„Die Menschen bewegen sich gerne nah am Feuer.“

Judith Holofernes präsentiert neues Solo-Album live in der Centralstation

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©Marco Sensche

Mit frischem Indie-Pop und klugen Texten erspielten sich Judith Holofernes und „Wir sind Helden” eine beachtliche Fangemeinde, seit 2012 „pausiert“ die Band. Die Berlinerin ist weiter überaus aktiv und hat im März ihr zweites Soloalbum veröffentlicht.

FRIZZmag: „Wir sind doch Alle verliebt ins Chaos“, steht im Presseinfo zu deiner neuen Platte „Ich bin das Chaos“ zu lesen. Was macht das Chaos so liebenswert? 

Judith Holofernes: Das ist einfach diese Kombination aus Anziehung und Furcht zugleich, die ja auch bei echter Verliebtheit oft vorkommt. Die Menschen bewegen sich einfach gerne nah am Feuer. Man möchte das Chaos gerne domestizieren und findet doch gerade das Unbeherrschbare so spannend. Auf einem Rockkonzert darf Chaos gerne vorhanden sein, aber in der eigenen Lebensplanung möchte man es eher vermeiden. Das ist eine sehr interessante Spannung, finde ich. Und in Chaos steckt sehr viel Leben, denn es begegnet uns ja doch immer wieder. Man kann jede Menge Pläne machen, doch da schwingt immer auch diese Unsicherheit mit, dass einem ein nicht eingeplanter, chaotischer Moment einen Strich durch die Rechnung macht.

Chaos scheint vorprogrammiert, wenn man einen überaus komplexen Alltag wie den deinen zu stemmen hat: Du bist Musikerin, Mama und nun hast du auch noch deine eigene Plattenfirma gegründet. Wie bekommst du das Chaos in den Griff? Hast du da bestimmte Techniken oder Kniffe parat? Es gilt ja oft, das Wichtige vom Dringenden zu trennen.

Ja, das ist der Schlüssel. Es gibt ja viele Techniken und Bücher über Effektivität, Pro-Aktivität und das Setzen der richtigen Prioritäten. Ich denke dann immer, dass das alles komplett für den Arsch ist, wenn man diese Ansätze darauf verwendet, in der freigewordenen Zeit nur noch mehr zu arbeiten. Ich setze diese Techniken natürlich dazu ein, einfach mehr freie Zeit zu haben. Ich meditiere mehr oder weniger erfolgreich regelmäßig, das hilft. Und ich habe eine recht effiziente „Nichts-Tun-Praxis“ entwickelt (lacht). Ich setze mich dann einfach in Ruhe hin und tue ganz bewusst nichts.

Dem Vernehmen nach sind das deine liebsten Hobbys: Aus-dem-Fenster-gucken, Spazieren gehen und Nichtstun. Bei dem vollen Terminplan scheinst du diesen Hobbys eher selten frönen zu können, oder?

Leider gibt es immer wieder mal Phasen, in denen das zu kurz kommt, stimmt. Und das ärgert mich dann auch. Aber diese Techniken sind wie ein Leuchtturm für mich, weil ich weiß, dass ich sie bei Bedarf immer anwenden kann und sie mir gut tun. Und sie helfen mir auch bei meiner Arbeit. Dieses Bewusstsein ist recht tief in mir verankert mittlerweile.

„Ich bin das Chaos“ ist nach „Ein leichtes Schwert“ dein inzwischen zweites Soloalbum. Wobei der Begriff „solo“ einem beim Hören der zum Teil opulenten, fast schon orchestralen Songs nicht gerade in den Sinn kommt. Du hast wieder zahlreiche Gäste auf dem Album, dein Austausch mit anderen Musikern scheint heute größer denn je.

Stimmt. Und im Grunde kommt das ja auch eher selten vor, dass jemand, der nach einer Bandkarriere als „Solokünstler“ weiter arbeitet, ganz alleine auf die Bühne oder ins Studio geht. Ich hatte auf jeden Fall bei meinen Solosachen nicht vor, mich alleine mit dem Liedermacher-Schemelchen auf die Bühne zu begeben. Ich habe es geliebt, mit den Helden zu spielen. Aber wenn man zwölf Jahre gemeinsam mit einer Band spielt, genügt man sich mit der Zeit auf eine gewisse Weise. Von daher freut es mich, da nun mit anderen Leuten neue Wege gehen zu können. Denn dieser Austausch mit verschiedenen und immer wieder anderen Musikern war für mich schon immer ein wesentlicher Impuls als Musikerin.

