Von Drohnen und prekären Milieus

Die deutschsprachige Theaterwelt ist einmal mehr zu Gast an der Hessischen Bergstraße. In der dreiundzwanzigsten Auflage präsentiert sich die „Woche junge Schauspieler“ (5. bis 21.3.) gewohnt ambitioniert und gar nicht pubertär. Mit Stefanie Reinsperger steht in Bensheim ein kommender Theaterstar an der Rampe, mit Sophie Rois als Schirmherrin hat die Wettbewerbsschau zudem ein bekanntes Zugpferd. Die FRIZZmag-Serie "THEATERcross-border" liefert einen Vorgeschmack auf die Inszenierungen aus Berlin bis Wien.

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© Schauspiel Frankfurt

Talentierte Ensembles ambitionierter Theater und Studierende deutschsprachiger Schauspielschulen werden in diesem Jahr erneut aus Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, München und Wien den Weg nach Südhessen finden. Eine weitere Bereicherung erfährt das Festival durch ein Schulprojekt, das in die dritte Runde geht. Mit Sophie Rois übernimmt zudem die neue Trägerin des Gertrud-Eysoldt-Ringes (die Preisverleihung findet am 17. März im Parktheater statt) die Schirmherrschaft der „23. Woche junger Schauspieler“. Auf dem Spielplan stehen spannende Aufführungen, die auf Vorschlag der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste die tragenden Säulen dieser Leistungsschau bilden. Marlene Schäfer, Hermann Beil und Klaus Völker haben die Vorauswahl im Namen der Akademie für 2018 getroffen. Vor allem Beils persönlichem Einsatz und der Kooperation der beteiligten Bühnen ist es zu verdanken, dass trotz knappem Budget erneut hochkarätige Ensembles mit international erfolgreichen Produktionen nach Bensheim anreisen werden.

Seit ihrer Gründung 1996 hat sich „die Woche“ als bedeutendes Forum für junge Schauspielerinnen und Schauspieler etabliert. Der Darsteller-Nachwuchs findet im Parktheater eine Bühne, auf der er einem aufgeschlossenen wie kritischen Publikum begegnet. Dabei gibt der Gedankenaustausch mit den Zuschauern im Anschluss an jede Aufführung durchaus Inspirationen für weitere schauspielerische Entwicklungen. Mit Stefanie Reinsperger steht diesmal ein kommender Theaterstar vom Berliner Ensemble an der Rampe unter den Weinbergen. Vergangenen Sommer spielte sie noch an der Seite von Tobias Moretti die umjubelte Rolle der Buhlschaft im „Jedermann“ von Hugo von Hofmannsthal bei den Salzburger Festspielen.

Seit über zwei Jahrzehnten zeichnet eine jährlich wechselnde Jury, bestehend aus drei Juroren, einen oder mehrere Schauspieler mit dem Günther-Rühle-Preis für hervorragende schauspielerische Leistungen aus. Der Preis ist mit 3000 Euro dotiert und wird von der Stadt Bensheim gestiftet. Darüber hinaus hat jeder Besucher die Möglichkeit, die Stücke nach einem Punktesystem zu bewerten. Dafür werden am Ende jeder Vorstellung entsprechende Abstimmungskarten verteilt, die es auszufüllen gilt. Welches Stück beim Publikum die größte Zustimmung erhält, wird am letzten Abend bekannt gegeben. Zum dritten Mal werden in diesem Jahr auch die Schüler der „Projektgruppe Theaterkritik” die beste Inszenierung wählen und ihre Begründung verlesen.

Zur Vorbereitung und Vermittlung auf alle Inszenierungen finden auch diesmal Einführungsgespräche mit Vertretern der jeweiligen Produktion jeweils um 19.15 Uhr im oberen Foyer des Parktheaters statt. Dabei werden Fragen zur Stückentwicklung, zum Konzept, zur Ausstattung und zur Inszenierung selbst erläutert.

Die moderne Kriegsführung gebiert Kämpfer, die keine Mörder sein wollen.

