„Ich bin diejenige, der man alles sagen kann.”

Christine Beutler-Lotz ist Schaustellerpfarrerin mit Leib und Seele.

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©Klaus Mai


Schon die Kontaktaufnahme war unkompliziert. „Ich bin da sowieso in Darmstadt und komme bei Ihnen vorbei.” Genauso unkompliziert war auch das Fotoshooting und bevor es richtig losging, hatte Christine Beutler-Lotz die erste Frage schon ausführlich beantwortet.



FRIZZmag: Wie kommt man eigentlich auf die Idee, Schausteller-Pfarrerin zu werden?

Christine Beutler-Lotz: Ich komme aus einer Schaustellerfamilie. Durch Kindergottesdienste bin ich zur kirchlichen Arbeit gekommen und studierte deshalb Gemeindepädagogik. Damals erzählte mir ein Kommilitone von einem Schaustellerpfarrer in Wiesbaden. Ich besuchte ihn, machte bei ihm Praktikum und bin sechs Wochen lang mit auf Volksfeste gefahren. Nach meinem Anerkennungsjahr hatte ich den Mut, meinem Oberkirchenrat zu erzählen, wie toll es wäre, wenn es eine Schaustellerpfarrerstelle gäbe. Kurz Zeit später hat er angerufen und mir eine 30-Stunden-Stelle angeboten - göttliche Fügung! Das war 1982. In den zehn Stunden, die ich noch übrig hatte, hab ich Theologie studiert. 1995 wurde die Stelle umgewandelt in eine ganze Pfarrstelle.  Ich war mit dem dritten Kind schwanger und fing als erste Pfarrerin gleich mit dem Mutterschutz an - ein Novum. Auch dass ich regional zuständig war, war neu. 

Obwohl Sie aus einer Schaustellerfamilie sind, haben Sie sich gegen ein Leben als Schaustellerin entschieden. Wieso?

Meine Eltern meinten, dass zwei Standbeine her müssen. Sie wollten, dass ich neben der Schaustellerarbeit, die ich ja von der Pike auf gelernt hatte, noch etwas lernte, was akzeptiert und zertifiziert ist.

Ist das Leben als Schausteller-Pfarrerin sehr stressig?

Ich wollte nie einen Beruf haben, der jeden Tag um acht Uhr anfängt. Ich habe keine festen Arbeitszeiten, meine Arbeit ist explosionsartig. Viele haben meine Nummer gespeichert und rufen an, egal ob Tag oder Nacht. Wenn ich spät abends auf dem Weg nach Hause bin und jemand anruft, weil z.B. der Vater im Sterben liegt, fahr ich da hin. Meine App und meine Facebookseite informieren immer, wo ich wann bin. Ich bin nie länger als zwei Stunden unterwegs, um zu  meiner „Gemeinde” zu kommen. Ich fahre 30.000 km im Jahr, aber nicht um unterwegs zu sein, sondern weil ich ankommen will. 

Wann schalten Sie mal ab?

Beim Fußball. EIne große Leidenschaft von mir! Ich habe zehn Jahre lang von den Bambinis bis zur C-Jugend alles trainiert. 

Sind Schausteller besonders gläubig?

Ich sag’s mal so: Jeder Mensch hat Fragen zur Kirche, zum Glauben, zu Gott. Fragen, die auch Kinder schon haben:  Wo bleibe ich? Wohin gehe ich? Was ist der Sinn des Lebens? Und die Schausteller haben die Gelegenheit, das mit mir zu bereden, weil ich da bin. Und sie sind schon einen Ticken gläubiger. Vielleicht ist Schaustellern Gott wichtig, weil da etwas ist, was bleibt. Wenn ich immer unterwegs bin, brauche ich einen Anhaltspunkt.

Hat das vielleicht auch etwas damit zu tun, dass Schausteller in der Gesellschaft nicht wirklich hoch anerkannt sind? Meine Ur-Oma hat immer gesagt: „Halt Abstand von dene Schiffschaukelbremser!“

Ja, sowas wie „Häng’ die Wäsch weg, die Zigeuner komme!“ oder „Zähl dein Wechselgeld, Kind!“ .. Das spielt natürlich immer noch so ein bisschen mit. Schaustellern haftet immer noch zu Unrecht vieles an. 

Also, außer den klassischen Sachen, für die ein Pfarrer gebraucht wird, z.B. wenn jemand im Sterben liegt, wie Sie erzählt haben, wozu werden Sie sonst noch so gerufen?

