Von Kurt Cobains Witwe zu Hamlet

Sandra Hüller erhält für ihre Rolle als Hamlet den Gertrud-Eysoldt-Ring, einer der renommiertesten Preise im deutschsprachigen Theaterraum. Dabei lässt sich die immer etwas unterkühlt wirkende Aktrice vom Bochumer Schauspielhaus in kein Rollenfach stecken. Die Preisverleihung findet im Rahmen einer Gala am 14. März im Bensheimer Parktheater statt.

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© Schauspielhaus Bochum

Sandra Hüller begann ihre Karriere dort, wo viele andere berühmte Schauspieler das erste Mal in verschiedene Rollen schlüpften: in der Theatergruppe an ihrer Schule. Nach dem Abitur ging es dann direkt an die Schauspielschule nach Berlin, ein mutiger Schritt, der die Leidenschaft der jungen Frau und ihre Liebe zur Schauspielerei verfestigt. Nach vierjähriger Ausbildung folgen verschiedene Engagements, unter anderem am Theaterhaus Jena sowie am Schauspiel Leipzig. Anschließend verschlägt es die Aktrice nach Basel, wo sie bis 2006 auf der großen Bühne in verschiedenen Rollen reüssiert. Für ihre Leistungen am Theater heimst sie im Laufe der Karriere Auszeichnungen als beste Nachwuchskraft ein, weil sie an der Rampe nicht selten starke Frauen verkörpert. Wer jetzt glaubt, die Hüller könne nur Klassiker, der irrt. In ihrem Portfolio findet sich neben der Rolle der Maria Stuart auch jene von Courtney Love, der Witwe des verstorbenen Nirvana-Frontmanns Kurt Cobain.

Als Konzession ans junge Publikum könnte demnach auch ihre Rolle der Lehrerin Biggi Enzberger in der Erfolgskomödie „Fack ju Göhte 3“ an der Seite von Elyas M‘Barek  verstanden werden. Damit darf die Charakterdarstellerin vor zwei Jahren zwar auch ihr komödiantisches Talent zum Ausdruck bringen und einmal mehr ihre Wandlungsfähigkeit unter Beweis stellen, aber fürs ernste Rollenfach und das Dramentheater scheint sie erst einmal verbrannt. Sie, die sich immer mal wieder in verschiedenen Film- und Fernsehproduktionen ausprobierte, und die einem wirklich großen Film-Publikum doch erst im Jahr 2016 bekannt wurde, als sie die weibliche Hauptrolle in der tragischen Komödie „Toni Erdmann“ übernahm. In dem Familiendrama, das unter anderem als bester fremdsprachiger Film für den Oscar nominiert war, gab sie die ehrgeizige Unternehmensberaterin, die sich mit ihrem unkonventionellen Vater (Peter Simonischek) herumzankt.

Geflissentlich leidende und subtil handelnde Frauentypen werden der rotblonden Aktrice von Anbeginn ins Figurenfach gelegt. Nach einer Reihe von Kurzfilmen folgte mit dem Streifen „Requiem“ von Hans-Christian Schmid die erste große Filmrolle. Die Verkörperung der an Epilepsie erkrankten Protagonistin brachte Sandra Hüller auf der Berlinale einen Silbernen Bären und eine Auszeichnung beim Deutschen Filmpreis als beste Hauptdarstellerin ein. Anschließend spielte sie an der Seite von Matthias Schweighöfer in „Der Architekt“ und neben Nina Hoss in „Anonyma“. Privat ist Sandra Hüller alles andere als ein erratischer Sonderling, vielmehr ein ausgesprochener Herdenmensch. Derzeit lebt sie in Leipzig, um wieder näher bei ihren schauspielerischen Wurzeln und ihrer Familie zu sein.

Den „Hamlet“, den hat sie vorher weder gelesen noch gesehen.

Vor ein paar Wochen wurde sie erst zur Schauspielerin des Jahres gekürt. Bei einer Wertung von Theaterkritikern schnitt die 41-Jährige für ihre Verdienste in der vergangenen Saison preiswürdig ab, wie das Branchenblatt „Theater heute“ ermittelte. Dass der begehrte Gertrud-Eysoldt-Ring jetzt gleichwohl an Hüller für ihre Rolle des Hamlet geht, darf dennoch als mutige Entscheidung der Deutsche Akademie der Darstellenden Künste und der Stadt Bensheim verstanden werden, da die Mimin ja eher in der „Penthesilea“ und weniger im „Hamlet“ einen bleibenden Eindruck hinterließ, dem anderen Stück unter der Ägide von Johan Simons am Schauspielhaus Bochum. Als weiblicher Hamlet aber wird sie nun an der Hessischen Bergstraße ausgezeichnet, während Jens Harzer,  ihr Partner in „Penthesilea“, zum neuen Träger des renommierten Iffland-Ringes bestimmt wurde. Ausnahmsweise mal ein gelungenes Beispiel für Geschlechtergerechtigkeit unter echten Theaterkönnern.

