Öffentliche Dauerpräsenz

Ausstellung verpasst und trotzdem Bock auf Plakatkunst? Der Bildband „We want you!“ zeigt, wie das widerspenstige Großflächenmedium langsam domestiziert wurde und dennoch zukünftig stilbildend sein könnte.

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© Museum Folkwang Essen

We want you! Im Grunde lieferte der Titel der Ausstellung die Botschaft jener Plakate gleich mit, die im Museum Folkwang zu sehen waren. Egal, ob sie für Politiker oder ein Konzert Paul McCartneys, für Kaffee ohne Koffein oder einen Film mit Hans Albers warben - der Gang durch die Essener Hallen versprach im vergangenen Sommer größtmögliche Vereinnahmung. Nicht wenige Besucher soll der spannende Parcour sogar zu einem Rundgang durch wilde Kindheitserinnerungen verleitet haben. Wer die Schau verpasst hat oder dem Gedächtnis auf die Sprünge helfen möchte, könnte jetzt alternativ im Steidl Verlag fündig werden. Der vom Museum selbst editierte Bildband „We want you! Von den Anfängen des Plakats bis heute“ liefert reichlich Déjà-vus aus dem Reich von Afri-Cola auf über 250 Seiten.

In fundierten Beiträgen von Peter Gorschlüter, Alexander Stotz, Ursula Wißborn und dem kuratierenden Herausgeber René Grohnert wird Fachwissen erfreulicherweise einmal nicht als papierner Historientrip für den Ohrensessel aufgearbeitet. Statt gravitätischer Obertöne aus dem Elfenbeinturm gibt’s dafür reichlich Druckgrafisches für die Sinne: knapp 600 Abbildungen zeichnen explizit die Entwicklung des Genres von den Anfängen bis zur Gegenwart nach, prägende Exponate von Isolde Baumgart bis Charles Wilp spannen einen weiten kultur- und medienhistorischen Bogen. Den Leser kann’s nicht verwundern - gehört das 1974 gegründete Deutsche Plakatmuseum doch seit 2008 als eigenständige Abteilung zur mächtigen Essener Folkwang-Sammlung.

Rote Haare, gelber Hut, blaues Kleid. Eine fröhliche Radlerin macht Werbung für die Bergischen Fahrradwerke Elite in Lennep. Dies war eines der älteren Motive der Ausstellung. Um 1900 wurden Plakate zum wichtigen Werbemittel. Bunt, groß, aufwändig gestaltet - sie fallen nun in diesem Katalog erneut ins Auge. Der liefert weitere, teils überraschende Erkenntnisse: Die Litfaßsäule, die rundum mit Plakaten beklebt wird, gibt es schon seit Mitte des neunzehnten Jahrhunderts. 1854 erfand sie der Berliner Drucker Ernst Litfaß, weil vielen das wilde Plakatieren in der Stadt auf die Nerven ging. Ganze Häuserwände wurden zugekleistert. Durch die Säulen gab es nun Orte in der Stadt, an denen sich die Menschen erstmals gezielt informieren konnten, wo etwas los war. Twitter und Facebook des frühen Historismus sozusagen.

Moderne Plakatgestaltung muss dem Zeitgeist immer einen Schritt voraus sein.

Solche Anschlagsorte, die der Schau selbst einen prägenden Ordnungssinn verliehen, müssen beim Schmökern selbstredend mitgedacht werden. Auch die modernen Varianten, in der Plakate banal und kunstlos wechseln. Oder elektronische Säulen, in denen sich die Bilder grotesk bewegen, animierte Aushänge sozusagen. Weil die Menschen heute mit Smartphones durch die Innenstädte schnüren, müssen Plakate auffallen und moderne Werbegestalter dem Zeitgeist immer einen Schritt voraus sein.

Der Katalog ist eine Zeitreise, die im achtzehnten Jahrhundert beginnt, als Vorläufer der Plakate in der Öffentlichkeit in Form von Handzetteln auftauchen, und arbeitet dann die Epochen ab: Von der Hochzeit im Jugendstil über den Expressionismus bis hin zur Pop-Art. Zu sehen sind vor allem Werbeplakate, weniger klassische Kunstdrucke. Es wird deutlich, wie stark uns Werbung im öffentlichen Raum beeinflusst und wie wenig sich manche Parolen geändert haben.

© Museum Folkwang Essen

Spannend ist die Wandlung der Werbemittel im Verlauf des vergangenen Jahrhunderts. Denn in ihnen spiegelt sich mannigfach dokumentierte Zeitgeschichte. Da gibt es ein Wiedersehen mit Uncle Sam, der „I want you!“ fordert und direkt auf den Betrachter zeigt. Die Affiche stammt von 1917 und sollte junge US-Amerikaner dazu bringen, im Ersten Weltkrieg zu kämpfen. Später wurde sie als Poster immer weiter verwendet. Bis zum Vietnamkrieg. Da fleht Sam, geschunden und verprügelt, bloß noch: „I want out!“ - Ich will raus!

Plakate sind politisch, parteiisch und kommerziell. Sie sollen manipulieren.

Dem Steidl-Band gelingt das Kunststück, die Objekte wieder in den Fokus des Betrachters zu rücken, denn im öffentlichen Raum ist das Medium zwar nahezu allgegenwärtig, wird jedoch kaum noch wahrgenommen. Dabei will und soll das Plakat nichts anderes, als Aufmerksamkeit erzeugen - allerdings für eine Vielzahl von Zwecken. Das Plakat will informieren, es soll werben, verführen, reizen, manipulieren und indoktrinieren. Das Plakat ist politisch, parteiisch und kommerziell. Es war und ist ein Massenprodukt und ein bewährtes Propagandainstrument. Dass es seinen Siegeszug bis in die Moderne hinein auch als eigene Kunstform bestritt, blieb hingegen weitgehend unbeachtet.

Dabei haben Maler wie Pierre Bonnard, Toulouse-Lautrec und Alphonse Mucha Plakate entworfen, die in der Zeit vor 1900 zum Teil nur Sammelmappen kursierten und einer bestimmten Boheme vorbehalten waren. Man hielt „Reklame“, wie der Maler, Grafiker und Schriftsteller Julius Klinger bereits im Jahr 1913 schrieb, für eine „Angelegenheit der Kunst. Das war naturgemäß ein Trugschluss.“ Klinger erklärte ihn damit, dass die Reklamezunft noch keine handwerkliche Tradition entwickelt hatte und man deshalb auf Leute zurückgreifen musste, „die Form und Farbe besonders beherrschten: Das waren die Künstler.“

Wo die industrielle Entwicklung voranschritt und die Massenproduktion einsetzte, entstand Wettbewerb und die Notwendigkeit von Bedarfslenkung. Stilistische Veränderungen, drucktechnische Fortschritte, große Formate in der Papierherstellung und künstlich hergestellte Druckfarben etablierten das Plakat rasch als neues öffentliches Leitmedium. Der Bildband zeigt ebenso detailreich auf, wie im Zuge seiner Evolution das widerspenstige Werbemittel langsam domestiziert wurde. Machten einst Radio, Fernsehen und Internet dem analogen Format Konkurrenz, könnten es zukünftig moderne Revolutionen sein, befeuert von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz.

„We want you! Von den Anfängen des Plakats bis heute“ ist in der Edition Folkwang / Steidl erschienen. Der Museums- und Buchhandelspreis beträgt 38 Euro.

Weiterführende Infos halten die Internetseiten des Steidl-Verlags und des Museums Folkwang, Essen bereit.

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