Schreckensmomente der Erkenntnis

Der Bildband "Panoptikum" zur Ausstellung im Museum Folkwang erleichtert die Wiederannäherung an das Jahrhundertgenie Roland Topor. Der Darmstädter Kunstpreisträger des Jahres 1984 beeinflusst den Kulturbetrieb mit seinen suggestiven Fantasien bis heute.

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Steidl Verlag

Es ist nicht so, dass man über die Kunstwerke Roland Topors in den Museen stolpern würde. Auch Antiquariate und Buchhandlungen quellen nicht gerade über von Lektüren des 1997 in  Paris gestorbenen Künstlers und Schriftstellers. Dabei liefern gerade dessen Tragikomödien, Aphorismen und Erzählungen den schnellstmöglichen Zugang in die Gedankenwelt des Sohnes polnisch-jüdischer Einwanderer. Gellender Witz, schwarzer Humor, abstruse Ideen und schlimmstmögliche Wendungen: Wer Topor liest, kann sich auf ein Wechselbad der Gefühle gefasst machen. Das wirkt wie eine kalte Dusche auf das Haupt des Spießers, der in jedem von uns steckt.

Und doch ist es so, dass sein Schaffen sich auch im Nachgang zuallererst über die Werke anderer Künstler vermittelt, in der Grafik, der Literatur, im Theater und Kino. Er kritzelte Zeichnungen für die Laterna-Magica-Sequenz in Fellinis „Casanova“. Für die Bayerische Staatsoper stattete er „Ubu Rex“ von Penderecki aus, er trat als Schauspieler in Volker Schlöndorffs „Eine Liebe von Swann“ auf, entwarf Plakate für Oshimas „Im Reich der Sinne“ und Schlöndorffs „Blechtrommel“. Sein Roman „Der Mieter“ wurde erfolgreich von Roman Polanski verfilmt. So schaurig-schräg wie er den Renfield in der „Nosferatu“-Verfilmung von Werner Herzog gespielt hat, lässt kaum erahnen, dass es eigentlich die blanke Not war, die ihn in die Fänge der Kunst trieb. Die Okkupation durch die deutschen Truppen überlebte die Familie versteckt auf dem Land. An der Kunstakademie schrieb sich Roland Topor später aber nur ein, um nicht in die französische Armee eingezogen zu werden.

Erste Zeichnungen veröffentlichte der Mann mit den sanften Glubschaugen 1958 in der Zeitschrift „Bizarre“, und das Bizarre sollte seine Spezialität und Marotte bleiben. Als Karikaturist und Schriftsteller stattete er seine Werke mit großdimensionierten, obszön-suggestiven Fantasien aus. Sein Titel „Die Memoiren eines alten Arschlochs“ parodiert die auf dem Markt kursierenden Memoirenwerke und zugleich den Literaturbetrieb. In seinen Zeichnungen folgte Roland Topor hingegen der Linie der bitteren Humoristen im surrealen Stil, der gleichwohl vor der Gebrauchs- und Populärkultur nicht haltmachte. Die satirische Kinderserie „Die Sendung mit der Katze“, die er in den Achtzigern fürs französische Fernsehen hauptsächlich mitentwickelte, genoss nach 234 Folgen Kultstatus beim jugendlichen Publikum, und für seinen Gastro-Kumpel Wolfram Siebeck illustrierte er schon mal das eine oder andere Kochbuch.

Surreale Kunst, die zwischen Witz und Schrecken changiert.

Der Katalog zur Ausstellung im Museum Folkwang, den der Steidl-Verlag in Kooperation mit dem Haus Diogenes nun in Buchform präsentiert, zeigt auf beeindruckte Art und Weise Roland Topors Ausnahmestellung in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts - als unermüdlicher Zeichner und Illustrator, aber auch als Drehbuchautor, Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner. Neben unzähligen satirischen Tuschzeichnungen für Zeitungen und Zeitschriften der Sechzigerjahre werden in „Panoptikum“ wichtige Beispiele seiner Druckgrafik und eine repräsentative Auswahl von Plakaten sowie Trickfilme nach Vorlagen Topors präsentiert. Zu sehen sind auch einige der Originalkostüme aus der Inszenierung von Mozarts „Zauberflöte“ am Essener Aalto-Theater, die erstmals gemeinsam mit den Entwurfszeichnungen des mit nur 59 Jahren gestorbenen Jahrhundertgenies gezeigt werden.

Verbindendes Element dieser breit gefächerten Aktivitäten war Topors Faszination für die Absurditäten und Unzulänglichkeiten des Daseins. Mit besonderer Vorliebe blickte er in die Abgründe des menschlichen Miteinanders. Seine Beobachtungen flossen in surreale Szenen ein, die zwischen Witz und Schrecken changieren und im Idealfall beim Betrachter Momente der Erkenntnis stiften. In diesem Bewusstsein ließ sich wohl auch die Stadt Darmstadt leiten, Roland Topor 1984 mit dem Wilhelm-Loth-Kunstpreis auszuzeichnen. Ob der Künstler sich später an der Vergabe-Jury in seiner speziell-spöttischen Art rächte, ist hingegen nicht belegt.

Roland Topor, „Panoptikum“, 224 Seiten, Edition Folkwang/ Steidl/Diogenes, Festeinband, 25 Euro.

Infos zum Gesamtprogramm des Göttinger Steidl-Verlags hält das Internet unter www.steidl.de bereit.

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