Travestiespiel als Kurzmarathon

Stefan Bachmanns Hamburger Thalia-Inszenierung von John von Düffels „Rom“ kann als politisches Triptychon in Sachen Demokratie nicht überzeugen. Das liegt auch an Shakespeare. Wir haben für die FRIZZmag-Serie "THEATERcross-border" an der Alster vorbeigeschaut.

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© Krafft Angerer

Die Scorpions hatten Anfang der Neunziger einen bizarren Fernsehauftritt. Die weltberühmte Hardrock-Band aus Schwarmstedt bei Hannover spielte bei „Wetten dass …?“ einige ihrer größten Hits. Dargeboten wurden „Rock You Like a Hurricane“, „Big City Nights“ und „Wind of Change“, nicht nacheinander, wie die meisten Fans wohl gehofft hatten, sondern als burleskes Medley. Rudolf Schenker spielte Luftgitarre für die Generation Gottschalk, der Sänger Klaus Meine bewegte die Lippen wenig simultan zum Vollplayback. Nach etwa drei Minuten war der Spuk vorbei, das Samstagabendpublikum blickte irritiert. Nur die ewigen Gegner der seit 1965 bestehenden Combo hatten ihren Spaß - und eine weitere Bestätigung dafür, dass die letzten Jahre der Powerballaden-Rocker wohl endgültig angebrochen seien. Wer sich nach der zweieinhalbstündigen Inszenierung von „Rom“ heute aus dem Gestühl des Hamburger Thalia-Theaters schält, den beschleicht erneut so ein Scorpions-Moment. Denn gerade wurde ziemlich wenig Theater zu ganz viel Historie geboten. Stets mit dabei: der gute Wille, es allen irgendwie recht machen zu wollen. Der wahre Shakespeare-Kenner aber wittert den Verrat, der stets den natürlichen Tod jedes Theaterabends einläutet.

Und so kommt es auch. Der Autor John von Düffel hat Shakespeares Rom-Trilogie zu einem großen Panorama eingedampft, in dessen Zentrum der Siegeszug von Demagogen und Despoten über demokratische Errungenschaften steht. Leider liest man davon nur im Programmheft. Stattdessen wird auf der Bühne viel geschichtliches Proseminar mit Sprechblasen geboten. Allerorten herrscht Populismus gegen „die da oben“, die leeren Versprechungen der Mächtigen, die „satten Herren im Senat“. Doch die Sehnsucht nach dem starken Mann und zugleich die Furcht vor dessen Volksverachtung - sie wird hier nur behauptet. Alles eine Folge der Kürzungen? Rund fünfzehn Stunden dauern die ursprünglichen Fassungen des Mannes aus Stratford-upon-Avon zusammengenommen, von Düffel hat die Trilogie um dreiviertel gekappt, Regisseur Stefan Bachmann noch einmal gestrichen. An der Alster kann man sehen, warum Shakespeares fast vergessene Macht-Epen so selten an deutschen Theatern gespielt werden. Und warum es Sinn macht, auch von Düffels missratenen Kastrationsversuch gleich mit in die Tonne zu treten.

Dieses Shakespeare-Surrogat tröpfelt als pralle Travestie-Nummernrevue und antikes Maskenspiel dahin.

Kriegsheld Coriolan soll als neuer starker Mann installiert werden. Die Kornspeicher im verlotterten Rom sind zwar gefüllt, aber der Reichtum wird nicht verteilt. Den brüllenden Unmut des Volkes auf seine Vertreter nimmt Coriolan dankend auf, um gleich die ganze Verfassung zu versenken. Wenn der Aufwiegler auf Olaf Altmanns freischwingender Bühne seine staatstragenden Worte wiegt, dann sieht das aus, als hätte nicht der Kölner Schauspiel-Intendant Stefan Bachmann das Gast-Regie-Zepter geführt, sondern die stets auf Ausgleich bedachte Göttin Justitia mit Angela Merkel als deren Einflüsterin. Thomas Niehaus als Coriolan hinterfragt die demokratischen Errungenschaften gleichwohl nicht so einpeitschend wie Björn Höcke bei einem Wahlkampfauftritt in Erfurt, sondern so geschmeidig wie Annegret Kramp-Karrenbauer im Kreuzverhör bei „Hart aber fair.“ Das macht die Sache kaum erträglicher, trägt aber zur Verniedlichung großer politischer Schlachtfelder bei. Nein, von Düffels radikale dramaturgische Verdichtung aufs jeweilige Kerngeschehen befördert nicht wirklich den Diskurs über die Kraft der Volksherrschaft. Die Hoheit über die Macht des Wortes hätte sich aber auch mit keinem der drei Shakespeare-Oldies alleine zurückgewinnen lassen. Zu gestrig wirken die Stoffe von „Coriolan“, „Julius Cäsar“ und „Antonius und Cleopatra“ in Anbetracht der Worthülsen-Gewitter, mit dem uns tagtäglich zuallererst einmal die rhetorisch abgewichsten Volksvertreter der etablierten Alt-Parteien sedieren, um uns anschließend um den Finger zu wickeln.

