Moderne Klassiker, prunkvoll verpackt

Spielcasino, Festspielhaus und Burda-Museum? Kennt jedes Kind. Warum also nicht mal einen Ausflug ins zeitgenössische Sprechtheater wagen? Das lohnt die Abfahrt von der Autobahn nach dem Kurzurlaub, mitten hinein ins historische Herz von Baden-Baden, allemal. Unsere FRIZZmag-Serie "THEATERcross-border" gibt einen Ausblick auf die kommende Spielzeit des städtischen Bühnenbetriebs, der mit Lutz Hübners Gesellschafts-Thriller „Furor“ (ab 7.9.) aufmacht.

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Die Pariser Oper steht mitten in Baden-Baden. Okay, eine Kopie davon, dafür nicht minder beeindruckend. Der Architekt Charles Couteau pflanzte den Bau im seinerzeit angesagten französischen Stil an den Goetheplatz, unweit der Parkanlagen und des Casinos. Von dort kam auch das Geld für den protzigen Barock-Entwurf: Der aus Paris stammende Spielbankpächter Edouard Bènazet war ein großer Förderer der Stadt - und eben ein Freund der schönen Künste. Doch bei der großherzoglichen Bauverwaltung stoßen seine Pläne zuerst auf Widerstand, besonders die prunkvolle Außenfassade geht den Verantwortlichen zu weit. Erst eine versachlichte Außenansicht in klassizistischer Anmutung erfährt 1860 Genehmigung, dafür kann sich der Gönner beim Innenausbau im Rokokostil austoben.

Am 7. August 1862 wird das Theater Baden-Baden mit Conradin Kreutzers „Nachtlager von Granada“ in der Inszenierung der Karlsruher Hofbühne eröffnet. Zwei Tage später dirigiert Hector Berlioz, der französische Komponist und Musikkritiker, seine eigens für die Eröffnung des Theaters geschriebene Oper „Béatrice et Bénédict“. Auch Jacques Offenbach brachte sieben Jahre später die Operette „La princesse de Trébizonde“ am Fuße des Schwarzwaldes zur Uraufführung. Große Namen des Musiktheaters hinterließen in der mondänen Kurstadt ihren Fußabdruck und sorgten dafür, dass bis heute im Rahmen von Gastspielen und Koproduktionen weiterhin erfolgreich Opern und Musicals aufgeführt werden. Lauter wird es, wenn die Räumlichkeiten einmal jährlich von Musikern des New Pop Festivals bespielt werden. Oder wenn die Kids das „Theater im Kulissenlager“ in Beschlag nehmen. Die nur „TIK“ genannte Blackbox in Rufweite des Haupthauses hat sich in den vergangenen Jahren zum Publikumsmagneten für junge Theatergänger entwickelt, weiß David Adler, seit dieser Spielzeit Verwaltungsleiter des Badener Theaterbetriebs. Dort, wo einst Bühnenwände jahrelang im Dunkeln schlummerten, ließe es sich jetzt dank bollernder Klimatisierung „zuweilen auch an heißen Tagen gut aushalten.“

Das Zentrum des Spielbetriebs hat sich überdies längst hin zum Sprechtheater verlagert. Seit 1918 verfügt das Haus über ein festes Schauspielerensemble. Rund zwanzig Akteure stehen derzeit mit Festverträgen an der Rampe, siebzig Personen arbeiten insgesamt im Namen des Hauses, das kleinere Werkstätten, eine Schneiderei sowie den Fundus unterhält. Wenn man etwa beim Bau größerer Bühnenbilder überfordert sei, erzählt David Adler, suche man regelmäßig den Schulterschluss mit dem Südwestrundfunk. Eine gemeinsame Nutzung von Ressourcen schaffe neue künstlerische Freiräume. Umfasste das Repertoire ursprünglich schwerpunktmäßig die Werke William Shakespeares oder Heinrich von Kleists, so finden in den Nachkriegsjahren unter französischer Besatzung immer öfter Klassiker der Moderne sowie französischsprachige Gastspiele Aufnahme im Programm. Nach der vollständigen Renovierung und der Ausstattung mit modernster Technik in den Neunzigern, genügt das stuckreiche und goldverzierte Kleinod mit seinen knapp 500 Sitzplätzen heute auch internationalen Standards. Erst vor wenigen Wochen war man erneut Gastgeber bei den Baden-Württembergischen Theatertagen. Steht die ehemalige Garnisonsstadt Baden-Baden zuweilen im Schatten renommierter Sprechtheaterbühnen wie jenen aus Freiburg, Mannheim oder Stuttgart, so sei es für die Macher dieser Leistungsschau „schon eine doppelte Genugtuung gewesen“, weiß David Adler, hier an der Oos einmal mehr technisch aufwendige Inszenierungen von außerhalb pannenfrei über die Bühne gebracht zu haben.

