Mit Sinnesfreuden auf fröhliche Weinberge

Nach künstlerischen Dürrejahren und der Pandemie-Insolvenz versucht sich die Kompanie TheaterLust an einem Reset der renommierten Heppenheimer Festspiele (15. Juli bis 28. August). Der Neustart sollte klappen, weil sich das theaterverrückte Team um die Intendantin Iris Stromberger der mundartlichen Burleske ebenso verpflichtet fühlt wie der Aktualität gesellschaftskritischer Volksstücke.

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© Christian Hartmann

Sie spielte das Klärchen im „Fröhlichen Weinberg“ und die Katharina Knie in Zuckmayers gleichnamigen Stück, sie gab die rothaarige Frau im ZDF-Dreiteiler „Tödliche Wahl“ und die Chansonette im Musical „Heute Abend: Lola Blau“. Sie war und ist die Dauerbesetzung im „Datterich“ und hat sich irgendwann ihr eigenes Stück auf den Leib geschrieben. In „Alles Theater oder Wenn Schiller das wüsste“ schlüpft Iris Stromberger in alle zehn Rollen und legt als Regisseurin in Personalunion die Latte so hoch wie einst ihr Vater Robert, der als Drehbuchautor („Tod eines Schülers“, „Diese Drombuschs“) so detailvernarrt und unbestechlich sein konnte wie als gewissenhafter Leiter der Hessischen Spielgemeinschaft. Von ihm habe sie zudem gelernt, erinnert sich Stromberger, wie sich über die penible Ausarbeitung guter Komödienstoffe die Herzen des Publikums aufbrechen ließen. Wer über die inneren Konflikte und dunklen Abgründe der Bühnenfiguren hinweg zu lachen bereit sei, „der erfährt als Zuschauer auch ganz viel über sich selbst, es sei denn, man trägt einen Panzer vor der Brust“, erzählt die Tochter des 2009 verstorbenen Multitalents.

Das Selbstbewusstsein, sich dem fordernden Geist eines Theaterstoffes zu verschreiben, ohne sich von ihm korrumpieren zu lassen, wird der Darmstädter Aktrice, Spielleiterin, Autorin und Rezensentin ab diesem Jahr verstärkt abverlangt werden - gepaart mit jenem unerschütterlichen Optimismus, der Freilufttheater unter Pandemiebedingungen nicht bloß vulgär ermöglichen sollte, sondern lustvoll aufbereitet. Unter dieser Prämisse hat sich Iris Stromberger, abseits aller sonstigen schöpferischen Entrückt- und Verrücktheiten, erneut mutig einem Rollenwechsel gestellt - die frischgebackene Chefin eines Theatervereins steht seit Ende letzten Jahres nun als Prinzipalin den Heppenheimer Festspielen vor.

Die Mission gleicht einer Operation am offenen Herzen. Oder, um im Genre-Jargon zu bleiben: Wiederbelebt werden soll - über allerlei Fallstricke und doppelte Böden hinweg - nichts weniger als eine Theaterleiche. Der Ufa-Star Hans Richter („Die Feuerzangenbowle“, „Hitlerjunge Quex“) hatte vor einem knappen halben Jahrhundert die Festspiele bahnbrechend mit Heppenheim kurzgeschlossen. Nach Richters Tod führte Sohn Thomas im shakespeareschen Ambiente des Kurmainzer Amtshofs das Festival bei Laugengebäck und Wein weiter. Als Thomas verstarb und Ehefrau Sabine die Leitung übernahm, hatte der künstlerische Niedergang im Schatten der Starkenburg bereits eingesetzt. Mit dem Zukauf gefälliger wie beziehungsloser Tourneetheater-Produktionen bei den Hamburger Kammerspielen und dem Fernbleiben lokalkoloritisch geprägter Fernsehlieblinge begann die Entfremdung von Publikum und Spielleuten an der Hessischen Bergstraße, danach zogen etliche Corona-Lockdowns endgültig den Stecker. Nachdem die Festspiel GmbH - nun letztmalig unter neuer Geschäftsführung - vor zwei Jahren Insolvenz anmelden musste, galt es als unwahrscheinlich, dass sich bei der Traditionsveranstaltung je wieder ein Theatervorhang heben würde.

Den Verantwortlichen in der Kreisstadt dürfte mit dem Zuschlag an Stromberger und ihrer Kompanie „TheaterLust“ ein Stein vom Herzen gefallen sein. Theater aus einer Hand, aus einem Familienbetrieb heraus, das verspricht flache Hierarchien im eingespielten Probenalltag, schnelle Kommunikation auf monetärer wie künstlerischer Leitungsebene. Den Drive, den die aus Profis und erfahrenen Amateuren zusammengestellte Truppe etwa in dem Schwank „Glasschrank“ entfachte, würde man gerne mit frischen Produktionen aus dem angestammten Domizil des Theatersaals in Arheilgen ins Freie hinüberretten: „Cash“ heißt das Stück von Michael Cooney, in dem in diesem Sommer in der südhessischen Toskana ein sympathischer Sozialbetrüger die öffentlichen Kassen plündern soll. Mit der englischen Farce und dem französischen Konversationsdrama „Kunst“ etwa will das Ensemble jetzt unter Beweis stellen, dass es nicht bloß den mundartlich geprägten Komödienton, sondern Welttheater beherrscht.

Helmut Markwort hat als Schirmherr schon zugesagt. Und Walter Renneisen müsse als Dino „einfach dabei sein“, sagt Stromberger.