Also, ich bin eine die kommt, und nicht eine, die ständig gerufen wird. Das heißt, wenn z.B. Pfingstmarkt in Worms ist, wo ich gestern war, da gehe ich von Stand zu Stand, besuche jeden und sage mal „Hallo“.  Über die ganz normalen Alltagssachen kommt man ins Gespräch. Ich hab dann noch einen Gemeindebrief mit, der ist so bunt wie die Welt der Schausteller. Da kommen Geburtstage rein, ab zehn und nicht erst ab 70 oder 80, wie bei den „normalen“ Kirchengemeinden. 

Haben Sie auch schon Leute getauft und konfirmiert?

Ja, klar, alles. 

Und wie organisieren Sie das mit dem Konfirmandenunterricht ?

Ich fahre mit den Konfirmanden ein paar Tage weg. Da hänge ich mich hier ans Dekanat dran, alleine ist das nicht zu schaffen. Ansonsten treffe ich mich auch mal tageweise mit den Kindern, irgendwo. Und da gehen wir mal zusammen zu einem Bestattungsinstitut oder zu einer Geburtsstation. Oder besuchen ein Hospiz. Alle lebensbewegenden Dinge bespreche ich mit ihnen. Zur Not auch online.

An welchen Orte halten sie Gottesdienst für die Schausteller?

Auf dem Autoscooter mache ich das. Weil es sichtbar sein muss. Und man kann in den Autos sitzen oder auf einer Bank. Ich baue meinen Altar auf, für das Dach über dem Autoscooter sorgen ja schon die Schausteller. Ich hab also auch nie Ärger wg. Kirchensanierungen (lacht). Jeder kann  zum Gottesdienst dazukommen, ich versuche immer alle mit reinzuholen. Denn nur dann sieht man, ach, wir beten ja das selbe Vaterunser, wir sind ja dieselben Menschen

Und nach dem Segen wird der Chip eingeworfen, es wird gehupt und dann geht es weiter?

So ähnlich (lacht).

Warum gehen Schausteller*innen nicht ganz normal in die Kirche? 

Wann sollten die das machen? Die Schausteller*innen sind höchstens mal im Winter an ihrem Heimatort. Ich bin ihre bewegliche Kirche.

Die unbewegliche Kirche erreicht ja eher ältere Leute. Wie ist das bei Ihnen? 

Ich hab unglaublich viel Zuspruch von jungen Leuten zwischen 20 und 30, für viele bin ich wirklich die Vertrauensperson schlechthin. Ich bin diejenige, der man alles sagen kann. Wenn dann einer kommt und sagt: „Christine, ich habe gerade drei am Start!“ dann sage ich: „Junge, das sind zwei zu viel.“

Haben Sie einen festen Plan, zu welchen Veranstaltungen Sie gehen? Ich gehe mal davon aus, dass sie auch zum Heinerfest kommen!?

Genau. Ich versuche jeden Schausteller in meiner Region zwei bis drei Mal im Jahr zu sehen. Entweder habe ich schon Leute, die sagen, dass ich vorbeikommen soll, oder ich weiß wo vom letzten Mal noch Redebedarf ist. Auf dem Heinerfest habe ich natürlich auch zu tun, da komme ich für einen Tag hin.

Und wie muss man sich so einen Heinerfesttag vorstellen?

Ich parke vormittags mein Auto und laufe los. Solange, bis ich jeden abgeklappert habe, da kanns schon mal nacht werden. Einmal hatte das Parkhaus schon geschlossen und ich hatte Glück, dass dort gerade noch ein Arbeiter war, der mich rauslassen konnte.

Für so einen Tag müssen sie sich wahrscheinlich nichts zu essen oder trinken mitnehmen?

Nein, das brauche ich nicht. Wenn ich das alles essen würde, was mir angeboten wird…

Haben Sie eigentlich ein Lieblingsfahrgeschäft?

Ja, aber das gibt es leider nicht mehr. Das war der Flower Swing.

Wenn sie morgen als ein ganz anderer Mensch aufwachen könnten, was wären Sie dann?

Nichts anderes. Ich hab mein Hobby zum Beruf gemacht. Und die Steigerung von Beruf ist Berufung.


christine beutler-lotz.vita


*15.9.1959 in Ingelheim, Fachabitur in Bingen, Studium Gemeindepädagogik an der Evangelischen Fachhochschule Darmstadt, 1981 Anerkennungsjahr, danach ab 1982 als Gemeindepädagogin Schausteller-Seelsorgerin in Teilzeitstelle, parallel Theologiestudium in Frankfurt und Mainz und Vikariat in Gau-Algesheim, seit 1.1.1995 Schaustellerpfarrerin. Beutler-Lotz ist verheiratet, hat drei erwachsene Jungs und wohnt in Alzey.

Weitere Infos hier.
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