Auseinandersetzung mit Realität durch künstlerische Vielfalt.

Den Nachweis über ambitionierte Saison-Premieren ist die künstlerische Leitung des städtischen Kulturbetriebs in den Sparten Schauspiel und Junges Theater selten schuldig geblieben. Das durch Gäste verstärkte Ensemble und die Rotation der zu verpflichteten Regisseure stehen ferner für eine stete Weiterentwicklung und gleichzeitig für ästhetische Kontinuität. Seit dem Beginn der Intendanz von Nicola May im Jahr 2004 versteht sich das Theaterhaus verstärkt als ein öffentlicher Ort der Kommunikation und des Austauschs: Die in den Aufführungen angelegten Auseinandersetzung mit einstiger und gegenwärtiger Realität soll, ginge es nach der Hausherrin, häufiger gesellschaftsrelevante Fragen aufwerfen, die weit über den Theaterabend hinausreichen. Bourgeoises Volks- oder tüllbeladenes Kurtheater findet gottlob kaum noch Aufnahme in den Kalender.

So steht auch der Leitspruch für die neue Spielzeit für eine Zeitenwende. Unter dem Motto „Ist das gerecht?“ verbirgt sich die Frage, wie die Suche nach Ausgleich und Gerechtigkeit in einer immer weiter divergierenden Gesellschaft neu verhandelt werden soll. Der programmatische Bogen führt von der radikalen Forderung nach sozialer Gerechtigkeit in Lutz Hübners urbanen Thriller „Furor“ (ab 7.9.) bis zum komödiantischen Ausklang mit Carlo Goldonis furioser Streit-Etüde „Krach in Chiozza“ (ab 26.6.) im Folgejahr. Daneben gibt es Klassiker wie von Kleists „Zerbrochener Krug“ (ab 11.10.) und Shakespeares „Hamlet“ (ab 18.1.2020).

Um die viel beschworene Political Correctness geht es - komödiantisch das eine Stück, ahnungsvoll düster das andere - in Alexandre De La Patellières und Matthieu Delaportes „Der Vorname“ (ab 13.3.2020) sowie in Ödön von Horváths „Jugend ohne Gott“ (ab 18.5.2020). Die Geschichte über einen Lehrer, der versucht, in seiner Klasse eine nichtdiskriminierende Sprache durchzusetzen, kann als zeitlos durchgehen. Die Uraufführung von Bernd Schroeders „Der Fall Hau“ (ab 8.11) beschäftigt sich hingegen mit einem der spektakulärsten Fälle der deutschen Justizgeschichte. Der bis heute Fragen aufwerfende Mord ereignete sich 1906 direkt vor der Haustüre in Baden-Baden und zog eine beispiellose Aufmerksamkeit von Presse und schaulustigen Zuschauern auf sich. Regisseur Rudi Gaul nimmt dieses Massenphänomen als Ausgangspunkt für seine Bühnen-Adaption. Hier findet der kosmopolitisch ausgerichtete Spielplan auch seine lokale Verortung.

Im Jungen Theater stehen Stücke für Zuschauer bis achtzehn Jahren auf dem Programm. Das Weihnachtsmärchen ist ein Wiedersehen mit „Peterchens Mondfahrt“ (ab 24.11.). Die erste Premiere in der Nebenspielbühne TIK wird „Blauer als sonst“ (ab 20.9.) von Eva Rottmann sein: Die Geschichte um eine erste Liebe ist für Jugendliche ab zwölf Jahren gedacht. Die zweite Neuproduktion im ehemaligen Kulissenlager richtet sich dann an die Jüngsten: Erich Kästners „Konferenz der Tiere“ (ab April 2020) gewinnt in Zeiten der Fridays-for-Future-Demos dramatisch an Aktualität. Veranstaltungen wie das Festival „Fit fürs Abi in fünf Tagen“ und begleitende Gesprächsformate wie die „Spiegelgespräche“ runden das Jugend-Programm ab.

Infos und Tickets über das Gesamtprogramm des Theaters Baden-Baden sowie einen tagesaktuellen Spielplan hält das Internet unter www.theater.baden-baden.de bereit

FRIZZmag blickt mit seiner Serie THEATERcross-border in unregelmäßiger Folge über den Bühnenrand seines Verbreitungsgebietes hinaus: Was etwa machen eigentlich Regisseure und Schauspieler, die einst in Darmstadt wirkten, heute? Dazu werden spannende Inszenierungen und stimmungsvolle Festivals journalistisch ausgeleuchtet, gibt es packende Ein- und Ausblicke auf das deutschsprachige Theatertreiben und meinungsstarke Kritiken - zumeist überregional und außerhalb des Rhein-Main-Neckar-Deltas. Denn wir glauben: Theater muss sein. Selbstverständlich auch im Urlaub und auf Reisen.

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