Selbstgerecht im Unrechtsstaat

Am Hamburger Thalia Theater hat Jette Steckel mit „Medea und Jason“ die extremste Beziehungsgeschichte der Antike stimmig ins Heute geführt. Hier wirkt alles modern, aber wenig modisch, wie unsere FRIZZmag-Serie "THEATERcross-border" zufrieden festhält

by

© Armin Smailovic / Thalia Theater Hamburg

Die ersten Zeichen der Ablehnung hätten sie stutzig machen müssen. Dass ihr Gatte sie eher meidet, seit sie mit ihm in Korinth angekommen ist, um dort gemeinsam mit den Kindern Asyl zu erbitten. Dass er um die Tochter König Kreons herumscharwenzelt, während er ihr die kalte Schulter zeigt. Dass der Willkommensgruß allenfalls ihrem Mann galt, dem griechischen Argonauten Jason, nicht ihr, der Barbarin. Zwar ist die Frau ein Vorbild an Integrations-Bereitschaft, aber als aus der Ferne Proteste in Pegida-Manier gegen Medea anklingen, stopft die ihre Habseligkeiten in den Reststoff-Würfel. Ist erst einmal die alte Identität weggepackt, kann auf der Bühne des Thalia Theaters die Reise in die innere Emigration beginnen. Die wunderbare Maja Schöne erzählt die Geschichte der Selbstermächtigung einer Frau, die sich selbst fremd bleiben wird, aber sich in einer Welt voller Unrecht selbst ins Recht setzt.

Jette Steckel inszeniert „Medea und Jason“ erfrischend frei nach Grillparzer und retrospektiv. Ein Wall aus in Plastik eingeschweißten Altkleider-Ballen verstellt die Bühne und raubt im wahrsten Wortsinn schon jeden Ausblick auf Hoffnung. Die Frau, die in einer Spalte der zivilisatorischen Resterampe kauert, ist immer die Unbekannte im Land ihres Mannes geblieben, jetzt weist man sie aus. Der Geliebte hat sich mittlerweile eine andere genommen und darf mit den beiden gemeinsamen Kindern bleiben. Später wird Medea die eigene Brut töten. Aus Hass auf Jason, so darf vermutet werden. Vielleicht ist auch verletzte Eitelkeit und Hoffnungslosigkeit mit im Spiel. Auch Steckel verweigert eine eindeutige Lesart. Diese Tragödie bleibt eben ein Fall fürs Seminar in griechischer Geschichte. Und sie wird in Hamburg natürlich auch zu einem Trauerspiel des modernen Menschen in seiner Isolation, die der Verfall religiöser und sozialer Werte und Normen mit sich bringt.

Die Inszenierung der talentierten Berlinerin ist ohnehin ein kleines Ereignis, schon weil ihre letzte Arbeit am Hamburger Thalia in einer verschwurbelten Dramaturgie Schiffbruch erlitt: Shakespeares „Sturm“ entfachte als Flüchtlingsdrama trotz opulenter Bilder nur ein laues Lüftchen an der Alster, stand mehr als windschiefe Allegorie auf die Unbehaustheit verwöhnter Städter im Raum. Diesmal gehen Gewalt, Verrat und Ausgrenzung in Beziehungstaten auf, weniger in der behaupteten Migrationsgeschichte. Mit Maja Schöne und André Szymanski steht ein Paar auf der Bühne, das sich bis aufs Messer bekriegt und im nächsten Moment voller Begehren über einander herfällt. Dazu untermalen und kommentieren Musiker der Elektro-Pop-Combo Geza Cotard mal das hart-konfrontative Tete-a-Tete, mal die tänzerischen Szenen eines sinnlich-zarten Rosenkriegs in Form zweier Einpeitscher.

Kontrastierend dazu versinnbildlicht ein Kinderchor Medeas Blick in den eigenen Spiegel. Der Gesang der Kinder lässt ihren unschuldigen Freiheitsbegriff erglühen, eine Antwort auf die Selbstzerfleischung in der Paarbeziehung, die tödlich enden wird, liefert er nicht. Dennoch darf gerätselt werden, warum bislang niemand auf die geniale Idee kam, den zügellosen Geschlechterkampf von Edward Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ in diese stimmige Form des antiken Dramas zu gießen.

Medea liebt, fordert und verzweifelt. Maja Schöne erzählt von der Selbstermächtigung einer Frau, die sich selbst ins Recht setzt.

