Ballett der Grausamkeiten

Diesen literarischen Schlägen kann man selbst nach Buchmesse-Besuchen schwer ausweichen: Kevin Hardcastles düsterer Country-Noir-Roman „Im Käfig“ zeigt das tägliche Überleben als existenziellen Faustkampf.

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© Katrina Afonso

An manchen Tagen fährt Daniel stundenlang mit dem Auto umher, nur damit andere Boxer ihn hinterher auf verschlissene Matten und gegen gepolsterte Betonwände schmettern können. Er bricht sich Finger und Zehen, erleidet eine Oberkieferfraktur und spuckt einen Monat lang Blut, „rostbraune Klumpen, rot geäderten Schleim“, wie es in dem Buch heißt, an dem der Autor vier Jahre lang geschrieben hat. Wischt sein Held sich über die Augen, schmerzen die Schneidezähne. Kevin Hardcastles Roman „Im Käfig“ zieht den Leser in einen Strudel der Gewalt. Man meint, ständig Daniels Schweiß in der Nase und Badewannen voller Blut vor Augen zu haben, wenn man diesem talentierten Martial-Arts-Kämpfer über knapp 300 Seiten durch die Kampfsport-Gyms und zu den Wurzeln der Gewalt in seiner trostlosen, kanadischen Heimat folgt. Es ist ein starkes Roman-Debüt für den 39-Jährigen, das nebenbei den Hobby-Faustkämpfer Justin Trudeau als ziemliches Weichei entlarvt, weil es düstere Lebenswirklichkeiten in einem abgelegenen Landstrich bei Ontario ausleuchtet, wie sie wohl nicht auf der politischen Agenda des smarten kanadischen Premierministers stehen.

Nach einer schweren Augenverletzung und um für seine junge Familie da zu sein, gibt Daniel seine Profi-Karriere als Haudrauf auf. Doch das Geld, das Daniel als Schweißer auf Baustellen und seine Frau Sarah als Nachtpflegerin in einem Altersheim verdienen, hält sie kaum über Wasser. Als ihm das Schweißgerät vom Pick-up gestohlen wird, schlägt der Roman mit dieser Katastrophe auf, Daniel beginnt, seine Fähigkeiten in der lokalen Drogenbande einzubringen, die er seit seiner Jugend kennt. Als die Bandenaktivitäten in brutale Metzeleien ausarten, will er aussteigen, zurück in den Cage, wo er einst von dreißig Profikämpfen nur zwei verloren hat und kein einziges Mal k.o ging. Nun also soll ein letzter Käfigkampf die Hypothek abzustottern helfen. Weil die Quoten der Wettbüros hoffnungslos gegen ihn stehen, leiht sich der abgebrannte Fighter beim örtlichen Mafiapaten 10 000 Dollar und setzt alles auf den eigenen Sieg.

Verlierer sind interessanter als Sieger, und Hardcastle verleiht seinem Loser hier durch seine kunstvoll-lakonische Sprache eine Würde, die meist auch durch die Untiefen der Randständigen-Klischees und eine etwas anachronistische Comic-Strip-Handlung trägt. Frühe moderne Boxerromane wie „Fat City“ von Leonard Gardner (Foto, u.) haben ihre Protagonisten auf dem Weg nach unten ja schon zur Genüge durch Vorstadt-Arenen, Hinterhöfe und Kleingeld-Kaschemmen geprügelt, bei Hardcastle kommt es nun vor einer Werkstatt, zwischen Autoteilen, Ölfässern und einer vorsintflutlichen Hebebühne, zum Shootout.

Wer sich mit dem Bösen einlässt, macht sich schmutzig, und schuldig wird, wer bloß zuschaut.

Als das Geballere losgeht, wird ein Vertreter der Unterwelt zum ersten Opfer, vom „Aufprall der Geschosse herumgedreht, wobei Fetzen seines Körpers durch die Luft geschleudert werden“. Sein Buddy, an Hals und Brust getroffen, bricht auf seinem Bike zusammen und schafft es noch, eine Salve im eigenen Bein zu versenken: „Seine Jeans färbte sich rostrot.“ Am Ende sind vier Menschen tot, und als dann noch der Grill getroffen wird und lärmend umkippt, „kotzt er eine Masse aus versengtem Fleisch und glühende Kohlen aus“. Ein Dreiminutenmassaker, geschildert wie ein grausam entfesseltes Ballett. Daniel, der für den Mafia-Paten vermitteln sollte, überlebt die Schießerei hinter einer Mauer. In seinen Ohren tobt das Knalltrauma, an seiner Jacke kleben Hautfetzen und menschliches Gewebe. Wer sich mit dem Bösen einlässt, macht sich schmutzig, und schuldig wird, wer bloß zuschaut.

© Sam McManis

Die Geschwindigkeit solcher Erzählpassagen täuscht darüber hinweg, dass Hardcastle seine aufregende Story ansonsten ganz unaufgeregt ohne vordergründige Dramatisierung runterkurbelt: Gnadenlos genau und sehr filmisch, Handlung und Dialog im steten Wechsel, Emotionen nur, wenn sie sichtbar sind. Flugs spüren wir als Leser, dass nicht die scheinbar sanfte Sarah, sondern Daniel der Schwächere in dieser Beziehung ist. „Wir schaffen das schon“, sagt sie, wenn er am Verzweifeln ist. Und dann greifen sie gemeinsam zum nächsten Bier. In seinem Umgang mit Frau und Tochter zeigen sich das Herz eines Boxers und eine sehr verletzliche Seele, die von Armut, Arbeitslosigkeit und roher Gewalt beständig geschliffen wird. Bezeichnenderweise ist die lustigste Szene dieses Buches auch die eindringlichste, wenn die kleine Tochter vom Vater erst lernt, wie man richtig zuschlägt, um im Anschluss ein paar verblüffte Rabauken recht drakonisch im Schulhof zu vermöbeln.

Mit „Im Käfig“ verschneidet Kevin Hardcastle einen Kriminalroman mit dem Pulsschlag eines Sportdramas und der bitteren Giftigkeit eines Country Noirs. Der Käfig, in dem leitmotivisch nicht nur geprügelt wird, sondern existenzielle Lebenswirklichkeiten verhandelt werden, er steht hier eben auch als eine Metapher für die Ausweglosigkeit in einer engstirnigen und kaltherzigen Gesellschaft.

Kevin Hardcastle, „Im Käfig“, 286 Seiten, aus dem Englischen übersetzt von Harriet Fricke, Polar-Verlag, 20 Euro.

Infos zum Gesamtprogramm des Stuttgarter Polar-Verlags hält das Internet unter www.polar-verlag.de bereit.

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