Wein, Weib und Dramenblut

Wer Freiluftfestivals lieber meidet, aber dennoch nicht aufs Theatererlebnis verzichten mag, der kann diesen Sommer getrost zum Buch greifen. Der renommierte Darmstädter Journalist Stefan Benz hat mit seinem Krimi-Debüt „Theaterdurst“ eine bissige Satire übers Bühnen- und Medientreiben vorgelegt.

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© Privatarchiv


Der Sommer ist für den passionierten Theatergänger eine Elendszeit. Die namhaften Schauspielhäuser machen Pause, dafür verwandeln sich Burgen, Innenhöfe und die Freitreppen im Schatten riesiger Kirchenschiffe in dampfende Arenen des schlechten Geschmacks. Überteuerte Weinmixgetränke zu einem überzuckerten Shakespeare, den Regenschutz gegen Wetterkapriolen stets griffbereit und die Autan-Dose gegen geflügelte Plagegeister im Dauereinsatz - es ist ein Jammer! Vom „Sommernachtstraum“ mag Zettels Eselskopf in Erinnerung bleiben, doch wenn vorne an der Rampe der Liebeskummer zur Raserei wird und der Feenwald zum tödlichen Albtraumdickicht, dann durchleiden wir gedanklich schon den kommenden Morgen: die Aspirin-Schlacht gegen den verkaterten Kopf und den kühlenden Salben-Krieg gegen nässende Stechmücken-Pusteln. Machen wir uns nichts vor, die Freiluftsaison ist ein ziemlich windiges Abkommen. Ein vergiftetes Arrangement mit verlogenen Wettergöttern, gestengetriebenen TV-Soap-Darstellern und bourgeoisen Regisseuren, ein Fluchtversuch. Wer einmal einen Bandscheibenvorfall hatte, kennt das Gefühl. Man baut im Sessel seltsam verdrehte Schonhaltungen auf, um der Pein des lädierten Lendenwirbels für ein paar Stunden vor der Glotze zu entkommen. Werden die Schmerzen zu groß, geht man ins Bett. Was aber lässt uns dieses Sommertheater überleben?

Sich die Tristesse in Ermangelung starker Stücke vorm Sangria-Eimer am Badestrand schönzutrinken, wäre keine gute Alternative. Eher schon der Griff zum Buch. Zu einem Roman etwa. Natürlich zu einem über das Theater. Der renommierte Journalist und Kulturkritiker Stefan Benz hat in seinem Krimi-Debüt „Theaterdurst“ eine bissige Theatersatire mit heiteren Belehrungen hingelegt. Gut nur, das die meisten Eigenschaften, die der Redakteur des „Darmstädter Echo“ seinen Helden Julius Beck angedichtet hat, dem Autor selbst im Berufsleben völlig abgehen. Unbestechlich und völlig frei von Dünkel steht der 53-jahrige Rezensent seit über drei Jahrzehnten stellvertretend für eine taffe Autorengeneration, für die es scheinbar noch selbstverständlich ist, eine gesunde Distanz zum Porträtierten zu wahren. Dass der studierte Film- und Theaterwissenschaftler in seinem als Teil einer Trilogie angelegten Literaturprojekt gleichwohl die dunkle Seite der Zeitungsmacht über Bande karikiert, zeugt von der großen Freiheit des Darmstädters und macht das Buch über den kunstsinnigen Erzählstrang hinaus lesenswert. Nicht wenige der Figuren aus der Theater- und Verlagswelt meint man, auf hiesigen Fluren, in Kantinen und Garderoben schon einmal begegnet zu sein. Darmstadt mit seinem Staatstheater und der traditionell engen Bindung zwischen Politik und Kultur wäre per se ja kein schlechtes literarisches Jagdgebiet, um die Berechtigungsansprüche beim Run auf die Subventionstöpfe einmal spöttisch auszuleuchten. Wer nun aber glaubt, hier mache sich einer über sein biografisches Umfeld her und betreibe kriminologischen Revanchismus in eigener Sache, der wird enttäuscht, auch wenn an einigen Stellen geschmunzelt werden darf, wenn der professionelle und meinungsstarke Theatererklärer Benz sich mit seiner leicht verwahrlosten Kopfgeburt eine Schlacht um die Deutungshoheit im Kulturteil einer fiktiven Tagespresse zu liefern scheint.



