„Man muss die Flamme weitergeben“

Die Darmstädter Kulturszene trauert um Jürgen Wuchner

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Ob als Bandleader der „United Colors Of Bessungen“ oder Gründer und Motor der „Jazz Conceptions“ – Jürgen Wuchner war der Nukleus der Darmstädter Jazzszene. Im Interview mit FRIZZ erinnert sich sein Freund und Weggefährte Uli Partheil an den großen Mann am Bass.


FRIZZmag: Am 1. Mai ist dein langjähriger Musikerkollege Jürgen Wuchner gestorben. Wie hast du die Nachricht seines Todes aufgenommen? 

Uli Partheil: Ich konnte das erst gar nicht glauben und war sehr erschüttert. Ich wusste, dass Jürgen gesundheitlich eine Weile angeschlagen war, hatte aber das Gefühl, dass es ihm in letzter Zeit ziemlich gut ging. Von daher traf mich die Nachricht seines Todes ziemlich sehr unerwartet.


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Bereits seit den frühen Neunzigern hast du immer wieder mit Jürgen zusammengearbeitet, euch verband eine tiefe Freundschaft. Wie habt ihr euch kennengelernt?

Das war in der „Bessunger Knabenschule“, Anfang der 90er-Jahre. Ich wollte damals schon Jazz machen, wusste aber einfach nicht wie, wo und mit wem. Schließlich hat mir jemand erzählt, dass es da einen Jürgen Wuchner gibt, der einen Jazz-Workshop veranstalten möchte. Ich wusste sofort, dass ich da mitmachen muss. Es kamen dann schon einige Interessierte zusammen und Jürgen hat uns erzählt, was er so vorhat. Für mich war das der erste Kontakt zu einem „richtigen“ Jazzmusiker. Zu jemandem, der sein eigenes Ding macht. Ich hatte damals zwar schon in Bands gespielt, war aber eigentlich am Chemie-Studieren und mich hat die Begegnung mit Jürgen total beeindruckt. Er war der erste, der Leuten wie mir hier in Darmstadt eine Möglichkeit gegeben hat, sich auszuprobieren und Erfahrungen mit modernem Jazz zu machen. 

Was zeichnete Jürgen Wuchner aus? Als Musiker und als Mensch?

Jürgen war ein wichtiger Impulsgeber, der ganz oft die richtigen Dinge zur richtigen Zeit angestoßen hat. Wie beispielsweise die „Jazz Conceptions“. So etwas gab es hier vorher überhaupt nicht und der Bedarf war absolut da. Menschlich hat er einen sofort gefangen genommen, einfach weil er ein ganz besonderer Typ war und die persönliche Ebene eine eminent wichtige Rolle bei ihm gespielt hat. Wenn man sich als Musiker versteht, muss man sich auch auf der persönlichen Ebene verstehen – das war so einer seiner Standpunkte. Und der kam mir sehr entgegen. 

Jürgen galt als „Motor“ hinter vielen Darmstädter Jazz-Aktivitäten, allen voran den schon angesprochenen, 1992 von ihm initiierten „Jazz Conceptions“, die mittlerweile zu den wichtigsten Jazz-Workshops in Deutschland gehören. Was macht den Erfolg des Workshops deiner Meinung nach aus?

Andere Workshops sind oft sehr schulmäßig, sehr gelenkt. Da gehts viel um die persönliche Qualifikation, man wird in Kurse eingeteilt, es geht viel um Wissen. Die „Jazz Conceptions“ sind da ganz anders. Da bringen die Dozent*innen ihre persönliche Ausdrucksweise sehr stark ein und vermitteln den Teilnehmern ganz praktisch ihren „eigenen“ Jazz. Die Teilnehmer*innen werden auch nicht eingeteilt, sondern lernen in einer großen Runde die Dozent*innen und ihre Ideen für den Workshop erst einmal kennen und entscheiden sich nach Interesse, in welche Gruppe sie gehen. Das sortiert sich mitunter noch etwas, aber nach kurzer Zeit haben sich die Gruppen dann gefunden und arbeiten zusammen an der Musik, die sich der Dozent für den Workshop vorgestellt hat. Da geht es nicht um richtig oder falsch. Das Ziel ist einfach, dass es zusammen funktioniert, egal ob Anfänger oder Profi. Und das tut es.

©Konni Pauls


Jürgen lebte einige Jahre abwechselnd in Darmstadt und in Dakar. Hatten diese langen Aufenthalte in Afrika auch Einfluss auf die Musik, die er machte?


Ja, auf jeden Fall! Er ging ja wegen seiner Frau in den Senegal, die beruflich dort zu tun hatte. Er hat aus dieser Zeit kompositorisch viel mitgenommen und ich denke, dass die Aufenthalte die Musik, die er in den letzten Jahren schrieb, auf jeden Fall sehr stark beeinflusst haben. Er hat viel mit lokalen Musikern in Dakar gearbeitet und seine Eindrücke in seine musikalische Sprache einfließen lassen. 

Die „Jazz Conceptions“ zeigten sich stets sehr offen für viele Strömungen. Es ging immer ums Miteinander. Diese Offenheit gab es nicht immer im Jazz – dort gibt es seit jeher auch sehr puristische, dogmatische Anhänger. Haben die „Jazz Conceptions“ da eine Tür geöffnet? 