Mit einem entkernten, aber dennoch spektakulären Stück wirbelt die Bensheimer Schau gleich am ersten Veranstaltungstag mächtig Staub auf. In „Grounded“ (Mo., 5.3., 20.15 Uhr) verschwimmen die Grenzen, wenn die ganze Welt zum Schlachtfeld wird. Eine Pilotin der US-Luftwaffe (Sarah Grunert) darf täglich das erfahren, was sie zugleich zu verteidigen meint: die Freiheit und das große, weite Blau des Himmels. Ihr Kampfjet erlaubt es, die Gegner auf abstrakter Distanz zu halten. Das ändert sich, als sie nach einem Schwangerschaftsurlaub in den Dienst zurückkehrt und feststellen muss, dass sie zu einer anderen Waffengattung versetzt wurde. Die Kriegsführung ist moderner geworden. Nun fliegt sie keine Kampfjets mehr, sondern Drohnen. Damit sind die Gegner zwar noch abstrakter als zuvor geworden, aber die Möglichkeit zur Distanzierung fehlt. George Brants genau recherchierter Monolog schildert die Fragwürdigkeit der drohnengestützten Kriegsführung und erzählt von einer Kämpferin, die keine Mörderin sein will. Die Inszenierung wurde am Schauspielhaus Bochum erarbeitet und kommt nun als Produktion des Schauspiels Frankfurt in der Regie von Anselm Weber nach Bensheim.

Dimitrij Schaad, Absolvent der Münchner August-Everding-Theaterakademie, hat in „Die Konsistenz der Wirklichkeit“ gemeinsam mit Schauspiel-Studierenden und seinem Bruder Alex Schaad als Koautor eine beeindruckend dichte, episodenhafte Szenenfolge zu aktuellen Themen erarbeitet, die sich mit Angst, Gewalt, Schuld und Einsamkeit auseinandersetzt. Den Rahmen bildet ein Mietshaus, in dem der einzige Münchner Straßenhund untergeschlüpft ist. „Früher war ich ein Mensch“, beginnt Marina Blanke auf leerer Bühne dessen überraschende Vorgeschichte als Soldat. Sie spielt dieses Mischwesen, das durch die starken Bilder führt und sie zusammenhält. Ausgehend von eigenen Erfahrungen, Gedanken und Fragen, die sie umtreiben, bringen die Darsteller in „Die Konsistenz der Wirklichkeit“ so Figuren auf die Bühne, die sich in der Schwebe zwischen Selbstoffenbarung und Fiktion, zwischen authentischem Konflikt und erzählerischem Drama befinden. Was entsteht, ist ein Stück, das durch seine Unmittelbarkeit gegenüber unserer Gegenwart und Lebensrealität eine eigene Magie entfaltet. An der Bergstraße ist diese bayerische Stückentwicklung am Dienstag (6.3.) um 20 Uhr zu sehen.

Mutter und Vater streiten sich wieder. Doch die Frau ist tot, deshalb gibt es keinen Raum mehr für Versöhnung. Getötet hat sie der gemeinsame Sohn. Dieser Theaterabend erzählt von den Stunden nach dem Unfall, als sich die drei Gestalten in einem dunklen, vielleicht imaginären Wald wiederfinden und über das Geschehene sprechen. „Rost“ (Mi., 7.3., 20 Uhr) ist ein Stück über Menschen, die kurz davor sind, ihre Träume zu verraten. Es beurteilt diese Menschen nicht, sondern hinterfragt ihre Ängste und Erwartungen. Christian Kühne hat diesen Text  über eine Familientragödie geschrieben, die Gedanken- und Satzkonstellationen von ihm sind eigenwillig, gewagt und äußerst kreativ. Die erst vor eineinhalb Jahren gegründete Wiener Kompanie „Theater der Sprachfehler“ feierte mit der Uraufführung von „Rost“ in der Regie von Andreas Jähnert einen gelungenen Einstand.

© Schaubühne Berlin

An Brechts Parabel „Der gute Mensch von Sezuan“ (So., 11.3., 20 Uhr) haben sich schon einige die Zähne ausgebissen. Leander Haussmann scheiterte daran vor zwei Jahren zur Spielzeiteröffnung des Berliner Ensembles. Das Ergebnis waren mehr als drei zähe Stunden, denen der Drive fehlte. Nun wagt sich Peter Kleinert mit seinen Studentinnen und Studenten der Ernst-Busch-Schauspielschule im Studio der Berliner Schaubühne an diesen schwierigen Stoff heran. Die holzschnittartige Kapitalismus- und Religionskritik hat zwar einiges an Patina angesetzt und auch die Musik von Paul Dessau wirkt aus der Zeit gefallen, aber das junge Ensemble sollte bei seinem Bensheimer Gastspiel in 140 gekürzten Minuten gehörig in Schwung kommen.

