Vereint in Tod und Trauma

Umgekehrte politische Machtverhältnisse haben Ibsens „Rosmersholm“ (seit 16.11.) ordentlich geschliffen. Intendant Daniel Karasek zeigt am Kieler Schauspielhaus, wie man in den selten gespielten Klassiker dennoch mit Würde hineinhört. Problematisch bleibt die sanfte Überschreibung dennoch, wie die „THEATERcross-border“-Kritik konstatiert.

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© Olav Struck

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Nein, die Tote bekommen wir an der Förde nicht zu sehen. Nicht wie in Bremen, wo Regisseur Armin Petras Lisa Guth in das schmuddelweiße Kleid der Wasserleiche steckt, in dem sie krampfartig zucken darf und sich windet, wenn die anderen über sie richten: ein elektrisierter Zombie, der in seiner Gelenkigkeit ein bisschen an dieses schleimbackige Mädchen aus „Der Exorzist“ erinnert. Obwohl sich in Ibsens „Rosmersholm“ ohnehin alles um die vorab verblichene Beata dreht, macht es einen als Zuschauer schon ordentlich kirre, wie sie da die ganze Zeit in ihrer kalten Pfütze liegen mag, wir das am Kieler Schauspielhaus aber nur vom überlieferten Hörensagen erfahren. Aber Daniel Karaseks zweieinhalbstündige Bearbeitung fühlt sich eben Ibsens Wort verpflichtet, die Bilder fürs große Kopfkino werden als Privatangelegenheit des Publikums eingepreist.

Gutsherr und Witwer Johannes Rosmer lebt zusammen mit der jungen Rebekka West auf Gut Rosmersholm und bildet sich ein, den Suizid seiner Frau Beata gut verarbeitet zu haben. Dass die intime Nähe der Neuvermählten einst den Tod der Frau beschleunigt hat, wissen längst die linksliberalen wie konservativen Strippenzieher im Ort, die nun Kapital zu schlagen versuchen aus der moralisch-psychologischen Misere des Paares. Und weil „Rosmersholm“ eben ein echter Ibsen ist, wird in der Folgezeit sehr viel nachgedacht, gegrübelt und reflektiert. Wenn alle ins Brüten kommen und sich zwanglos zum Spaziergang verabreden, dann dürfen unsere Augen kurz Pause machen von dieser Welt, in der die Kinder selbst im Garten nicht laut sein dürfen und Rosmers teilverglaster Kontemplationsraum wie ein Mausoleum für Lebende wirkt. Karaseks Kunst besteht darin, die alles verzehrende Bigotterie, den dräuenden Naturalismus, die um sich selbst kreiselnde Handlungslosigkeit und die ermattende Sexualmetaphorik nicht als grotesken Zeitgeist-Slapstick auszumalen, sondern vielmehr den Sound der Zeit des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts in eine moderne Konversationskomödie im Stil einer Yasmina Reza zu überführen. Das hat Charme, ist aber nicht ohne Risiko. Denn immerhin geht es im symbolisch überfrachtetem „Rosmersholm“ - neben der sexualisierten Sprache und Rebekkas kruder Inzestgeschichte, an der sich schon Freud abarbeitete - auch um Politik.

Die norwegische Gesellschaft ist um 1880 gespalten, linke Sozialbewegungen haben das reaktionär konservative Selbstverständnis zu erschüttern versucht. Zu dem Zeitpunkt, an dem wir in Kiel in die Geschichte einsteigen, wurde Beata bereits von der Einsamkeit in den Freitod getrieben, unter der sie in der Ehe mit dem Pastor Rosmer gelitten hatte. Rektor Kroll, der Bruder der Verblichenen, findet ein Jahr nach der Verzweiflungstat seinen Schwager in politisch bedenkliche Ansichten abgeglitten. Doch weil es im Jahr 2020 ein von Angela Merkel geführtes Mitte-Links-Bündnis ist, das hierzulande für die politische Verkrustung steht, sind es jetzt schneidig-nationalistische Töne, die ein schwarz-rotes Establishment in der Wirklichkeit aufmischen und vor sich her treiben. Das ist das Dilemma dieser Aufführung in Jahren umgekehrter Machtverhältnisse: Dass sich Felix Zimmer als Ekelpaket Kroll zum Machtschwein in schicker Garderobe aufblasen kann, das einem zwar physisch unangenehm wird, dessen Argumente im AfD-Jargon jedoch in unsicheren Zeiten vordergründig plausibel erscheinen. Und weil Immanuel Humm als dessen Pendant seinen linken Journalisten Mortensgard gleich ganz als kommunistisches Abziehbild vorführt, ist man fast erleichtert, wenn Claudia Macht als Rosmers Haushälterin Helseth durch die restaurative Bude fegt und in ihrer Nebenrolle für ideologisch befreiten Durchzug sorgt.

