Bürgerliche Monster, mordende Erben

Die Hölle, das sind die eigenen Kinder: David Böschs Neufassung von „räuber.schuldenreich“ (seit 8.9.) verortet Ewald Palmetshofers Endzeitparabel am Schauspiel Frankfurt geschickt in der Gegenwart. Eine FRIZZmag-Kritik.

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© Robert Schittko

Den Alten geht es gut. Sie haben die Gewissheit, dass ihr Leben in gewohnten Bahnen weiterlaufen wird, solange der Geldhahn sprudelt. Haben sich verbarrikadiert in spießigen Datschen-Paradiesen, in hermetisch abgeschotteten Reihenhausidyllen, hinter ihrer Ignoranz, die es ihnen erlaubt, den anarchischen Zusammenbruch, der sich rundum ausbreitet, nicht zur Kenntnis zu nehmen. Die Welt brennt. Aber ist es die Lebensschuld der Alten, wenn sie es sich in der Apokalypse noch einmal bequem machen?

Die Jungen haben nichts. Keine Zukunft, keine Perspektive. Sie sind in ein Leben hineingeboren, das nicht lebenswert scheint. „Ich bezahle heute schon im Nicht-Leben mit meinem Leben“, heißt es im Stück „räuber.schuldenreich“, das ursprünglich „räuber.schuldengenital“ hieß und bei der Wiener Uraufführung 2012 inmitten der Euro- und Griechenlandkrise im Burgtheater wie ein Massaker auf Raten über die Bühne rockte. Die Alten wollen nicht sterben, schreien nach Liebe und Sex, und haben, was sie den zukunftslosen Jungen verwehren: Geld. Geben es die Alten nicht willig, so nehmen es die Kinder mit Gewalt.

Es ist eine drastische Farce nach Schiller, die der österreichische Autor Ewald Palmetshofer einst als Schocker fürs Theater angerührt hat. Den Krieg der Worte ließ Regisseur Stephan Kimmig an der Donau den Kampf bis aufs Messer folgen. Es waren indes andere Zeiten, EZB-Präsident Draghi gewährte noch Zinsen auf Erspartes. Mittlerweile sind es vor allem die Banken, die langsam die Rücklagen der kleinen Leute wie riesige Geldvernichtungsmaschinen verfrühstücken - und nicht etwa die missratenen Kinder oder eine buckelige Verwandtschaft. Nur folgerichtig, wenn neuerdings agile Silver Surfer ihre Konten plündern und die Kröten lieber gleich in energetisch gedämmte Hauswände und aufgestockte Dächer stecken - oder eben fleißig an die Nachkommen vererben, was die Sparstrümpfe hergeben. Theater im Schatten der Null-Zins-Politik - damit lässt sich derzeit selbst in der Bankenstadt am Main das familiäre Störfeuer um zwei Familien und deren raffgierige Brut kaum dramaturgisch anheizen.

Bedrückender Angst-Kosmos in Zeiten des Spätkapitalismus.

Wo die Familientragödie kunstsprachlich irgendwo zwischen Splatter-Boulevard und Phantasmagorien freidreht, dürfen die Kids (Fridolin Sandmeyer und Isaak Dentler) immerhin als irrlichternde Mordbrenner an der Rampe metzeln. Das legt einige überraschende Ansichten auf die kaltherzige Paranoia und dreisten Lebenslügen der neuen Bourgeoisie frei. Heidi Ecks und Peter Schröder setzen als Eltern larvenhafte Schreckensgesichter einer Familie auf, die als Verwahranstalt des Zasters keine Kinder, sondern Zombies ins Leben entlassen hat. Dem zeitgeistigen Sturm und Drang der Buben kontern sie mit Liebesentzug aus Tradition. Anke Sevenich dreht derweil als altersgeile Nachbarin im Rollstuhl fleißig Ehrenrunden, um mit ihrer großen Liebe Sepp (Matthias Redlhammer) jenes Barvermögen zu verprassen, das sie ihrer lasziven Tochter Petra (Sarah Grunert) missgönnt, schon weil sie der ihre jugendliche Unbekümmertheit und Schönheit neidet. Kein Wunder, wenn Petras Lebensentwurf früh jenseits des Gartenzauns ankert. Am Ende wird die kaum ausgekostete Libertinage und das herausgepresste Ersparte in einem etwas aufgesetzten Bonnie-und-Clyde-Showdown zerrieben und in den alptraumhaften Bildern eins David Lynchs ertränkt.

David Böschs Frankfurter Neufassung zeichnet folgerichtig mit lyrischer Sprache, bitterem Spott und grimmigen Witz gekonnt eine Dystopie des Spätkapitalismus nach, in der die Figuren nicht mehr zu Schreckenskarikaturen verzerrt sind, sondern die Darsteller zwangsläufig zu Übertreibungskünstlern mutieren. Die Welt der bürgerlichen Monster, der es schließlich an den Kragen geht, wirkt hier zwar weniger grell ausgeleuchtet. Dafür geht das Feuer der Ironie über manch papiernen Wildwuchs der fortwährend auf Revolte gebürsteten Vorlage hinweg. Dem schweren Erbe aller gelangweilten Wohlstandskinder unter Einbettung von Anstand und Moral kann so ein Theater nicht gerecht werden. Doch auch ein verletztes Tochterherz und der Zwist der Brüder in ihrer latenten Gewalttätigkeit funktionieren als Treibladungen von Gier und Rache in diesem infernalischen Märchen ziemlich famos. Das im Presseheft geweissagte gesellschaftspolitische Geklimper darf gerne später anklingen - selbst wenn der beunruhigende Angst-Kosmos als mögliche Zukunftsvision in diesem Horrorstück bereits am Horizont aufscheint.

www.schauspielfrankfurt.de

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