„Menschen interessieren mich“

Der Künstler Rainer Lind im Gespräch

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© Klaus Mai

Rainer Lind ist mit Leib und Seele Künstler. Bereits seit den frühen siebziger Jahren ist der Darmstädter als Maler, Zeichner und Grafiker künstlerisch tätig, mittlerweile gehören auch die neuen Medien sowie die Foto- und Videokunst zu den kreativen Spielplätzen des Allroundtalents. So hat Lind in den vergangenen Jahren eine beeindruckende Video-Serie auf den Weg gebracht für die er nunmehr über 300 Gesprächspartner unterschiedlichster Couleur zum Interview bat. FRIZZ Redakteur Benjamin Metz durfte unlängst den Spieß umdrehen und den vielseitigen Künstler ausführlich befragen.

FRIZZ: Du bist seit vielen Jahren als Künstler aktiv und unterrichtest seit 35 Jahren an der Berthold-Brecht-Schule Kunst. Was bedeutet Kunst für Dich und wie vermittelst Du diesen Begriff Deinen Schülern?

Rainer Lind: Schwierige Frage. Ich bin eigentlich durch einen Zufall Lehrer geworden, das war überhaupt nicht geplant. Der Schriftsteller und damalige Leiter der Brecht-Schule, Fritz Deppert, dachte einfach, dass mir das liegen könnte und fragte mich, ob ich nicht als Lehrer an seiner Schule unterrichten möchte. Ich hatte das dann lange Zeit nur als „Zwischenstation“ gesehen und nun sind das schon 35 Jahre. Wobei mir das Lehren immer schon wichtig war und Spaß gemacht hat. Und es war stets ein guter Ausgleich zum Künstlerleben. Der Job hat mir immer so eine gewisse Bodenhaftung gegeben. Und zum Kunstbegriff: Ich erkläre meinen Schülern eigentlich in erster Linie ihr Umfeld. Da taucht der Kunstbegriff gar nicht so auf. Der entwickelt sich für jeden mit der Zeit ganz individuell. 

FRIZZ: Neben Deiner Tätigkeit an der BBS lehrst Du auch seit 16 Jahren Webdesign, Internetkonzeptionen und Multimedianwendungen an der Philipps Universität Marburg - woher kommt Deine große Affinität zu neuen Medien?

Rainer Lind: Ich hatte mich damals für eine Professur im Fachbereich Malerei beworben, die allerdings auch den Part „neue Medien“ beinhalten sollte. Die Professur hat dann ein Kollege bekommen, der allerdings mit den neuen Medien nichts anzufangen wusste, und mich einlud, diesen Teil zu übernehmen. Das mache ich nun auch schon eine ganze Weile und finde das nach wie vor spannend. Es hat viel mit Gestaltung zu tun. Das Interessante ist aber, die Mischung von Gestaltung und Programmierung. Dekan und Studenten finden es wohl auch ganz reizvoll, dass ihnen hier jemand mit einem künstlerischen Background zur Seite steht. Da geht es um die sogenannten „soft skills“, wie man neudeutsch sagt. Das funktioniert sehr gut und es freut mich, dass zu meinen Vorlesungen Studenten aus den unterschiedlichsten Bereichen kommen. Das ist eine schöne Mischung aus Fachleuten und Freaks (lacht).

FRIZZ: Als Du 2000 Deine Dozentenstelle in Marburg angetreten hast, steckte das Internet noch in den Kinderschuhen. Amazon war noch primär Buchhändler, DSL war für Privatanwender Luxus und über die Rechenleistung damaliger PCs lacht heute selbst das mickrigste Smartphone. Hättest Du jemals gedacht, dass die IT und das Internet die Welt derartig nachhaltig verändern und beeinflussen würden?

Rainer Lind: Ja, irgendwie schon. Wobei damals natürlich alles noch bedeutend „nutzerunfreundlich“ war. Heute muss man erstaunlich wenig wissen, um im Netz unterwegs sein zu können. Es gibt für alles Programme, Tools und Eingabemasken. Das war in den ersten Jahren des Internets noch eine ganz Spur rudimentärer. Ich hatte damals an der Brecht-Schule einen sehr fähigen Schüler, den Stefan, der heute für 1&1 und andere Firmen arbeitet – der hat mir damals einen sehr guten Einblick in das ganze Thema gegeben. Wir haben dann schon recht früh an Datenbanken für verschiedene Portale und Webseiten gearbeitet. Von daher war mein Kunstunterricht auch schon früh immer auch ein Medienunterricht. Ich finde es nach wie vor toll, wenn dieser Austausch mit den Schülern stattfindet. Auch ich lerne gerne immer noch dazu!

FRIZZ: Du vernetzt traditionelle Kunst und neue Medien geschickt, so hast Du beispielsweise für eine die Porträtreihe "14 Porträts", die Du 2015 gezeigt hast, die einzelnen Porträts mit sogenannten QR Codes versehen, die den Betrachter zu Video-Interviews mit dem Porträtierten verlinkt haben. Der Porträtierte wurde sozusagen auf mehreren Ebenen erlebbar. Wer mit besagtem QR Code nichts anzufangen wusste, dem blieb diese Seite des Porträts gänzlich verschlossen. Das hat ein bisschen was von einer Schnitzeljagd...

Rainer Lind: Die Hoffnung war allerdings, dass die Fotografie auch autonom für sich steht. Die QR Codes waren lediglich als zusätzliche Möglichkeit der Information gedacht. Wer ein Handy dabei hatte, sollte sich einfach ausführlicher informieren können. Das gab dem Porträt schon, wie Du sagst, eine weitere Dimension. Ein sehr guter Fotograf versucht, dieses Mehr an Informationen wohl noch in das Bild selbst mit einzubinden. Ich habe das dann eben mit dem Code und dem anhängten Video versucht. Das kann man vielleicht eher wie ein Quiz verstehen – das Porträt ist die Frage und der Code und das Interview sind die Antwort. 