Agnes Richter lässt ihre Rebekka Lehrformeln wie aus einem grün-alternativen Poesiealbum aufsagen, die Emanzipation hat sie sich nur halbherzig bei „Nora“ abgeguckt.

Marko Gebberts Rosmer rudert tapfer schwitzend gegen die Einflüsterungen vom rechten Rand und sein eigenes privates Schicksal an. Der gehemmte Grübler wurde einst vom Vater erniedrigt, jetzt lässt er sich als frisch aufgeblühter Freigeist zwar nicht gleich von den reaktionären Kumpanen politisch zurückverorten, aber die erpresserischen Geister der Vergangenheit gemahnen ihn doch an die Konventionen, die dem adeligen Gottesmann einst heilig waren. Rebekka, die junge Frau, die Beatas Rolle wohl etwas zu selbstbewusst eingenommen hat, wird er am Ende verstoßen, weil Kroll sie für die Tragödie verantwortlich macht. Agnes Richter lässt ihre Rebekka manchmal Lehrformeln wie aus einem grün-alternativen Poesiealbum aufsagen, als Intellektuelle ist sie eine Papiertigerin, die besitzgierige Intrigantin will in ihr kaum aufblitzen, und die Emanzipation, die sie einerseits behauptet und gleich darauf in die Tonne tritt, um Rosmers Lebensglück zukünftig als Heimchen am Herd einzuheizen, die hat sie sich nur halbherzig bei „Nora“ abgeguckt, einem anderen Stück von Ibsen. Wie sie in Rosmers Kopf Ideen von Selbstbestimmung und sozialistischen Umstürzen pflanzen konnte, worauf der ehemalige Pastor erst vom Glauben abfällt und sich dann von Freund Kroll entfremdet, das bleibt das Geheimnis des Abends.

Je dichter diese Figurenaufstellung am Text entlangschnurrt und je öfter Katastrophen hier nur immer neue Desaster heraufbeschwören, umso deutlicher wird auch, dass diesem aus der Zeit gefallenen Klassiker mit theaterwissenschaftlicher Exegese nicht beizukommen ist. Die Story ist halt mehr ein Fall für die Psychoanalyse als fürs Repertoiretheater. Denn tatsächlich ist es egal, wer auf dem ländlichen Anwesen gerade regiert, weil Rosmersholm eben ein von der Tagespolitik abgeschottetes Refugium bleibt. Selbsterfüllende Prophezeiungen, inzestuöse Wiederholungsrituale und Verschwörungstheorien gedeihen auf diesem Eiland der Bewahrer nur intensiver, die neuen Schurken aber sind nur die Auslöser des alten Dramas. Das bleibt einmal mehr ziemlich privat: Das labile Gleichgewicht einer Beziehung kommt ins Wanken, weil Rebekka und Rosmer ihr gemeinsames Glück auf Schuld und Trauma gegründet haben, der klassische Theaterstoff eben. Die äußeren Umstände dürfen freilich weiterhin gerne als Brandbeschleuniger herangezogen werden für dieses Theater, das keine Bilder zu Ibsens mächtiger Sprache finden mag. Deshalb müssen wir uns aber nicht gleich zu Freud auf die Couch legen.

Die Inszenierung von "Rosmersholm" steht seit Herbst 2019 auf dem Spielplan des Kieler Schauspielhauses. Derzeit sind Vorstellungen bis zum 2. April 2020 terminiert. Weitere Infos und Tickets über das Gesamtprogramm der Spielzeit 2019/20  hält das Internet unter www.theater-kiel.de bereit.

FRIZZmag blickt mit seiner Serie THEATERcross-border in unregelmäßiger Folge über den Bühnenrand seines Verbreitungsgebietes hinaus: Was etwa machen eigentlich Regisseure und Schauspieler, die einst in Darmstadt wirkten, heute? Dazu werden spannende Inszenierungen und stimmungsvolle Festivals journalistisch ausgeleuchtet, gibt es packende Ein- und Ausblicke auf das deutschsprachige Theatertreiben und meinungsstarke Kritiken - zumeist überregional und außerhalb des Rhein-Main-Neckar-Deltas. Denn wir glauben: Theater muss sein. Selbstverständlich auch im Urlaub und auf Reisen.

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