Buch des Monats Dezember 2020

Maßstäbe in der Welt der Bücher ...

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… setzen die monatlichen Buchempfehlungen aus Darmstadt. Seit 1952 trifft sich regelmäßig eine unabhängige Jury aus Schriftstellern, Journalisten und Literaturkritikern, um aus der Vielzahl der Neuerscheinungen ein Buch besonders hervorzuheben.



Mit der Auszeichnung soll diesen Büchern zu einer größeren Verbreitung verholfen werden. Dabei fällt die Wahl nicht unbedingt auf literarische Bestseller, manches Buch wurde durch die Auszeichnung „Buch des Monats“ erst erfolgreich.



Aktuell gehören der Jury an:



Peter Benz, Michael Braun, Oliver Jungen, Hanne F. Juritz, Adrienne Schneider, Prof. Dr. Wilfried F. Schoeller, Dr. Tilman Spreckelsen, Dr. Gerhard Stadelmaier, Dr. Hajo Steinert, Wolfgang Werth. 

Begründung der Jury 



Dass selbst ein Weltbuch wie Baltasar Graciáns „Handorakel“ neuentdeckt werden kann, führt uns der renommierte Romanist Hans Ulrich Gumbrecht mit seiner sprachlich behutsamen, editorisch vorbildlich aufbereiteten Übersetzung der wirkmächtigen, erstmals im Jahr 1647 publizierten und bis heute in ihrer Scharfsinnigkeit betörende Aphorismen-Sammlung des wohl wichtigsten Jesuiten-Intellektuellen aus Spaniens Goldenem Zeitalter vor Augen. Hierzulande wurde das „Handorakel“ vor allem in der prächtigen Übersetzung von Arthur Schopenhauer bekannt, die jedoch über Brüche und sprachliche Verschiebungen gern glättend hinwegging und so in manchen Passagen mehr Schopenhauer als Gracián bot. Die nach philologisch-kritischen Kriterien erste vollständige deutsche Übersetzung macht nun entgegen des oft üblichen modernisierenden Übertragens gerade im Widerständigen, mitunter Offenen des Textes eine von dessen zentralen Qualitäten aus, weil sich darin die Agilität des Denkens zwischen Annahmen und Revisionen zeige und, mehr noch, zum Nachvollzug anbiete. Detaillierte Anmerkungen lassen das hinter dem Text stehende, verschüttete Netzwerk aus literarischen Verweisen und Zitaten sichtbar werden; das kenntnisreiche Nachwort entwickelt den Gedanken, dass von Graciáns Denk-Raum eine solche Faszination ausgehe, weil darin in kühler Konkretheit und ohne Negation der uns alle überfordernden Komplexität (durch das Entgegensetzen einer reflexionsarmen Klarheit) die Suche nach individuellem Halt sozusagen auf der Höhe des Problems durchexerziert werde. Mit diesem Rüstzeug und in der von Gumbrecht geforderten Lektüreweise – langsam und weiterdenkend – die 300 weltklugen Anweisungen zu lesen, führt zu erhellenden Momenten. Die Darmstädter Jury „Buch des Monats“ hat diese aufrauende Wiederentdeckung eines Klassikers zum Dezemberbuch 2020 gewählt.

©Verlag

Handorakel und Kunst der Weltklugheit

Rating: 5 of 5

Baltasar Gracián

Reclam Verlag, Stuttgart

Hans Ulrich Gumbrecht

Klassiker

24. August 2020

978-3-15-010927-4

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