Prekäre Milieus auf die Bühne zu bringen, ist heikel. Sobald die Schauspieler verkleidet und ihr Gehabe unwahr wirken, werden die Figuren vorgeführt, ausgestellt und verraten. Und so fürchtet man sich anfangs ein wenig, als vier Darstellerinnen des Düsseldorfer Schauspielhauses auf eine Wand aus wuchtigen Lautsprecherboxen klettern, billige Trash-Klamotten tragen und reden wie aufsässige, deutschtürkische Mädchen in der Berliner U-Bahn. Da sieht und hört man nur Klischees. Regisseur Jan Gehler verteilt die Figuren des Romans „Ellbogen“ (Di., 20.3, 20 Uhr) der Berliner Journalistin Fatma Aydemir raffiniert auf die Darstellerinnen, strebt eben nicht nach zweifelhaftem Realismus, sondern lässt ein Gespinst aus Stimmen, Posen und Lebensgeschichten entstehen - so gräbt sich der Zuschauer immer tiefer in ein soziales Feld, das von einem Gefühl beherrscht ist: Frust. Die Inszenierung könnte auch auf Gastspielreise so manches Klischee bedienen, sie gibt aber auch unsentimentale Einblicke in eine Lebenswelt, die längst Teil von Deutschland geworden ist.

Reinsperger verkehrt ihren Handke zu einer intimen Selbstabrechnung.

Mit der Inszenierung seiner „Publikumsbeschimpfung“ wurde Peter Handke berühmt. Ein weiteres seiner frühen Sprechstücke ist die „Selbstbezichtigung“ (Mi., 21.3., 20 Uhr). Regisseur Dusan David Parízek hat es für das Berliner Ensemble als Monolog inszeniert. Darin spricht die Figur auf der Bühne nur von sich selbst - das Publikum wird zu einem Gericht, einer höheren Instanz, vor der gebeichtet wird. Parízek und seine Schauspielerin Stefanie Reinsperger haben daraus das genaue Gegenteil gemacht. Die Verallgemeinerung, mit der Handke zeigt, wie gleichermaßen schuldig wir sind, wird bei dieser wunderbaren Mimin zu einer intimen Selbstabrechnung. Zunächst liegt sie nur mit Unterhose bekleidet in Embryohaltung auf einem weißen Bühnenstreifen und schmeckt ganz verwundert die Sätze von ihrem Gezeugt- und Menschwerden ab. Dazu erscheinen verschwommen Kinderbilder von ihr auf der Leinwand. Am Ende spuckt sie das Scheitern am Regelwerk heraus. Reinsperger kann diese gleichförmige Litanei so mit Leben füllen, dass man in jeden Satz hineingezogen wird. Wahrlich eine Kunst.

Etwas abseits des tradierten Festivalgeschehens steht der Rezitationsabend mit Wolfram Koch. Gedichte und grausige Geschichten von Edgar Allen Poe hat der international gefeierte Theaterstar und „Tatort“-Ermittler unter dem Titel „Annabel Lee“ (Fr., 16.3., 20 Uhr) gebündelt. „Magier des Schreckens“ und „Fürst des Grauens“ wird Poe aufgrund seiner schauerlichen Schilderungen genannt, doch er gilt auch als Begründer der modernen Detektivgeschichte und Wegbereiter der Short Story. Als Autor unvergesslicher Horrorgeschichten ging der amerikanische Schriftsteller in die Literaturgeschichte ein. Koch liest aus „Der Rabe“, „Das verräterische Herz“, „Das ovale Porträt“ und „Berenice“.

Neben den bekannten Vorverkaufsstellen können Theaterkarten zu allen Festivaltagen über die Tickethotline (0180) 60 50 400 geordert werden. Zudem können Tickets für die Vorstellungen über die Homepage (www.stadtkultur-bensheim.de) direkt am eigenen Drucker zu Hause ausgedruckt werden. Die Abendkasse ist an Veranstaltungstagen eine Stunde vor Vorstellungsbeginn geöffnet.

www.stadtkultur-bensheim.de

FRIZZmag blickt mit seiner Serie THEATERcross-border in unregelmäßiger Folge über den Bühnenrand seines Verbreitungsgebietes hinaus: Was etwa machen eigentlich Regisseure und Schauspieler, die einst in Darmstadt wirkten, heute? Dazu werden spannende Inszenierungen und stimmungsvolle Festivals journalistisch ausgeleuchtet, gibt es packende Ein- und Ausblicke auf das deutschsprachige Theatertreiben und meinungsstarke Kritiken - zumeist überregional und außerhalb des Rhein-Main-Neckar-Deltas. Denn wir glauben: Theater muss sein. Selbstverständlich auch im Urlaub und auf Reisen.

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