Ungeschminkt bei Ehehorror-Profis

Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ funktioniert am Schauspiel Kiel als exorzistisches Beziehungsdrama, nicht als politisches Statement. Das haben wir uns für die FRIZZmag-Serie "THEATERcross-border" genauer angesehen.

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© Olaf Struck

Würde man Edward Albees wohl bekanntestes Theaterstück mit den Konterfeis zweier Schauspieler in Verbindung bringen, dann stünde „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ auf Ewigkeiten für das einstige Glamour-Paar Elizabeth Taylor und Richard Burton. 1966 schlugen und liebten sich beide nicht bloß in Mike Nichols berühmter Verfilmung, sondern hatten die gegenseitigen privaten Grobheiten längst auch zum öffentlichen Amüsement auf dem Boulevard erhoben. Der ritualisierte Zank der beiden Stars verbarg dabei ein wenig Albees Absicht, sein absurdes Theater mit der Dringlichkeit des modernen Konversationsdramas zu verschneiden. Der Dramatiker soll den Film gehasst haben. Zudem sind diverse spätere Adaptionen und Theateraufführungen meist nur als holzschnittartige Komödien und Schwänke im Unterhaltungsfach in Erinnerung geblieben, mit Eierlikör saufendem Personal und krachend einstürzenden Bühnenbildern aus Pappmaché.

Große Leidenschaft, ungebrochenes Vertrauen, ewige Treue und Freundschaft - das war die verklärte Vorstellung von der romantischen Liebe und Ehe, wie sie nicht zuletzt von Hollywood bis in die frühen Sechziger als amerikanisches Narrativ verkauft wurde. Was es heißt, ungeschminkt in der Spiegel der Ehe-Hölle zu blicken, das ließ der Pulitzer-Preisträger erstmals sein Ehepaar Martha und George in einer alkoholgeschwängerten Nacht ausleben. Zwei selbstzerstörerische Existenzen fallen provozierend und demütigend, aber auch zärtlich und mitfühlend übereinander her. Unklar bleibt stets, wer hier gerade das Opfer, wer obenauf ist. Das exorzistische Spiel freilich, bei dem wir Zuschauer uns am Ende zumindest den Schimmer einer Hoffnung wünschen, es kennt nur Schwarz oder Weiß. Es sind die beiden Farben, mit denen auch Nichols berühmter Film seine Figuren aus der Verschattung ihrer kranken Seelen geführt hat. Es half nicht. „Man kann nicht zwei Dynamit-Stangen immer wieder gegeneinanderschlagen, ohne damit zu rechnen, dass sie explodieren“, sagte Richard Burton einst. Es war natürlich in Anspielung auf die On-Off-Beziehung zu Gattin Liz gemeint.

In Kiel sieht man auch die matten Verteidigungsrituale eines satten, weißen Bildungsbürgers gegen das eigene schlechte Gewissen.

Am Schauspiel Kiel ahnt man von der ersten Minute an, dass sich hier statt Sprengstoff nur Nebelkerzen entzünden werden. Regisseur Siegfried Bühr hat sein Personal in einem orangefarbenen Spießer-Traum separiert. Großformatige Resopalplatten und Glaswände, davor ein Samt-Sofa im Retro-Style. Das wirkt wie der Umbau einer verwaisten U-Bahnstation zur Hausbar. Wenn Oliver E. Schönfelds George hier Gästen und Gattin beständig nachschenkt, dann erahnt man leider auch schon die intellektuelle Ladehemmung des Hausherren, der sich die seelischen Grausamkeiten eher abzuringen scheint statt sie zu verkörpern. An der Uni muss der Abnutzungskampf gegen Trumps Ego-Shooter an diesem in der Wolle gefärbten Liberalen deutliche Spuren hinterlassen haben. Zu sehen sind an der Förde aber nicht die Verluste ideologischer Grundwerte, die sich in einem kompensatorischen Wahn häuslicher Gewalt entladen, sondern nur die matten Verteidigungsrituale eines satten, weißen Bildungsbürgers gegen das eigene schlechte Gewissen. An anderen Häusern hat man diesen George noch mit Wermut gegen die Schwermut anstoßen lassen: Die Sucht als letzten Verbündeten gegen innere Dämonen und äußere Nebenbuhler, die einen bei der Karriereplanung ständig Knüppel zwischen die Beine werfen. In Kiel will man einen untertemperierten George sich erst gar nicht an den gesellschaftlichen Verhältnissen aufreiben sehen, weil im Zentrum ja nur beständig die Abarbeitung eines stocknüchternen Zynikers am Text steht.

