Geborgen unter bunten Vögeln

Lacht nicht! Lois Hechenblaikners prächtig-schräger Bildband „Volksmusik“ nähert sich auf würdevolle Art und Weise dem Publikum der volkstümlichen Musikszene.

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© Privatarchiv

Im Publikum der volkstümlichen Musikszene spiegelt sich eine soziale Flora, die der Soziologe Gerhard Schulze einmal sehr treffend als „Harmoniemilieu“ beschrieben hat. Harmonie ist, wenn die Sehnsucht nach einer heilen Welt zur stärksten und einzigen Triebkraft wird. Es geht also um Geborgenheit und darum, zumindest für ein paar Stunden all den Problemen und Niederlagen des Lebens zu entkommen. Die Ausstrahlung dieser scheinbar pausenlos berauschten Gemütsmenschen scheint so stark zu sein, dass sich zunehmend auch der Ironie zugeneigte Kulturschaffende im Dunstkreis dieses Trivial-Phänomens tummeln. Handelt es sich bei dem Kitsch-Kult also in Wahrheit um das Hochamt vergeistigter Existenzialisten, frei nach Sartres Weisung, dass erst die wahre Existenz dem echten Dasein des Menschen vorausschreite?

Lois Hechenblaikner (Foto) hat es nicht so mit Sartre. Aber seit über zwei Jahrzehnten fotografiert der 61-jährige Österreicher die Fans der volkstümlichen Musikszene in seiner Heimat und in Südtirol. Dafür hat der Querdenker weit mehr als einhundert Volksmusik-Feste und Open-Air-Konzerte besucht und an Fanwanderungen teilgenommen. Nicht den Musikern gilt sein Hauptaugenmerk, sondern den Menschen, die sich oft auf weite Reisen und hohe Berggipfel begeben, um Starrummel zu schnuppern. Denn wer Szene-Größen wie Hansi Hinterseer oder Stefanie Hertel möglichst nah sein will, der darf keinen Aufwand scheuen und sollte pathologisch kontaktfreudig sein, um der Schunkel-Branche auf die Pelle zu rücken.

In dieser Werkserie lässt Hechenblaikner mit den Möglichkeiten der Großformatfotografie eine Typologie des Publikums der volkstümlichen Musikszene entstehen. Er dokumentiert Gesichtsausdrücke, Gestik und Kleidung von verschiedenen Protagonisten, die man auch bunte Vögel nennen könnte. So wie sich der gemeine Fan stets auf die Jagd nach Autogrammkarten begibt, so fängt dieser wirklich prächtig-schräge Bildband vielfältige skurrile Momente ein, in denen die Porträtierten erstaunlich würdevoll aufscheinen und erfreulich selten verunglimpft werden. Mehr noch: In ihrem Detailreichtum machen die Aufnahmen Mentalitäten sichtbar und erzählen ganze Lebensläufe. Das ist nun wirklich mal ein abseitiges, aber auch sehr reales Bild von Europa.

Lois Hechenblaikner, „Volksmusik“, 152 Seiten, 120 Abbildungen, Vierfarbdruck und Leineneinband, Steidl Verlag, 38 Euro.

Infos zum Gesamtprogramm des Göttinger Steidl-Verlags hält das Internet unter https://steidl.de/ bereit.

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