Es gibt - wie immer bei Inszenierungen von Steckel - Momente des Luftanhaltens. Wird sie die eigenen Bilder durchhalten? Oder nur plump bedienen? Wer heute verschweißten Müll auf deutschen Sprechtheaterbühnen sieht, hat sich gedanklich ja schon an Containerschiffe in überfischten Plastik-Weltmeeren herangerobbt, an Ertrinkende und dunkle Schlepperbanden, an Orban und Kurz, Seehofer und die AfD. Mit „Das goldene Vlies“ ist bei Grillparzer ja die gesamte Medea-Trilogie beschrieben, die im Wesentlichen die Vorgeschichte erzählt, wie das Weib ihr Volk verrät, indem sie Jason hilft, den goldenen Fetzen zu rauben. Als forcierte Aktualisierung, die von der Antike ins Heute reicht, will auch Steckel die ideologisch weitgehend verbrannte Kolonialstory nicht anfassen. Sicher, es gibt Passagen übers Fremdsein bei Steckel wie bei Grillparzer, die heute aufhorchen lassen und an die durchschossenen Wertebegriffe in einem keineswegs einigen Europa gemahnen. Auch liegen die Wurzeln der gegenwärtigen Flüchtlingskrise durchaus im Zeitalter von Überbevölkerung und Imperialismus, der die Ausbeutung der dritten durch die erste Welt erst forciert. Nur ist Medea eben weder vor Krieg noch vor Armut geflohen, sondern reichlich überstürzt mit ihrem Lover und Papas bestem Pelz durchgebrannt.

© Armin Smailovic / Thalia Theater Hamburg

Die Regisseurin lädt die Widersprüche der Vorlage auf die starken Schultern ihrer tragischen Heldin. Maja Schöne liebt, fordert und verzweifelt. Wie sie ihre Medea gleichwohl als Emanzipationsfigur wie als mannigfach interpretierbares Geistwesen über die Bühne schluchzt, macht sie begehrlich fürs moderne Sprechtheater. „Alles tat ich nur für dich“, sagt sie einmal. Doch hat er sie auch geliebt? Oder hat er sie nur für seine Karriere benutzt? Und sie? Brauchte sie ihn am Ende nur, um sich an ihrem Vater zu rächen?

Das komplexe Geschehen der Sage hat ja nicht nur Euripides und Ovid und später die Dichter des Hochmittelalters zu komplexen Interpretationen und Deutungen angeregt, der Mythos wuchs auch zum prallen Fundus von Lore-Romanen aus. „Da sind sie, die dunklen Geister der Rache“, heißt es einmal. Eben sehen wir noch das unschuldige Mädchen in Medea, das über die Macht der enttäuschten Liebe gelernt hat, rücksichtslos zu wüten. Aber wir erliegen schon dem Reiz heutiger Telenovelas, deren Handlungsbögen sich seriell und meist überzuckert über nie endende Plots und enorme Erzählstränge spannen. Dafür kann in Hamburg keiner etwas. Nur ist es gut, wenn alles mit einem letzten Tanz endet. Der Tod wartet im Dunkel der Nacht, in die das Kind verschwindet. Morden in Zeiten externer Dienstleister eben. Online-Beerdigungen und Beileidsbekundungen via Twitter sind in diesem Theater schon mitgedacht. An ein Flüchtlingsdrama unterm Schnürboden eines zerbröselnden Europas will sich am Schluss dann wirklich niemand mehr erinnern. Vielleicht zeigen die sicheren Außengrenzen schon Wirkung.

Das Stück steht seit 20. Oktober auf dem Spielplan des Thalia Theaters. Infos und Tickets gibt es unter www.thalia-theater.de

FRIZZmag blickt mit seiner Serie THEATERcross-border in unregelmäßiger Folge über den Bühnenrand seines Verbreitungsgebietes hinaus: Was etwa machen eigentlich Regisseure und Schauspieler, die einst in Darmstadt wirkten, heute? Dazu werden spannende Inszenierungen und stimmungsvolle Festivals journalistisch ausgeleuchtet, gibt es packende Ein- und Ausblicke auf das deutschsprachige Theatertreiben und meinungsstarke Kritiken - zumeist überregional und außerhalb des Rhein-Main-Neckar-Deltas. Denn wir glauben: Theater muss sein. Selbstverständlich auch im Urlaub und auf Reisen.

Back to topbutton