© Olaf Struck

Dabei geht es bei Albee eigentlich immer um Abhängigkeiten. George darf als Privatdozent am College von Marthas Vater das historische Seminar leiten. Wie die wunderbare Agnes Richter als Tochter-Furie ihren waidwunden Mann in der Ehe als desillusionierten Geistesarbeiter an den Fäden der Dienstbarkeit vorführt, das macht sie zum Kraftzentrum dieser zumeist konventionell-lässigen Aufführung - schon weil die Gäste das Paares als Stichwortgeber und Antipoden blass bleiben: Marius Borghoffs Nick rutscht gleich von Anbeginn auf der Schleimspur aus, die ihm der Autor einst ziemlich clever ins Rollenfach geschrieben hat. Der unterwürfige Biologe, der die Steigbügel seines vermeintlichen Förderers George nie ganz zu fassen kriegt, outet sich schnell als fader wie übler Karrierist, seine junge Frau nennt er chauvinistisch nur „die Süße“. Claudia Friebel trägt deren Spuren einer seelischen Verwüstung nur auf den Lippen, wenn sie als hysterisches Girlie Scheinschwangerschaft und andauernde Kinderlosigkeit in Schreikrämpfen verarbeitet. Auweia, das junge Glück ist bereits zerrüttet, ehe es ins gut geschmierte Räderwerk von Ehehorror-Profis gerät.

Der eingebildete Sohn wird zum bequemen Hoffnungsstifter, der mit Bourbon übers wunde Gemüt gegossen wird.

Das Thema Kinder wird dann auch zur beinahe existenzialistischen Triebfeder des Abends. Georg und Martha haben einen wohl nur in ihrer Fantasie existierenden Sohn, den sie sich wechselseitig als bequemen Hoffnungsstifter mit reichlich Hochprozentigen über ihr wundes Gemüt gießen, Nick und seine Süße haben nur sich, dazu einen Rucksack mit Enttäuschungen, den sie manchmal im Zuge eruptiver Rampen-Exzesse auskippen. Das Publikum nimmt diese übergriffigen Bosheiten als Showeffekte mit dankbarem Gelächter auf, immerhin generieren solche Szenen einer Ehe in über zwei Stunden Spielzeit beständig nette Wiedererkennungswerte wie in einer Endlosschleife.

Umgekehrt wirkt die Kinderfrage als Lackmustest für die Potenz einer Gesellschaft in diesem Theater mittlerweile komplett aus der Zeit gefallen. Ein älteres Ehepaar, das über die Lebenslüge hinweg rituell wie habituell brav in inniger Hassliebe verbunden bleibt, war in den Sechzigern Kulturschock und Seitenhieb aufs Establishment zugleich. Zwei Pillenknicks weiter müssen paarungsunwillige Heteros, Lesben und Schwule in den urbanen Patchwork-Communitys nicht mehr auf die eigene Fruchtbarkeit oder die natürliche Reproduzierbarkeit der eigener Genome schielen. Die Next-Generation-Elternkreise können wohl bald dort bestellen oder leasen, wo die Gerichte derzeit die Türen zu den dubiosen chinesischen Klon-Fabriken noch verschlossen halten. Damit liefern die gefrorenen Spermien gewissermaßen schon heute den Dramastoff für das Theater von Morgen. Schöne neue Welt. Demnächst höchstwahrscheinlich auch am Kieler Schauspiel.

„Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ steht seit vergangenem Herbst auf dem Spielplan des Schauspiels Kiel. Die nächste Vorstellung ist am 17. April. Infos und Tickets über das Gesamtprogramm hält das Internet unter www.theater-kiel.de bereit

FRIZZmag blickt mit seiner Serie THEATERcross-border in unregelmäßiger Folge über den Bühnenrand seines Verbreitungsgebietes hinaus: Was etwa machen eigentlich Regisseure und Schauspieler, die einst in Darmstadt wirkten, heute? Dazu werden spannende Inszenierungen und stimmungsvolle Festivals journalistisch ausgeleuchtet, gibt es packende Ein- und Ausblicke auf das deutschsprachige Theatertreiben und meinungsstarke Kritiken - zumeist überregional und außerhalb des Rhein-Main-Neckar-Deltas. Denn wir glauben: Theater muss sein. Selbstverständlich auch im Urlaub und auf Reisen.

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