Der Roman verschneidet Lokalkolorit und Schauspiel-Parodie zu einer grotesken Medienfarce.


Es geht um Wein, Weib und große Dramen. Um den Auflagenschwund von Becks Zeitung, der „Neuen Post“, die mit Skandalisierungen und einem Twitter-Gewitter die Wahrheit so lange biegt, bis sie auf der Strecke bleibt, dazu mit kindischen Feuilleton-Beiträgen um Lesergruppen buhlt, die es wohl nur in der Fantasie der wichtigtuerischen Kollegenschaft gibt. Beim Publizisten Beck selbst ist die Zerrüttung von Anbeginn an offensichtlicher. Die vermüllte Altbauwohnung dient ihm als eine Art Mausoleum für seine verstorbene Frau, ein schäbiger Erinnerungstempel fürwahr, randvoll mit Nippes, an denen solche Geschichten kleben wie jene, mit denen sich der herzschwache Reporter in Theaterpausen und auf Premierenfeiern mit seinen Kollegen in Pinot-Noir-Laune plaudert. Bei solch großem Weindurst verwundert die monetäre Einsicht des Bohemiens Beck gleich weniger, dem schleichenden Verfall der Medienbranche als Weinhändler im Nebenberuf die Stirn zu bieten. Dass er selbst sein bester Kunde ist und nach durchzechten Nächten gerne mal im Theatergestühl wegdämmert, wird ihm ausgerechnet bei „Medea“ zum Verhängnis.

Das antike Drama liefert den Skandal, den der lustvolle Stückedeuter glatt verpennt. Statt von seiner verhinderten Dauerbegleiterin Paula, muss sich Beck nun die Ereignisse von dem unbedarften Franz Mager schildern lassen Der, der sonst seinen Lesern Theaterlektionen erteilt, wird ausgerechnet vom eigenen Praktikanten belehrt. Das zehrt am Ego des Bildungsbürgers, befeuert aber auch das Kraftzentrum dieser Tour de Force durch die Klassiker „Titus Andronicus“, „Kabale und Liebe“, „Romeo und Julia“, „Amphitryon“ und eben „Medea“. Fünf Stücke, fünf Kapitel, und am Ende werden drei Schauspielerinnen vergiftet in den Seilen hängen. Waren es perfide Anschläge, die Racheakte eines durchgeknallten Regisseurs, ein Komplott? Der Roman verschneidet Lokalkolorit und Schauspiel-Parodie zu einer grotesken Medienfarce wie zwei gute Rebsorten, mitunter schimmert noch die bizarre Selbstkannibalisierung wie einst im Spielfilm „Schtonk!“ hindurch, dann wiederrum erinnern all diese Verbrechen und anderen Kleinigkeiten stark an die ironisierten Sherlock-Holmes-Streifen mit Peter Ustinov. Die Arglist wirkt hier umso hinterhältiger, weil die Kabale nicht nur die Inszenierungen im Griff hat, sondern auch zum unabänderlichen Gencode eines jeden Bühnenbetriebs zu gehören scheint wie Souffleusen und Inspizienten. Wenn wir demnach als Leser mit unserem Helden durch den geheimnisvollen Mikrokosmos der Theaterwelt streifen, dann nehmen wir Becks Metamorphose vom allwissenden Kritiker zum detektivischen Nobody selbstredend körperlich in uns auf. Dabei dürfen wir ganz cool bleiben. Schließlich wollen wir uns beim nächsten Besuch im Sommertheater nicht langweilen und lieber gleich der Intrige auf die Spur kommen.


Stefan Benz, „Theaterdurst“, 232 Seiten, Verlag Tredition, 10,99 Euro (Paperback) oder 18,99 Euro (Hardcover).

Infos zum Gesamtprogramm des Hamburger Tredition-Verlags hält das Internet unter www.tredition.de bereit. Am Donnerstag, (17. 10) liest der Autor zudem im Kunstforum der TU, am 3. Dezember (Di.) im Darmstädter Kulturtreff „Rosengarten“ und am Donnerstag, den 9. Januar 2020 im Künstlerkeller unterm Schloss. Weitere Termine sind in Vorbereitung.
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