Radio Walhalla spielt Etzels Gemetzel

Nach dem verquasten Hirnspuk bei den Wormser Nibelungenfestspielen dürfen echte Siegfried-Fans zum Ende des Jahres doch noch im Drachenblut baden. In Hamburg hat man das deutsche Epos als irre, sinnfreie Radioshow ins Schauspielhaus gestellt. „Die Nibelungen - allerdings mit anderem Text und anderer Melodie“ (seit 28.9.) haben unserem FRIZZmag-Kritiker gefallen - Traditionalisten werden aber das nationale Pathos vermissen

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© Matthias Horn

Die Wormser Nibelungenfestspiele haben sich ja zu einem Experimentallabor rund um den germanischen Heldenschwur gemausert. In diesem Jahr ließ man den Borderliner Thomas Melle die sattsam bekannte Abfolge von Betrügereien, Wutanfällen und Gewalttätigkeiten literaris ch zerhackstückeln. Das Handlungsrad wurde zwar noch durch die diversen Vergeltungsaktionen, die immer nur eine weitere Volte nach sich zu ziehen scheinen, in Gang gesetzt. Erzählt aber wurde das deutsche Nationalepos aus postapokalyptischer Perspektive neu - nicht als monumentale Gruselstory, wie wir sie vom Dichter Friedrich Hebbel oder dem Gesamtkunstwerker Richard Wagner kennen, sondern als Farce: Ein Kind, das aussah wie Greta Thunberg, durfte der Eifersuchtsgeschichte als zeitgeistige Aktivistin ordentlich in die Speichen greifen. Als die Göre erfahren musste, dass sie selbst nur als Chimäre existiert und nicht einmal ihre Zeugung gesichert sei, rutschten die Traditionalisten im Zuschauerrang nervös in ihren Plastiksitzen hin und her, gestandene Verschwörungstheoretiker hatten schon vorher im Geiste die weiße Fahne zur Aufgabe gehisst. Diese Abtrünnigen könnten Barbara Bürk und Clemens Sienknecht am Hamburger Schauspielhaus jetzt wieder einfangen. Jedenfalls hat das Autoren- und Regie-Tandem seinen „Nibelungen“ eine unmissverständliche Lesart übergestülpt - die der mittelhochdeutschen Ulknummer. Damit ist der gewichtige Teil dieses UNESCO-Weltdokumentenerbes um eine schrullige Episode reicher.

Den Schalk im Nacken führt die schaurige Dichtung an der Elbe gewissermaßen schon im Untertitel: „Mit anderem Text und auch anderer Melodie“ versucht das künstlerische Duo den durchtriebenen Schlagetots am Hofe König Gunthers (Yorck Dippe) komödiantisch auf die Sprünge zu helfen. Das klappt über hundertzwanzig Minuten ganz passabel, schon weil auf Anne Grots Bühne der Plebs aus Siegfrieds Xanten so wirkt, als hätten sich Guildo Horns Neffen in den Kulissen von Raumschiff Enterprise verlaufen. Hier soll zur Gaudi des Publikums die Heldensage als 24-stündige Live-Radioshow für den Sender „Walhalla“ runtergedudelt werden, was zur Folge hat, dass Markus Johns Hagen mit Astronauten-Helm reichlich überstürzt zur blutigen Tat schreiten muss. Hat der Speer erst Siegfrieds (Clemens Sienknecht) empfindliche Stelle durchbohrt, muss der Intrigant am Mischpult schon wiede r Werbejingles f ür den Fortbestand seines grotesken Projekts einspielen und fingierte Staumeldungen aufsagen. Im Hintergrund rauscht der schnöde Mammon für die gräulich-schräge Tonkunst durch den Äther, an der Rampe krächzt sich Michael Wittenborns Etzel durch ein schiefes Medley alter Hits von den Bee Gees bis zu Queen, und irgendwann darf auch Friedrich Paravicini als Volker von Alzey auf seinem traurigen Cello das Lied vom Tod der Burgunden an der Rheingrenze einspielen. Ein Ende mit Ansage aus dem Rundfunk-Mikrofon.

Brunhild und Kriemhild pflegen ihre Feindschaft im Disco-Takt wie bei Tarantino.