Sie habe Hamlet als sehr zurückgezogenen Menschen verstanden, sagt die gebürtige Suhlerin. An die Rolle sei sie mit Neugierde herangetreten. Sie habe das Stück vorher weder gelesen noch gesehen. Soll man ihr das glauben? Von Anfang an habe sie den dänischen Prinzen jedenfalls als jemanden verinnerlicht, der nicht im Mittelpunkt stehen, der eigentlich nur sterben und vorher noch die Wahrheit herausfinden wolle, wer also seinen Vater umgebracht hat, um an ihm dann den Mord zu rächen. Vor genau zwanzig Jahren hatte die häufig leicht verpeilt wirkende Hüller ihr Bühnenjubiläum in Jena, das nun mit dem wohl wichtigsten Theaterpreis im deutschsprachigen Raum gekrönt wird.

In der Jurybegründung heißt es, Hüllers „leidenschaftliche und entschiedene Auseinandersetzung“ mit der Hamlet-Figur sei auch eine Auseinandersetzung mit der Bühnenkunst als solcher. „Hüller bleibt sie selbst, indem sie den Hamlet spielt, und sie spielt sich selbst, indem sie Hamlet ist.“ Sie folge den Spuren von Shakespeares Stoff, ohne jemals mit dem Staunen darüber aufzuhören, dass es gerade sie ist, die auserwählt wurde, sich mit uns und für uns auf die Suche zu begeben nach dem Komplex von Gewalt, Liebe, Zweifel, Traum und Tod. Ihre Verstrickung in das Drama sei „eine wahrhaftige, keine hergestellte“, und ihre Kunst bestehe genau darin, diese im landläufigen Sinne zu verweigern. Die Jury bildeten die Regisseurin Barbara Frey sowie die Schauspieler Wolfram Koch und Lisa-Katrina Mayer.

Regisseur Johan Simons wollte keinen zynischen Hamlet.

Mit der aktuellen Auszeichnung aber hat die bekannte Aktrice wohl selbst nicht gerechnet, wie Hüller im Mediengespräch verrät. Ein Glücksfall seien jedoch die flachen Hierarchien bei den Arbeitsbedingungen am Schauspiel an der Ruhr. Das Besondere an der langjährigen Zusammenarbeit mit Johan Simons, der Regie bei der Hamlet-Inszenierung in Bochum geführt hat, sei die freie Atmosphäre, die er kreiert, „das Nicht-Hierarchische und die Offenheit, mit der er den Stoff seziert“, sagt Hüller. „Die Möglichkeiten, die er uns bietet, das Aushalten von heterogenen Ensembles, der Nicht-Versuch, Leute in ein bestimmtes Schema zu pressen oder eben Regietheater zu machen.“ Stattdessen entstünden die Stücke „aus den Spielern heraus. Und das ist ein großes Glück.“

In Kritiken über Sandra Hüllers Hamlet wird dieser als feinnervig beschrieben. Kühl, distanziert und emotional zugleich. Sie selbst wird im Programmheft mit den Worten zitiert, sie wolle den Zynismus von ihm fernhalten. „Ja, und diese Rache, die ihm aufgetragen wird, ist kein Vergnügen für ihn“, sagt Hüller,  im Gegenteil: „Das ist eine Last, die er zu tragen hat und die er auch an den meisten Stellen versucht, also in der Tat selbst, zu vermeiden. Insofern habe ich ihn als sehr zurückgezogenen Menschen verstanden.“

Ringelbands Vermächtnis und Preisverleihung im März.

Der Gertrud-Eysoldt-Ring gilt als einer der bedeutendsten Theaterpreise im deutschsprachigen Raum und wird seit 1986 in Bensheim vergeben. Mit der Vergabe des Ringes, dotiert mit 10 000 Euro, würdigt die Stadt Bensheim eine schauspielerische Leistung an einer deutschsprachigen Bühne. Erste Preisträgerin war Doris Schade, ihr folgten große Darsteller wie Klaus Maria Brandauer, Cornelia Froboess, Corinna Harfouch, Nina Hoss, Ulrich Mühe, Gert Voss und Ulrich Matthes.

Die bekannte, regelmäßig verliehene Auszeichnung geht auf ein Vermächtnis des Journalisten und Theaterkritikers Wilhelm Ringelband zurück, der bis zu seinem Tod an der Hessischen Bergstraße lebte. Der mit 5000 Euro dotierte Kurt-Hübner-Regiepreis, der ebenfalls in Bensheim verliehen wird, geht 2020 an Florian Fischer für seine Inszenierung „Operation Kamen“ am Staatsschauspiel Dresden.

Die Gertrud-Eysoldt-Ring-Preisverleihung sowie die Kurt-Hübner-Ehrung gehen am Samstag, den 14. März 2020 über die Bühne des Bensheimer Parktheaters. Infos und Tickets zum Gesamtprogramm der Bensheimer Kultureinrichtung Parktheater sind zudem über das Internet unter www.stadtkultur-bensheim.de abrufbar.

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