Für die Jazzszene im Allgemeinen kann ich da keine wirkliche Einschätzung geben. Aber für die Musikszene hier in Darmstadt allgemein war und ist der Workshop sicher ein wichtiger Einfluss. Es gibt hier eine große Offenheit zwischen den Szenen, selbst zwischen Jazzern und Punks. Da gibt es ganz viele Verbindungen. Man kennt sich, man trifft sich, tauscht sich aus. Die „Knabenschule“ ist da ein perfektes Beispiel – da finden alle Szene zusammen und respektieren einander. Das war auch ganz in Jürgens Geiste und deswegen passt dieser Ort auch so gut als Heimstatt für den Workshop. Dieses „Puristische“, das du angesprochen hast, gibt es hier nicht. Ich denke, dass die Leute, die an den „Jazz Conceptions“ teilnehmen, aber durchaus etwas von diesem „Spirit“ mitnehmen und in ihre jeweiligen Szenen tragen. 

Seit 2017 gibt es während der „Jazz Conceptions“ auch ein reines Jugendensemble, das du leitest. Zudem leitest du auch das „1. Darmstädter Jugend-Weltmusikorchester“. Wie ist es um den Darmstädter Musiknachwuchs bestellt? 

Gut, würde ich sagen. Junge Bands wie „Triorität“ oder „The Basstubation“ bzw. deren Mitglieder haben zum Teil auch mal bei den „Jazz Conceptions“ angefangen. Beim „Jugend-Weltmusikorchester“ steht für mich im Vordergrund, dass die Musiker*innen dort möglichst vielfältige Musik kennenlernen. Und die lernt man am besten kennen, wenn man sie selbst spielt. Man soll dort ein Gefühl dafür bekommen, dass man mit Musik ganz offen umgehen darf. Im Gegensatz zu klassischen Ensembles oder Bigbands, die festere Regeln haben. Regeln, die dort auch sicher Sinn machen. Aber die Musik ist einfach vielfältiger und da sehe ich das „Jugend-Weltmusikorchester“ als alternative Ergänzung in der hiesigen musikalischen Landschaft.

Gemeinsam mit Jürgen hast du auch die „Jazz & Pop School Darmstadt“ gegründet. Dort unterrichten du und andere regionale Kolleg*innen junge Musiker*innen. Was fasziniert Jugendliche heute in Zeiten von „Garageband“ und „SoundCloud“ noch am guten alten Handwerk und am gemeinsamen Musikmachen? Das ist ja auch harte Arbeit und durchaus zeitintensiv...

Wir haben die Schule 1998 gegründet, weil wir bei den „Jazz Conceptions“ immer gespürt hatten, dass es auch einen Bedarf an Instrumentalunterricht in dieser Richtung gibt. Lehrer, die abseits des klassischen Unterrichts auch Jazz, Harmonielehre, Timing angeboten haben, gab es damals hier noch nicht. Und das Interesse bei den Schülern ist nach wie vor vorhanden und ich merke immer wieder, dass es denen richtig Spaß macht, selbst zu musizieren. Als Band zusammen in einem Raum zu stehen, zusammen zu spielen, aufeinander zu hören, aufeinander zu reagieren – das ist durch nichts zu ersetzen! Das ist etwas völlig anderes, als mit dem Computer an „Tracks“ zu basteln. Und das muss man am Leben halten. Man muss die Flamme weitergeben. Darin sehe ich meine Aufgabe.

Mal eine Frage zur aktuellen Situation: Die Corona-Pandemie betrifft vor allem auch die Künstler und Kreativschaffenden – keine Auftritte. Keine Workshops, auch der Unterricht kann nur per Video oder limitiert stattfinden. Wie kommst du mit der aktuellen Situation zurecht?

Dadurch, dass ich den Hauptteil meiner Einnahmen nicht durch Auftritte bestreite, komme ich bisher halbwegs gut durch diese Zeit. Ich habe weiter unterrichtet, per Skype. Jetzt geht das ja auch wieder auf normalem Wege. Aber die Gruppenworkshops, die Orchesterarbeit… das ist alles weggefallen und auch im Moment noch nicht möglich. Das merke ich natürlich schon. Aber für viele meiner Kolleg*innen, die primär von ihren Auftritten leben, ist das derzeit eine ganz furchtbare Phase.

Jürgen Wuchner hinterlässt eine große Lücke in der Jazzszene. Die „Jazz Conceptions“ würden im kommenden Jahr Jubiläum feiern. Wie wird es mit dem Workshop weitergehen?

Ich war ja immer als Dozent eingeladen und habe mit der Organisation direkt nichts zu tun gehabt. Aber ich denke mal, dass alle Beteiligten, wie die „Bessunger Knabenschule“ oder das „Jazzinstitut Darmstadt“, alles daransetzen werden, dass es mit den „Jazz Conceptions“ weitergeht und dass sie auch in Jürgens Sinne weitergehen. Ich hoffe sehr, dass der Workshop im kommenden Jahr wieder stattfinden wird. 

Vielen Dank für das Gespräch.

Weitere Infos unter: 

Uli Partheil | Knabenschule | Jazzinstitut

jürgen_wuchner.vita


Jürgen Wuchner, geboren 1948 in Kleinostheim, arbeitete nach seinem Musikstudium an der Darmstädter „Akademie für Tonkunst“ als Bassist mit diversen Formationen und Künstler*innen u. a. mit dem „Vienna Art Orchestra“, Özay Fecht und Christopher Dell. 1992 gründete Wuchner die alljährlich veranstalteten „Jazz Conceptions“ in Darmstadt. Für seine Arbeit als Musiker und Pädagoge wurde Jürgen Wuchner 1996 mit dem Hessischen Jazzpreis ausgezeichnet, 2012 erhielt er zudem den „Darmstädter Musikpreis“ für seine langjährigen Verdienste um die Darmstädter Jazzszene.
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