Die meisten Songs des neuen Albums hast du mit dem färöischen, englischsprachigen Songwriter Teitur zusammen geschrieben. Warum arbeitet eine Musikerin, die eine große Gewichtung auf ihre deutschsprachigen Texte legt, mit einem Kollegen zusammen, der diese nicht versteht? Wie funktioniert das?

Das war in der Tat sehr lustig. Teitur und ich hatten uns eigentlich erstmal recht lose zum Songschreiben getroffen. Es gab keinen Plan, dass diese Songs dann auf einer neuen Platte von mir oder ihm landen würden. Wir mochten einfach gegenseitig unsere Musik und wollten gemeinsam Lieder schreiben. Die ersten Titel hatten wir auf Englisch geschrieben, und ich glaube, dass Teitur dadurch ein Gefühl davon bekommen hat, wie ich generell meine Texte schreibe. Die deutschen Texte habe ich ihm dann aber auch rückübersetzt. Er hatte aber von sich aus schon ein sehr genaues Empfinden für die musikalische Umsetzung der einzelnen Textwendungen. Rückblickend habe ich sogar den Eindruck, dass Teitur meine Sprache noch besser beherrscht als so mancher deutschsprachige Künstler, mit dem ich in den vergangenen Jahren zusammengearbeitet habe.

Einen Teil der Songs habt ihr gemeinsam auf den Färöer-Inseln geschrieben, den anderen Teil bei Dir in Berlin. Man meint, den Songs die Orte ihrer Entstehung mitunter anzuhören: Songs wie „Charlotte Atlas“ oder das titelgebende „Ich bin das Chaos“ sind wild und kratzig. Dagegen stehen Songs wie „Das Leiden der jungen Lisa“ oder „Der Krieg ist vorbei“, die so etwas wie das dunkle Herz der Platte bilden. Welchen Einfluss hatten die Orte auf euer Songwriting?

Das ist ja witzig! Ich kann deine Gedanken da sehr gut nachvollziehen, aber es lief komplett anders herum. „Charlotte Atlas“ und „Analogpunk“ haben wir zum Beispiel bei Teitur zuhause geschrieben und dabei auf die Schafe und Kühe draußen auf der Weide geschaut (lacht). Wir mussten dabei aber selbst lachen, weil wir diese Songs auch so „Berlin-typisch“ finden. Aber dieses Unwirkliche, diese Stille und das verrückte Licht auf den Färöer-Inseln hatten auf jeden Fall einen Einfluss auf das Songwriting, keine Frage. Ein absolut inspirierender Ort. Kein Wunder, dass dort so viele Leute Kunst machen.

Produziert hat das Album dein Mann Pola Roy, der mit dir bereits bei „Wir sind Helden” zusammengespielt hat. Wie lief die Zusammenarbeit? Zwischen Produzent und Künstler kann es ja mitunter auch recht spannungsgeladen zugehen.

Es gibt ganz sicher Punkte, wo eine solche Zusammenarbeit auch schwierig wird. Aber gerade diese schwierigen Momente möchte ich nicht missen, weil sie sehr spannend sind für den kreativen Prozess. Natürlich hat das Vorteile, dass der Partner dich so gut kennt und einschätzen kann. Wenn du dich dann aber aus diesem vertrauten Rahmen raus bewegst und etwas Unerwartetes machst, irritiert das den Partner wiederum. Das schafft Reibung, aber die ist wichtig und wertvoll und bringt auch neue Farben in das Ganze.

Einer der neuen Songs, du hattest ihn bereits erwähnt, heißt „Analogpunk“ - ein etwas irreführender Titel, bist du doch im Web und den sozialen Medien schon seit langer Zeit sehr präsent und aktiv unterwegs. Wie stehst du zu den neuen Medien? Liegt im Analogpunk eine tiefe Sehnsucht nach einem Leben offline?

Nein. Im Lied bin ich ja auch die Digitalaffine und versuche den Analogpunk zu becircen, weiß aber gar nicht mehr richtig, wie ich ihn erwischen kann. Am Ende des Tages ist es ein bisschen schizophren, weil ich tatsächlich beides bin. Ich schätze am Internet und den sozialen Medien die Unabhängigkeit schon sehr. Ich finde es toll, dass ich mich sozusagen über meine eigenen Medien direkt mit meinem Publikum, also den Leuten, die wirklich interessiert sind an dem, was ich sage, austauschen kann. Auf der anderen Seite passt das alles mit Hobbys wie Aus-dem-Fenster-Schauen und Spazierengehen nicht wirklich gut zusammen. Aber auch das gehört zu meinem Leben und ist mir überaus wichtig.