© Krafft Angerer

Von der zentralen Idee, dem theatralischen Streit zwischen Demokratie und autoritärer Herrschaft glaubhafte Spielebenen zu eröffnen, verabschiedet sich die Inszenierung dann aber endgültig im Mittelteil. Die Aufrührer um die Senatoren Cassius (Merlin Sandmeyer) und Brutus (Jirta Zett) töten den dem Größenwahn verfallenen Kriegshelden Cäsar. Das Volk folgt dann aber schon der verführerischen Totenrede des arglistigen Marcus Antonius. Wenn André Szymanski als dieser Intrigant den toten Cäsar rühmt und gleichzeitig in meisterlicher Rhetorik zum Aufruhr gegen die neuen Aufrührer ruft, dann spannt diese Aufführung letztmalig einen glaubhaften Bogen zu sattsam bekannten Politikerschicksalen: Marcus Antonius fällt gleichwohl am Ende selbst den politischen Häschern zum Opfer, nicht weil er schwächelt, sondern als Feldherr der ägyptischen Königin Cleopatra (Pascal Houdus) verfallen ist. Die Liebe macht eben nicht nur blind für die Macht. Sie ist auch das bestimmende No-Go-Kriterium für weitere Karriereoptionen bis in die Jetztzeit.

Der Rest dieses Shakespeare-Surrogats tröpfelt als pralle Travestie-Nummernrevue und antikes Maskenspiel dahin. Mit Thomas Niehaus im Zentrum der Macht und André Szymanski als dessen Gegenspieler stehen über alle drei Teile hinweg immerhin bewährte Kräfte einem starken siebenköpfigen Männertrupp vor. Man kann das natürlich als ziemlich albernes Spiel um die Lächerlichkeit von Männermacht deuten, wozu man diesen altrömischen Antikenstoff aber deutlicher als queere Farce hätte unterfüttern müssen, weniger als zeit- und belangloses Polittheater mit geschichtshistorischen Fußnoten. Wenn Merlin Sandmeyer als Bote in Hot Pants mit einem Brett vorm Kopf als Running Gag ständig vor die gleichen Wände seiner Auftraggeber laufen muss, lässt sich erahnen, wie sich dieses zeitlose Intrigenspiel durchaus mit szenischer Leichtfüßigkeit hätte erspielen lassen. Und die Ermordung des Julius Cäsar mit den Stilmitteln des Stummfilms bleibt nicht nur als Highlight des Abends haften, sie erinnert auch an das frühere Talent des Regisseurs Bachmann, der vor rund zwei Jahrzehnten einst die großen Historiendramen neu entwickelte, indem er sie in grotesken popkulturellen Kontexten aufpoppen ließ. Bei diesem Shakespeare-Kurzmarathon gibt’s zur Populismus-Persiflage leider reichlich schwülstigen Pomp und statt echter Charaktere nur fade Karikaturen.

„Rom“ steht seit 23. März auf dem Spielplan des Hamburger Thalia Theaters. Die nächste Vorstellung ist am 29. April. Infos und Tickets über das Gesamtprogramm hält das Internet unter www.thalia-theater.de bereit

FRIZZmag blickt mit seiner Serie THEATERcross-border in unregelmäßiger Folge über den Bühnenrand seines Verbreitungsgebietes hinaus: Was etwa machen eigentlich Regisseure und Schauspieler, die einst in Darmstadt wirkten, heute? Dazu werden spannende Inszenierungen und stimmungsvolle Festivals journalistisch ausgeleuchtet, gibt es packende Ein- und Ausblicke auf das deutschsprachige Theatertreiben und meinungsstarke Kritiken - zumeist überregional und außerhalb des Rhein-Main-Neckar-Deltas. Denn wir glauben: Theater muss sein. Selbstverständlich auch im Urlaub und auf Reisen.

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