Ewig morbider Italien-Charme

Warum in die Ferne schweifen, wenn die schönsten Kopfreisen auf dem Nachttisch darauf warten, entdeckt zu werden? Mit seinem Renault-Oldtimer wandelte Helmut Schlaiß auf Goethes Spuren und hat dessen „Italienische Reise“ für ein beeindruckendes Buchprojekt fotografisch nachgestellt. Der Literaturkritiker Denis Scheck stellt den Prachtband jetzt deutschlandweit vor.

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© Helmut Schlaiß

Goethe auf dem Markusplatz, Goethe vor dem Forum Romanum, Goethe im Amphitheater von Taormina. Fast zwangsläufig stößt jeder Italienreisender irgendwann auf den Dichterfürsten, der mit seiner Bildungsreise über die Alpen jene Sehnsucht der Deutschen nach Wärme, nach unbeschwerter Leichtigkeit und südländischer Lebensart auslöste. Über zweihundert Jahre ist der Reisebericht, irgendwo zwischen Dichtung und Wahrheit angesiedelt, jetzt alt. Zeit also, sich erneut aufzumachen ins „Land, wo die Zitronen blühen“. An überfüllte Strände also und hin zu den Touristenmassen inmitten der antiken Mauerreste. „Die Städte sind alle sehr geschäftig geworden“, stellt Helmut Schlaiß mit Bedauern fest. Der Fotograf aus dem schwäbischen Langenau hat bereits als jugendlicher Rücksacktourist seine „Sturm- und Drangjahre“ südlich der Alpen verbracht, später hier als Lichtbildner für die Industrie und Modebranche gearbeitet. Nun ist er zurückgekehrt, den Finger am Auslöser einer antiken Leica-Kamera. Und eben auf Goethes Spuren.

In vier Etappen folgte er seit 2015 in einem umgebauten Renault-Kastenwagen den sattsam bekannten Routen des Frankfurters und erlebte auch im Digitalzeitalter manches Abenteuer. Nur ein paar hundert Meter von seinem Stellplatz beim Campingplatz Solfatara in Pozzuoli entfernt verunglückte eine Familie tödlich aufgrund der giftigen Gase am Vulkankrater. Das tragische Geschehen an den Phlegräischen Feldern werde er nie vergessen, sagt Schlaiß. Genau wie Goethe war der Fotograf an einem 3. September um 3 Uhr früh in Karlsbad zur ersten Reise gestartet. Abgeschlossen hat er das Projekt im Herbst 2017 nach einer fast achtwöchigen Tour in seinem „Ein-Mann-Wohnmobil“ und sehr bewegenden Erlebnissen, die er in einem Internet-Tagebuch festgehalten hat. Dem beeindruckenden Ergebnis sind die Strapazen und Mühen der Reise kaum anzusehen. Schließlich bestand die Herausforderung nicht nur darin, die beschriebenen Orte bei möglichst optimalem Licht zu fotografieren und die von Goethe empfundene Stimmung künstlerisch zu erfassen. Problematisch war es auch, die Erlaubnis dafür zu bekommen oder überhaupt die richtigen Perspektiven zu finden.

Natürlich verführt diese fotografische Grand Tour einmal der Länge nach durch das Land zum Schwelgen. Die 125 in Duotone gedruckten Schwarz-Weiß-Aufnahmen dieses Prachtbandes zeigen Vicenzas steingewordene Pracht, Venedigs morbiden Charme, den Grandezza der ewigen Stadt und das zum Sterben schöne Neapel. Dazu hat der sprachmächtige und meinungsstarke Stuttgarter Literaturkritiker Denis Scheck ein beinahe fakultätsübergreifendes Nachwort beigesteuert, das Germanisten wie Kunsthistoriker gleichermaßen begeistern könnte. Eine auf 600 Exemplare limitierte Luxusausgabe ist leinengebunden und hält zudem einen von Schlaiß nummerierten und handsignierten Originalabzug auf Barytpapier bereit. Nach der Buchvorstellung in Langenau (17. März) mit dem Fotografen, Denis Scheck und dem Verleger Horst Lauinger wird das Buchprojekt anschließend im Zuge einer Lesereise durch Deutschland vorgestellt. FRIZZ-Leser aus dem Rhein-Main-Neckar-Raum sollten sich die Termine in Radolfzell (15. Mai), Köln (15. Juni) und Bonn (16. Juni) vormerken. Weitere Infos hält die Homepage des Verlags unter www.randomhouse.de bereit.

Italienische Reise. Ein fotografisches Abenteuer von Helmut Schlaiß, Menasse Verlag, Hardcover, 336 Seiten, 49,80 Euro

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