Du hast Ende 2015 auch ein wunderbares Buch mit Tiergedichten („Du bellst vor dem falschen Baum“, Anm. d. Red.) veröffentlicht. Wie hat sich das für Dich angefühlt? Schreiben ist ja ein recht einsamer Prozess - ist das der adäquate kreative Ausgleich zur komplexen Teamarbeit einer Plattenproduktion?

Das war schon lange eine Fluchtphantasie, ja. Und ich habe es sehr genossen, so lange und alleine an einer Sache kontinuierlich zu arbeiten. Wobei die Arbeit dann letztlich nicht ganz einsam war, weil ja meine Freundin Vanessa Karré noch die ganzen Illustrationen beigesteuert hat und wir da in sehr engem Austausch waren. Ich hatte auf jeden Fall ein ganz tolles Jahr mit dem Buch und auch die Lesungen haben sehr viel Spaß gemacht. Seit den Lesungen gehe ich auch wieder gerne nach meinen Konzerten raus zum Signieren und unterhalte mich mit den Leuten, und ich lese bei den Konzerten mittlerweile immer eines von den Gedichten vor. Aber am Schluss der Lese-Tour habe ich dann ziemliche Ohrwürmer bekommen und dachte, warum tanzt den keiner, wenn ich was auf der Bühne mache (lacht)?!

Wie sehen deine Pläne Autorin aus? Schlummert eventuell auch ein Roman in dir? Ein bekannter Berliner Musiker-Kollege hat sich in den vergangenen Jahren ja sehr eindrucksvoll auch als Schriftsteller hervorgetan.

Ich weiß, wen du meinst und in der Tat liebe ich die Bücher und die Musik von Sven Regener sehr und er ist eine große Inspiration für mich. Ich kann mir sehr gut vorstellen, irgendwann auch mal einen Roman zu veröffentlichen, denn ich liebe das Schreiben und könnte das den lieben langen Tag unentwegt tun. Ich weiß aber auch, dass die Musik meine größte kreative Leidenschaft ist, die auch sehr viel Kraft verzehrt. Diesen neuen musikalischen Weg möchte ich erst einmal sehr gerne weitergehen, hier dranbleiben und das weiterentwickeln.

Du singst mittlerweile auf deinen Konzerten wieder ein paar alte Songs der „Helden“. Wie klingen die Lieder heute für dich? Was läuft da für ein Film ab?

Ich bin immer wieder überrascht, wie jung ich immer noch klinge. Das liegt nun mal an meiner Stimme und mit der muss ich leben. Immer wenn ich irgendwo einen Helden-Song höre und mich erinnere, wie ich mich damals gefühlt habe und dachte, wie alt und erwachsen ich schon sei, klinge ich trotzdem als wäre ich zehn Jahre alt! Ein sehr lustiger Kontrast, mit dem ich aber gut leben kann (lacht). Ich habe immer noch ein sehr inniges Verhältnis zu diesen alten Helden-Songs und es gibt eigentlich keine Songs, die ich heute nicht mehr mag. Was vielleicht auch daran liegen mag, dass ich immer sehr streng war. Ich bin langsam und gründlich und habe wenig Verschnitt produziert. Wenn ich beim Songwriting nicht hundertprozentig mit etwas zufrieden bin, dann kommt das auch nicht auf die Platte.

Abschließend noch die –nahezu unvermeidliche- Frage nach der Zukunft von „Wir sind Helden”. Mark hat ja gemeinsam mit Klaas Heufer-Umlauf als Gloria mittlerweile auch ein zweites Album veröffentlicht, deine Solokarriere läuft ebenfalls bestens – da dürfte eine Fortsetzung der „Helden” eher unwahrscheinlich sein, oder? In Beziehungen bedeutet „wir brauchen mal eine Pause“ meistens das Ende. Wie wird es weitergehen?

Rückblickend frage ich mich mitunter, ob es für die Fans eventuell besser gewesen wäre, wenn wir da einen klaren Strich gezogen hätten. Aber eine Auflösung hat auch immer so einen destruktiven Beigeschmack und den gab es damals nicht und den gibt es auch heute nicht. Wir haben uns nicht zerstritten, wir mögen uns noch und wir finden auch die Musik nach wie vor toll. Aber wir hatten halt auch keine Vision davon, wann die Pause enden könnte und was wir dann machen würden. Die gibt es auch heute noch nicht, von daher sehe ich momentan nicht, dass sich daran auf absehbare Zeit etwas ändern wird.

Vielen Dank für das Gespräch.

Weitere Infos unter:

www.judith-holofernes.de

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