitator? Die wiederum jonglierten eher selten, was er selbstredend häufig tut. Dann also Jongleur? Findet er dufte. Und dennoch umschreibt die ehrwürdige zirzensische Disziplin, die sich nachweislich schon in der Antike großer Beliebtheit erfreute, reichlich unvollständig, was der Kleinkünstler aus der Hauptstadt auf deutschen Bühnen vollbringt. Marcus Jeroch ist eben der Mann zwischen allen Stühlen. Ein Zwitterwesen im Kunstbetrieb.

Aus seinen Genre-Paketen schälen sich im wahrsten Wortsinn fleischgewordene Sprachverrenkungen heraus, wenn scheinbar Banales in kongenialer Schöpferrage bedeutungsvoll aufgeladen wird. Durch Jeroch erhalten die bizarren Texte seines Autors Friedhelm Kändler Ton und Kleid, gelangen zu Atem und Leben. Der Wahlberliner bezeichnet seine Art der Darbietung selbst als „Literarieté“, ein Kofferwort aus Literatur und Varieté. Unter dem Titel „Schöner denken“ will er am 16. August den Tiefsinn durch Unsinn auch im Darmstädter AGORA-Saal an die Oberfläche befördern. Es verspricht, ein intelligenter Veitstanz zu werden.

Seinen skurrilen Bühnenlook hat er seit über fünfundzwanzig Jahren beibehalten.

Der gebürtige Hamburger ist dabei alles andere als neu im Bühnengeschäft. Seit mehr als einem Vierteljahrhundert geht er professionell seiner schwer zu fassenden Unterhaltungskunst nach. Als eine dieser zwischen Feingeistigkeit und Slapstick frei flottierenden Bühnenkunstfiguren, die im Prinzip zu eigenwillig für die großen Varietéshows in angestammten Häusern wie den Wintergarten sind. Und die anders als manche Mainstream-Kabarettisten und -Comedians mit ihren Soloabenden auch keine Riesensäle voll bekommen.

Marcus Jeroch sieht sich selbst gewissermaßen im Tingeltangel-Mittelbau. „Vierhundert Zuschauer sind schon viel für mich“, sagt er. Das ist natürlich Understatement. Im Frankfurter Tigerpalast oder im Hamburger Hansatheater ist er als Moderator und Wortartist längst gesetzt, auch auf Festivals oder im Fernsehen bespielt er mitunter vor tausenden Leuten die große Spektakel-Bühne. So wie 1990, als der lange Schlacks mit der eckigen Körpersprache beim Pariser Festival Mondial du Cirque de Demain erstmals mit drei, fünf und sieben Bällen virtuos zur Musik von Wolfgang Amadeus Mozart balancierte. Das bescherte ihm nicht nur die Bronzemedaille in dieser internationalen Zirkusleistungsschau, sondern auch seinen skurrilen Bühnenlook. Den hat er seither beibehalten.

Detaillierte Infos zu dieser wie zu weiteren Veranstaltungen des AGORA-Kulturvereins gibt es unter www.agora-eg.de. Das Internet informiert auch über die Arbeit und die Projekte dieses generationenübergreifenden Wohn- und Lebensprojektes.

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