Zumeist ist Fabian mit von der Partie, wenn Mutter Iris den Regiestab schwingt. Der Sohnemann und dessen Frau Elinor, die beide zeitnah zu den Proben einschweben, leben mittlerweile als vielfach angefragte Schauspieler in Berlin, sind an renommierten deutschsprachigen Bühnenhäusern unter Vertrag und im Fernsehen und Kino präsent. Iris Strombergers Mann hingegen ist eigentlich immer nur dann zu vernehmen, wenn gerade irgendwo im Hintergrund ein Teil der Kulisse krachend in sich zusammengefallen ist: Ingo Schöpp dengelt als gute Seele nicht nur alles rund um die Bühne zusammen und kümmert sich um die Ausstattung, er führt die Unternehmung Festspiele zudem als umsichtiger Verwaltungsdirektor. „Buchführung, Vermarktung, Steuern“, erzählt Iris Stromberger und atmet dankbar durch.

© Klaus Mai

Manch sendungsbewusster Kommunalpolitiker könnte von der entschlackten Neustart-Idee beim einstigen Open-Air-Publikumsmagneten - bei deutlich reduziertem Platzangebot und einem Verzicht auf die marode Zeltdach-Konstruktion - überrascht worden sein. Aber PR-Geklingel ist der vielbeschäftigten Intendantin Stromberger schwer zu entlocken. Ihre Win-Win-Angebote an potenzielle Sponsoren und Medienpartner sind einnehmende Inszenierungen, die selbstredend an den heutigen Lebenswirklichkeiten der Zuschauer entlanglaufen. Wer mit der studierten Literaturwissenschaftlerin plaudert, erfährt deshalb wenig über Eventmaskottchen, skurrile Pop-up-Auftritte ihres Ensembles in örtlichen Kaufhäusern, bezahlte Social-Media-Influencer oder Werbebanner, die von Flugzeugen wild über den Himmel gezogen werden. Sie redet lieber darüber, wie man „Heppenheimer Betriebe ins Boot holen“ will und „kulinarische Angebote den jeweiligen Stücken angeglichen“ werden könnten. Okay, Helmut Markwort habe als Schirmherr bereits zugesagt, der omnipotente Medienprofi und älteste Jungpolitiker des Bayrischen Landtags, Freund des Theaters wie der Familie. Und klar, „Walter Renneisen muss einfach dabei sein“, der Dino in so vielen dialektal geprägten Solostücken. Für nächstes Jahr hat man Kleists „Zerbrochenen Krug“ projektiert. Irgendwann soll der „Faust“ und der „Jedermann“ folgen, das Eröffnungsstück von 1974. Dann natürlich wieder auf dem Vorplatz des Doms. Vernünftig wirtschaften, weiß die Theaterdirektorin, bedeute ja nicht, perspektivisches Denken und Visionen aufzugeben.

Vielleicht ist es Demut und der Respekt vor der Arbeit ihrer Vorgängerinnen und Vorgänger, der Iris Stromberger so unprätentiös über ein Theater sprechen lässt, dem sie in Heppenheim einfach „das Sinnliche“ einhauchen möchte. Vielleicht ist es aber auch das Wissen um die Kurzatmigkeit in einer Branche, die bei der verzweifelten Suche nach Modernismen häufig nur ihre Orientierungslosigkeit unter zirzensischem Regie-Trash und flackernden Monitoren zu kaschieren versucht - und dabei das eigentlich subversive Momentum gesellschaftskritischer Volksstücke wie „Der fröhliche Weinberg“ sträflich negiert. An Zuckmayer mag Stromberger nicht nur den „direkten intellektuellen Zugriff“, der noch jedes Sprechtheater boostern könne, sondern „die ganze Fülle und Vielfalt des Lebens, die da auf der Bühne pulsiert.“ Das Sujet sei perfekt für die Festspiele, erzählt sie schmunzelnd. Liebe, Gefühle, menschliche Schwächen und Kontroversen, „das könnte gut und gerne in einem Heppenheimer Weingut spielen.“ Damit könnte das Erfolgsstück des Mannes aus Nackenheim, das seine Premiere 1925 am späteren Berliner Brecht-Theater „Am Schiffbauerdamm“ feierte, heute am Rande des Odenwaldes eine zweite Heimat finden.

Die Heppenheimer Festspiele finden vom 15. Juli bis 18. August 2022 im Kurmainzer Amtshof von Heppenheim statt. Mit Zuckmayers „Der fröhliche Weinberg“ (ab 15.7.) startet das Festival mit einem deutschen Lustspielklassiker. Michael Cooneys komödiantische Farce „Cash - und ewig rauschen die Gelder“ feiert am 22. Juli Premiere. Am 19. und 21. des Monats wird Walter Renneisen beide Teile seines Soloprogramms „Deutschland, deine Hessen“ präsentieren. Die Formation „Sigi‘s Jazz Men“ gastiert am 20. Juli unterhalb der Wingerte. Während Yasmina Rezas „Kunst“ (ab 25.7.) als dialogische Komödie daherkommt, präsentiert uns Elinor Stromberger am 15. August „Kleine Zwischenfälle“ - so heißt der szenische Liederabend mit alten Chanson-Klassiker und bekannten zeitgenössischen Lieder in neuem Gewand. Musikalisch hat sich zudem das A-capella-Quartett Basta für den 22. August angekündigt. Der Vorverkauf für alle Veranstaltungen hat bereits begonnen. Infos zu den Festspielen sind über das Internet unter www.festspiele-heppenheim.de abrufbar.

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