Heilige der Klomuschel

Mit Werner Schwabs Fäkaliendrama „Die Präsidentinnen“ stehen am Hamburger Schauspielhaus Blutdurst und exzessive Gewalt auf der Bühne. Das generiert reichlich komische Kunst aus heiligem Ernst, wie unsere FRIZZmag-Serie „THEATERcross-border“ verrät.

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© Thomas Aurin

Eines der hartnäckigsten Klischees, die über Werner Schwab kursieren, ist die Behauptung, er sei ein Punk-Literat gewesen. Doch ein provozierendes, über die Maßen hinausgehendes Aussehen, eine rebellische Haltung und nonkonformistisches Verhalten wird man den 1994 an seiner Trunksucht gestorbenen Grazer und seinen Bühnenfiguren kaum unterstellen können - sieht man einmal von der Tatsache ab, dass er sich als erfolgloser Poet seinen Lebensunterhalt zeitweise mit Holzfällen und anderen Gelegenheitsjobs verdienen musste. Auch dass er später in seinem eigenen landwirtschaftlichen Betrieb mit verderblichen Materialien wie Fleisch, Knochen und Tierkadavern experimentierte, um verwesende Skulpturen zu schaffen, ist wohl mehr einem skurrilen Charakter geschuldet, der über eine schwere Kindheit letztlich zur Kunst fand.

Regisseur Viktor Bodo hat am Schauspielhaus Hamburg Schwabs zweite Fäkalien-Groteske dann auch ganz ohne störende ideologische Überbauten eingerichtet: „Die Präsidentinnen“ kommen in der Enge des Malersaals als pointenreich-böses Kammerspiel mit Zoten-Potential daher. Das Schlachthaus als Puppenstube mit an den Wänden tanzenden Kakerlaken wird einen stimmigen Background für alle nur erdenklichen Formen der menschlichen Niedertracht abgeben. Die bewegende Kloake schwabscher Sehnsüchte ist hier zwar noch nicht gegen den Strich geklobürstet, wird sprachlich aber prononciert durch die Latrine gezogen. Die Überhöhung zur Glosse aus der Gosse gerät in diesem morbide-naturalistischen Höhlen-Setting gleichsam etwas zu dystopisch, schöpfte Schwab zeit seines Lebens doch vor allem autobiografisch aus der Enge seiner kleinbürgerlichen Herkunft, während sich die Wut in seinen übrigen literarischen Ergüssen dann eher traditionell opulent über jede Form sozialer und sexueller Demütigung entlud.

An einem schmuddeligen Tisch sitzend entdecken die Putzkräfte Erna, Grete und Mariedl ihre Gossen-Poesie, räsonieren über Leberkäse, Beziehungs- und Verstopfungsprobleme, giften sich an, weil sie doch sonst niemanden auf der Welt haben, dem sie sich anvertrauen können. Schon die erste Szene des Stücks ist ein Aschermittwoch des Volkstheaters, der Beginn eines finsteren Schwanks. Eigentlich ist es Ostern in dem verwanzten Wohnküchenbunker, aus Ernas gebrauchtem Farbfernseher hört man den Papst einschläfernd seinen Segen Urbi et orbi salbadern. In der Glotze erstrahlt die Verheißung, aber was für die Schmerzensfrauen tatsächlich vom Leben übrig bleibt, dampft stinkend aus dem Gulli oder vergurgelt im rostigen Abwasserrohr, das tatsächlich anspielungsreich am Schluss der Aufführung wie in Slapstick-Manier über den Zuschauern baumelt.

Hinter jedem Jux zeichnen sich bittere Wahrheiten ab.

Das prekäre Drumherum liefert optisch starke Steilvorlagen für drei Schauspielerinnen in Hochform. Uta Hannig gibt die sparsam-verklemmte und gottesfürchtige Erna, die zunächst ihren Alkoholikersohn Hermann und später den fürs Fleischliche zuständigen Metzger Karl Wotilla verherrlicht. Bettina Stucky überzeugt als Möchtegern-Femme-Fatale Grete, die mit Marlboro-Stimme, Pumps und Lockenperücke nicht nur zur Zerreißprobe für ihren enganliegenden Rock wird, und aus Lina Beckmann Mariedl spricht das Unschuldig-Kindhafte einer geistig Behinderten, die sich als Befreierin der Menschheit und deren Aborte generiert, als Heilige der Klomuscheln, die genüsslich ihren Arm in den Ausscheidungen versenkt.

Wenn es hinter den kirchenfensterhaften Oberlichtern dieses Gefängnisses hell wird, scheint auch diese radikalisierte Klofrau wie ein weiblicher Heiland zu leuchten, wenn sie den Alten deren verdreckte Zukunft weissagt. Weil die trüben Lebenslügen der beiden Damen keine Klarsicht dulden, werden die sich blutig an ihr rächen. Als die Müllabfuhr Mariedls zerstückelte Leiche in Säcken wegkarrt, haben sich Erna und Grete längst wieder in ihrer ranzigen Gemütlichkeit eingerichtet. Eine Blaskapelle spielt dazu das Requiem als schmissigen Polka-Tusch, in dem die herbeizitierten Geister der Vergangenheit als fratzenhafte Untote letztmalig ihre Stimmen erheben. Das sieht zwar aus wie auf dem Beatles-Plattencover von „Sgt. Pepper“, klingt aber doch so wohltuend anders als im Trash-TV bei RTL2.

Das bleibt auf der Habenseite dieser weitgehend dem Splatter-Genre verpflichteten Aufführung - dass sie ihr Personal nicht an eine derzeit vorherrschende falsche Sozialromantik verkauft, sondern sich bittere Wahrheiten noch hinter jedem Jux abzeichnen dürfen. Schwabs Figuren sind eben immer auch ihren eigenen Körpern entfremdete Subjekte. Bei ihm wird Sprache zu einem grotesken Schlachtfeld, auf dem Fremdbestimmung und verzweifelte Selbstbehauptung miteinander ringen. Der bekannte frühere „Stern“-Karikaturist Gerhard Haderer hält mit seinen fotorealistischen Cartoons bis heute einer österreichischen Gesellschaft den Spiegel vor und schafft aus ernstem Zorn hohe komische Kunst. Sein Landsmann Schwab lieferte bereits vor Jahrzehnten die kongenialen Sprechblasen dazu. Gut, wenn man das jetzt auch einmal im Theater sehen darf.

Die Inszenierung steht seit Ende 2018 auf dem Spielplan des Hamburger Schauspielhauses. Infos und Tickets zum Gesamtprogramm gibt es unter www.schauspielhaus.de

FRIZZmag blickt mit seiner Serie THEATERcross-border in unregelmäßiger Folge über den Bühnenrand seines Verbreitungsgebietes hinaus: Was etwa machen eigentlich Regisseure und Schauspieler, die einst in Darmstadt wirkten, heute? Dazu werden spannende Inszenierungen und stimmungsvolle Festivals journalistisch ausgeleuchtet, gibt es packende Ein- und Ausblicke auf das deutschsprachige Theatertreiben und meinungsstarke Kritiken - zumeist überregional und außerhalb des Rhein-Main-Neckar-Deltas. Denn wir glauben: Theater muss sein. Selbstverständlich auch im Urlaub und auf Reisen.

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