FRIZZ: Die 14 Porträts waren ein Ausschnitt eines viel größeren Projekts. Bereits seit 2011 filmst Du diese "Interview Porträts". Inzwischen sind um die 350 Interviews mit ganz unterschiedlichen Leuten entstanden. Wie kam es zu der Idee?

Rainer Lind: Die Idee kam über ein Projekt für die Brecht-Schule. Ich habe zu vielen früheren Schülern von mir auch heute noch Kontakt und weiß, dass vor allem diejenigen Schüler, die in der Schule nicht die allertollsten Leistungen erbracht haben, später im Leben sehr gut zurechtgekommen und zum Teil auch über sich hinausgewachsen sind. Ich wollte wissen, wie es diesen „Schulversagern“ heute geht und wie sie ihr Leben leben. Menschen interessieren mich einfach. Und wie andere in die Dolomiten oder an den Atlantik fahren, um zu Zeichnen und Skizzen anzufertigen, mache ich diese Interviews. Das ist meine Art der Beobachtung. Das ist soviel Offenheit in diesen Gesprächen. Jeder Gesprächspartner ist eine kleine Welt für sich, in der sich stets auch die große Welt widerspiegelt.

FRIZZ: Als Interviewer hältst Du Dich sehr im Hintergrund - Du lässt die Menschen ausführlich zu Wort kommen. Die Gesprächspartner sitzen vor einem neutralen, schwarzen Grund, gefilmt wird in schwarz-weiß. Die Person steht ganz klar im Vordergrund. Mitunter wirken die Leute ganz überrascht von der großen Aufmerksamkeit, die ihnen zuteil wird und wirken sehr befreit und offen. Was, denkst Du, nehmen die Leute aus diesen Begegnungen mit?

Rainer Lind: Zunächst muss ich sagen, dass ich anscheinend die Gabe habe, meine Fragen so zu stellen, dass meine Gesprächspartner sehr umfassend antworten. Mag sein, dass das auch daran liegt, dass ich nicht zu eloquent auftrete. Auf jeden Fall spüren die Leute mein ehrliches Interesse an Ihnen und fühlen sich nicht „verhört“. Mir ist aufgefallen, dass die Leute schon nach ein paar Minuten die Kamera vergessen. Das macht die ganze Gesprächsatmosphäre zusätzlich sehr vertraulich und angenehm. Und diese Offenheit besteht auch nach dem Gespräch. Keiner der Interviewpartner hat mich beispielsweise im Nachhinein gebeten, irgendwelche Aussagen zu schneiden oder ganz rauszunehmen. Ich denke, die Leute fühlen sich in diesen Gesprächen einfach sehr wohl und sind generell alle in der Lage, sich gut reflektieren zu können. Obwohl der Raum ja eher dunkel bis depressiv gehalten ist (lacht). 

FRIZZ: Nach welchen Kriterien triffst Du eigentlich die Auswahl Deiner Gesprächspartner?

Rainer Lind: Nach meinem ganz persönlichen Interesse. Ich bin einfach sehr neugierig. Morgen treffe ich beispielsweise einen Professor der Offenbacher Hochschule für Gestaltung, der viel mit Zeichentrick gearbeitet hat. Das ist ein Thema, das mich beispielsweise sehr interessiert, und die Interviewreihe gibt mir die Möglichkeit, diese interessanten Leute zu treffen. Und oft stellt sich heraus, dass das, was diese Leute erzählen, auch für andere Menschen durchaus interessant ist. 

FRIZZ: Eine weitere große Leidenschaft von Dir ist das Gitarrespielen. Seit gut 40 Jahren spielst Du in verschiedenen Musikprojekten und bist auch hier "sehr kommunikativ und offen für alles Experimentelle und Grenzüberschreitende“, wie Dein Kollege AR Penck einmal gesagt hat. Was gibt Dir das Gitarrespielen?

Rainer Lind: Da kann ich einfach meine ganz persönliche Handschrift zeigen. Das ist ähnlich wie beim Zeichnen. Meine Art, Gitarre zu spielen gibt es nicht unbedingt oft. Und natürlich kann ich über das Spielen meine Gefühle gut zum Ausdruck bringen. So wie ich spiele, fühle ich mich auch. Das ist eine recht fragile Sache, da liegen Glücklichsein und Unglücklichsein mitunter nahe beieinander. Ich spiele auch nur selten live, was sicher auch an meinem Lampenfieber liegt. Aber wenn ich auf die Bühne gehe, dann ist es das auch immer eine gute Gelegenheit, mit neuen Leuten zusammenzukommen und sich auszutauschen. Da verhält es sich ähnlich wie mit den Videos. 

FRIZZ: Maler, Zeichner, Fotograf, Videokünstler, Gitarrist, Lehrer  - wie bekommst Du Deine ganzen Aktivitäten eigentlich zeitlich unter einen Hut?

Rainer Lind: Ich fahre nicht in Urlaub, von daher komme ich mit meiner Zeit durchaus zurecht. Außerdem habe ich generell sehr selten das Gefühl, dass ich „Kunst“ mache, sondern mir einfach die Gelegenheit gegeben wurde, zu machen, was mir Freude bereitet und damit auch noch meinen Lebensunterhalt zu bestreiten. 

FRIZZ: Vielen Dank für das Gespräch.

www.atelier.rainer-lind.com

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