Dieser bruchstückartige Revue-Mix im Schlaghosen-Style, aufgebrezelt mit Tarantino-Ästhetik und tuntigem Weltraum-Schwulst, plündert den heiligen Gral der Popmusik genauso virtuos, wie er den Akteuren dabei über die Schultern blickt, wenn die gekonnt Hörfunk machen und dabei aus Geräuscheffekten verstörende Bilder erwachsen. Ob nun eine vorbeirennende Wildschwein-Rotte, eine platzende Kleidernaht oder eine sprudelnde Quelle im Wald - irgendwo drückt immer irgendein Akteur auf einer Chips-Tüte herum, klopft Kokosnuss-Hälften aufeinander oder kippt sich Wasser in ein Glas. Dass bei allem szenischen Aktionismus leider auch das wackelige dramaturgische Grundgerüst so offen zutage tritt wie die verworrenen Verwandtschaftsverhältnisse der Wormser Sippe, liegt schlicht daran, dass der überbordende Blödsinn irgendwann an sich selbst erstickt, weil sich an den visuellen und akustischen Berührungspunkten eben keine weiteren glaubwürdigen Spielfronten mehr eröffnen. Die unendlichen Weiten des Weltalls und jene Schwarzen Löcher, die diese Aufführung oft zitiert, sie werden in ihrer gespreizten Banalität und Plattheit leider auch ein Teil der Selbstreferenzierung dieses Abends.

© Matthias Horn

Die improvisatorische Leichtigkeit hingegen bleibt im Gedächtnis haften wie das Gel in den Vokuhila-Frisuren. Dietmar Schönherr ließ als Kommandeur McLane Mitte der Sechziger im deutschen Fernsehen seinen Raumkreuzer Orion ganz unironisch gegen die verfeindeten „Frogs“ anfliegen, mit fiebrigem Blick und einer Hand am Steuerknüppel, der eigentlich ein Bügeleisen war. In einem ähnlichen B-Movie-Setting pflegen nun Brunhild und Kriemhild ihre Feindschaft im Disco-Takt. Die Waffen der Männer haben sich verbraucht, also prügeln sich Lina Beckmann und Ute Hanning zu den fiesen Geräuschen knackender Nüsse im Stil einer Western-Parodie. Lieber noch kuscheln und trällern sie aber in glitzernden Super-Trooper-Kostümen als Agnetha und Frida, den gestiefelten ABBA-Maiden aus Schweden, von denen es ebenfalls hieß, die zur Schau gestellte Harmonie sei nur für die Öffentlichkeit gespielt.

Nach Fontanes „Effi Briest“ und Tolstois „Anna Karenina“ haben Bürg und Sienknecht zum dritten Mal bewiesen, dass sie große Stoffe der Weltliteratur als verschrobene Crossmedia-Projekte stemmen können. In ihrem Retro-Gig wird das absurde Geplapper und Gezappel ganz real, auch weil die gelebte Wirklichkeit von vielen Zuschauern ebenso nur noch als Casting-Show durchlitten wird. Und natürlich ist das hier absurdes Theater. Weil es Hebbel so nahe kommt, je mehr es sich von ihm entfernt. Damit sind wir ganz dicht an seinem Werk, diesem ewigen Kasperletheater, das die Gefühle der Figuren außer acht lässt. Sie sind es, die in Wirklichkeit eine Maschine anwerfen, in der sie selbst das Räderwerk sind, Handelnde und Handlung zugleich. Mittel statt Zweck. In Etzels Hamburger Gemetzelhalle gibt es nichts, was sie frei von innen her leitet, es ist ein Spiel, das Gesetzen gehorcht, die wir erst noch lernen müssen. Diese verrutschten „Nibelungen“ haben jedenfalls Kult-Potenzial. Nicht weil sie im Heute so lustig sind, sondern weil wir auch zukünftig Trost in der Parodie suchen.

Das Stück „Die Nibelungen - allerdings mit anderem Text und anderer Melodie“ steht seit 28. September auf dem Spielplan des Hamburger Schauspielhauses. Weitere Infos und Tickets über das Gesamtprogramm der Spielzeit 2019/20 hält das Internet unter www.schauspielhaus.de bereit.

FRIZZmag blickt mit seiner Serie THEATERcross-border in unregelmäßiger Folge über den Bühnenrand seines Verbreitungsgebietes hinaus: Was etwa machen eigentlich Regisseure und Schauspieler, die einst in Darmstadt wirkten, heute? Dazu werden spannende Inszenierungen und stimmungsvolle Festivals journalistisch ausgeleuchtet, gibt es packende Ein- und Ausblicke auf das deutschsprachige Theatertreiben und meinungsstarke Kritiken - zumeist überregional und außerhalb des Rhein-Main-Neckar-Deltas. Denn wir glauben: Theater muss sein. Selbstverständlich auch im Urlaub und auf Reisen.

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